Gibt es so denn überhaupt so etwas wie ‚Deutsches Design‘?

Um diese Frage zu beantworten lohnt sich ein Blick in die Geschichte.

Alle deutschsprachigen Regionen blicken auf jahrhundertealte Handwerkstraditionen zurück, in denen teils hochspezialisiertes Fachwissen von Meistern auf den Nachwuchs weitergegeben wurde. Materialwahl, Werkzeuge und Bearbeitungsmethoden bestimmten bei dieser Produktionsweise zusammen mit handwerklichem Können, lokalen Traditionen und dem Sinn für die schöne Form das ‚Design‘ der Produkte.

Mit Beginn der Industrialisierung zogen die schnell wachsenden Städte die Landbevölkerung in Massen an. Weil die aufgrund der Erbteilung zu klein gewordenen landwirtschaftlichen Parzellen die kinderreichen Familien nicht mehr ernähren konnten, suchten junge Menschen Arbeit in den Städten. Die Bedürfnisse dieser schnell wachsenden Stadtbevölkerung ließen sich mit den üblichen handwerklichen Techniken nicht mehr befriedigen. Gleichzeitig entstand ein Bürgertum das seinen neu erworbenen Wohlstand zeigen wollte.

So entwickelte sich ein industrialisiertes Kunsthandwerk, das der Schönheit der Produkte einen höheren Stellenwert einräumte und diese seriell – aber anders als in den schon seit 200 Jahren bestehenden Manufakturen – unter stärkerem Einsatz von Maschinen produzierte. Aufgrund dieser Mechanisierung wurden die so entstandenen Produkte auch für weniger betuchte Konsumenten erschwinglich. Sie standen in den Schaufenstern und im 19. Jahrhundert aufkommenden Versandkatalogen in ästhetischer Konkurrenz und nur die attraktivsten wurden zu Verkaufsschlagern. Die kunstgewerblichen Fertigkeiten und ästhetischen Kenntnisse für diese moderne Produktionsweise wurden in Deutschland ab Ende des 19. Jahrhunderts in speziellen Kunstgewerbeschulen vermittelt.

Einen Höhepunkt erlebte die dekorative Gestaltung von Produkten und Architektur schon vor der Jahrhundertwende im historisierenden Eklektizismus der so genannten ‚Gründerzeit‘. Üppige Ornamente zierten Konsumgüter, Möbel wie auch Fassaden. Der ‚Jugendstil‘ mit seiner romantisch, opulenten Ornamentik und der ‚Art Déco‘ markieren 1890 bis cirka 1910 eine Übergangsphase zu einem deutlich sachlicheren Gestalten. Inspiriert von der britischen Bewegung ‚Arts and Crafts‘ reagiert der Jugendstil mit seiner Symbolik, floralen Formen und fließenden Linien auf die um sich greifende Industrialisierung mit einer Wiederbelebung des Kunsthandwerks.

Der 1907 gegründete ‚Deutscher Werkbund‘ strebte nach einem Qualitätsbegriff, der Materialgerechtigkeit, Zweckmäßigkeit, Gediegenheit und Nachhaltigkeit mit einschloss und mit dem populären Historismus abschließen wollte.

Das von dem Architekten Walter Gropius 1919 gegründete Bauhaus, das in diesem Jahr sein 100jähriges Gründungsjubiläum feiert, stand für eine sachlich klare, straffe Formensprache. Die Architekturen, Gebrauchsgüter und Möbel, die in den nur 14 Jahren seines Bestehens gestaltet und produziert wurden, prägen das Deutsche Design bis heute. Eine Stilikone dieser Epoche ist der Stahlrohrclubsessel ‚Wassily‘ von Marcel Breuer.

Deutsches Design in der NS-Zeit

Das Design im Nationalsozialismus verachtete alles Bürgerliche, machte zunächst aber noch formale Anleihen bei früheren Errungenschaften wie Futurismus und Neuer Sachlichkeit. Nach der konsequenten nationalsozialistischen Gleichschaltung von Architektur, Produktgestaltung Möbel- und Interior-Design dominierten Gestaltungselemente mit volkstümlich verkitschten Hintergründen. Ein ‚Amt für Schönheit der Arbeit‘ erklärte funktionalistische Gestaltungselemente aus der zuvor als ‚undeutsch‘ geschmähten Bauhaus-Ära zu einer Art völkischem Design. Ihren Ausdruck fand dieser Gestaltungskanon unter anderem im Volksempfänger und dem tropfenförmigen ‚KDF-Wagen‘, der nach dem Krieg als VW-Käfer millionenfach produziert werden sollte. Ein wichtiger Grund für die Rationalisierung, Standardisierung und Materialökonomie, des damals gültigen, oftmals karg-funktionalen Design der im Dritten Reich produzierten Güter, war die Materialknappheit der Kriegswirtschaft.

Auch das Deutsche Design der Nachkriegszeit war stark von der Materialökonomie geprägt. Klare Formen dominierten das Design erschwinglicher Möbel, nach denen in den schwer zerstörten Städten große Nachfrage bestand. Erste Gebrauchsgüter, bei denen die Funktionalität im Vordergrund stand, wurden noch aus Kriegsgerät improvisiert.

Deutsches Design aus der DDR

In der Mangelwirtschaft der jungen DDR entwickelte sich eine ausgesprochen sachliche sozialistische Gestaltungstradition, die ’schöne‘, aber für jedermann erschwingliche Produkte hervorbringen mussten. Dass die Gestalter dazu stilistische Anleihen beim Bauhaus machten, gefiel den Machthabern nicht immer, schließlich hatten emigrierte Bauhaus-Designer ihren Stil in den USA verfeinert. Der DDR und ihrem 1972 gegründeten ‚Amt für Industrielle Formgestaltung‘ verdanken wir erste variable Systemmöbel und streng geradlinige Landwirtschaftsmaschinen die in ‚Bruderländer‘ in aller Welt exportiert wurden. Eine Ikone des Automobildesigns ist der ‚Trabant‘ mit Plasteaufbau, der mit seinem Zweitaktmotor die DDR mobilisieren sollte. Der sachliche, von einem Bauhausprodukt inspirierte Freischwingersessel ‚Konferstar‘ wurde exklusiv nur in den Westen exportiert. Im Haushalt dominieren jetzt in Ost-wie Westdeutschland praktische schockfarbene Produkte aus ‚Plaste‘ und gepresstem Edelstahlblech.

 

Ausbildungsstätten für Deutsches Design

1953 bis 1968 gingen von der Hochschule für Gestaltung Ulm im Deutschen Design die Gestalter in den Disziplinen Produktgestaltung, Visuelle Kommunikation, Bauen, Information und Film ausbildete, wegweisende Impulse aus. Die Auffassungen der HFG Ulm prägenten unter anderem das Design der Braun-Audiogeräte das Erscheinungsbild der Lufthansa. Der Designer Dieter Rams gestaltete 1955 den ‚Schneewittchensarg‘, eine Kombination von Radio und Schallplattenspieler. Seine sachliche Formensprache ist bis heute gültig im Deutschen Design und ist prägend für die Produkte des US-Herstellers Apple. Otl Aichers Pictogramme zur Olympiade 1972 beruhten auf einem innovativen, aber – typisch Deutsch – gründlich durchdachten Gesamtkonzept aus Farbe, Schrift und Symbolen.

Deutsches Design SL 300

Deutsches Design für Automobile

Beim Automobildesign steht der 300 SL Roadster von 1957 für eine opulente Sinnlichkeit, die etwas gestrafft, ab 1967 im NSU RO 80 weiterlebte.

Das Automobildesign der Siebziger bringt ein Revival der klaren Form. Die umlaufende Gürtellinie gliedert den ikonischen BMW 1500, und sollte das BMW-Design für eine ganze Weile prägen. Im deutschen Automobildesign ringen kühle Sachlichkeit und sinnliche Romantik um die Vorherrschaft.

Die Achtziger Jahre bringen viel Provokation und neue Fröhlichkeit. Die dominierende Kundschaft, beruflich erfolgreiche Yuppies, wollen sich stilistisch austoben. Das von der Pop-Art inspirierte Mailänder ‚Memphis‘-Design findet im Deutschen Design in der Krefelder ‚Gruppe Kunstflug‘ ihren Wiederhall. Wesentlich ‚deutscher‘ und damit ästhetisch eher kühl, sind viele zwischen äußerster Gradlinigkeit und verschrobener Extravaganz pendelnde Entwürfe von Punk- und New Wave beinflusst und bestehen auch aus ungewöhnlichen Materialien, wie zum Beispiel rostigem Stahl und rohem Beton.

 

Fazit:

Auch wenn unser Rückblick nicht vollständig sein kann – wir stellen fest, dass sich Deutsches Design auf sehr verschiedene Quellen und Ursprünge bezieht; darunter auch sehr emotionale. Es findet Ausdrucksformen zwischen Romantik und stringenter Geradlinigkeit, zwischen nüchterner Ergonomie und durchaus sinnlichen Anmutungsqualitäten. Typische Wesenszüge sind eine durchdachte Konzeption, die gediegene, solide Materialwahl und eine technisch anspruchsvolle Ausführung. Auch wenn Rückgriffe auf frühere Design-Epochen bisweilen für eine gewisse Verspieltheit sorgen, so ist das Deutsche Design doch ausgesprochen seriös.

Vielleicht ist es diese Ernsthaftigkeit, die das Deutsche Design international immer noch so erfolgreich macht.

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SL 300: Benjamin B / Shutterstock