UDSSR-Design war allgegenwärtig – Auch in Westdeutschland.

Unser erstes Auto war ein Opel Kadett der Modellreihe 1938, der mit demontierten und gekidnappten Maschinen in Russland als ‚Moskwitsch‘ weitergebaut worden war. Ich erinnere mich noch, wie mein Vater zuvor ‚organisierte‘ Karosserieteile zuerst umlackiert und dann an das ebenso ‚organisierte‘ Automobil angeschraubt hatte.

Mein sozialistisch entflammter Cousin und ich kamen in den Sechzigern mal von einer UDSSR-Ausstellung mit Taschen und Tüten voller kommunistischer Sticker, Orden und Propaganda-Broschüren nach Hause und mussten uns anhören, was für Vaterlandsverräter wir doch wären.

Schließlich erinnere ich mich an einen Kommilitonen, einen überzeugten Kommunisten, der das Produktdesign der UDSSR und der DDR geradezu anbetete. Er frönte einem starken Traktoren- und Werkzeugmaschinen-Fetisch. Ich hatte meine liebe Not, seine Entwürfe im nüchternen Look von Abgekantblech mit einer ordentlichen Dosis westlicher Dekadenz fit für die Präsentationen zu machen. Fotografiert wurde alles mit einer DDR-Praktika von Foto PORST. Russische Produkte und Design waren im deutschen Alltag also durchaus präsent.

Nachdem wir uns bereits mit dem Design in der DDR befassen konnten, liegt mit ‚Designed in the USSR: 1950-1989‘ jetzt ein weiterer Buchschatz vor.

Erschienen in Kooperation mit dem Moskauer Designmuseum und illustriert mit über 350 meist aus der Sammlung des Museums stammenden Bildern, erlaubt dieses Buch einen einzigartigen Einblick in die Produktwelt der Sowjetunion nach dem Krieg. Als Produkt der Planwirtschaft galt die sowjetische Warenkultur oft als eintönig, wenig innovativ und die wirklichen Wünsche der Kunden ignorierend. In drei Themenbereichen – Bürger, Staat, Welt – vermittelt dieses Buch eine viel komplexere Sicht auf UDSSR-Design. Das Buch riecht sowjetisch, die grafische Stilistik sowohl der Illustrationen, der eingesetzten Drucktechniken, der Farbwahl wirken auf von marktschreierischer Werbung und prahlerischer Warenästhetik verdorbene Westler improvisiert und geradezu rührend primitiv. Vierfarbdruck auf Hochglanzpapieren? Fehlanzeige.

USSR Squirrel

Das Eichhörnchen – Ein putziges Winzmobil

 

Sowjetische Film, Sport- und Werbeplakate, Staubsauer im Sputnik- oder Raketenlook, das lustige Winzmobil ‚Eichhörnchen‘ und Einzueins-Kopien einer Vespa, alle der gezeigten Objekte erlauben einen Blick in die sowjetische Realität.

Interessant sind die Reminiszenzen an westliches Design. Unter anderem wurde auch BRAUN-Design kopiert. Kein Wunder, es gab ja auch personelle Querverbindungen.

Erinnert wird aber auch an die auch im Westen beliebten, weil spottbilligen Zenith-Kameras. Die legendäre Lomo-Kamera, ein ReDesign der japanischen Cosina CX-2, sollte in einer 60s-Billigversion in westlichen Hipsterkreisen einen kleinen Hype der Low-End-Fotografie auslösen.

Es kann nicht verwundern, dass nicht nur die Fahrzeugindustrie der Militärwirtschaft unterstellt war. Seltsam mutet indes an, dass in einem Staatsgebilde in dem Rockmusik als Vehikel westlich dekadenter Unterwanderung beargwöhnt wurde, dennoch (spuckhässliche, tonnenschwere) E-Gitarren produziert wurden.

Ausnehmend charmant hingegen wirkten die primitiv gedruckten, aber dennoch dekorativen Döschen, Schächtelchen und kleinen Boxen für Papirossi, Pralinen und Souvenirs.

Das Leitsystem für die Olympischen Sommerspiele 1979 fand sogar den Beifall von Piktogramm-Papst Otl Eicher.

USSR Saturnas

Saturnas – Staubsaugen im Sputnik-Look

 

Eigentlich war das Buch als Katalog zur Eröffnungsausstellung des Moskauer Designmuseums über sowjetisches Design gedacht, die im Herbst 2012 in Moskau stattfand. Die Show war mit über 150.000 Besuchern in weniger als zwei Monaten sehr erfolgreich. Doch für viele Besucher waren die Exponate mehr als Museumsstücke. Sie saßen in den ausgestellten Autos, drehten an den Knöpfen der Rigonda Phonokombination und blätterten Modezeitschriften. Sie hatten offenbar einen Sinn für den Gebrauch dieser Objekte, die in ihrem Leben allgegenwärtig gewesen waren. Angeregt durch die Mission des Museums, die schnell verblassende Erinnerung an die sowjetische Lebenswirklichkeit zu bewahren, stifteten viele dieser Besucher Stücke für die Sammlung des Museums.

Das Moskauer Designmuseum

Inzwischen hat sich das Museum zu einem internationalen Zentrum für die Erforschung und Vermittlung sowjetischen Designs entwickelt. Seit der ersten Ausstellung untersucht das Team des Museums die professionellen sowjetischen Designsysteme, sucht nach den Gestaltern der in Massenproduktion hergestellten sowjetischen Designobjekte, führt Interviews und baut an einem Archiv des experimentellen sowjetischen Designs.

Neben von sowjetischen Designern gestifteten Objekten besteht der Kern der Sammlung aus sowjetischen Alltagsgegenständen. Die sind zwar nicht unbedingt Design-Ikonen, doch atmen sie die Liebe und Hingabe ihrer Besitzer und bilden das Alltagsleben der letzten vier Sowjet-Dekaden ab.

‚Designed in the USSR: 1950-1989‘ ist ein wichtiger Schritt bei der Neubewertung und Erhaltung der russischen Design-Geschichte.

Die Ausstellung des Moskauer Designmuseums ‚Sowjet Design. Read Wealth‘ die das Buch inspiriert hat, gastiert noch bis zum 21. Mai 2018 im ADAM-Museum in Brüssel.

 

Designed in the USSR: 1950-1989
Phaidon

Format  271 x 211 mm
Englisch
240  Seiten
ISBN 0714875570

von: DESIGNBOTE Redakteur Dipl. Des. Wolfgang Linneweber