In Büroräumen verbringen Menschen schließlich den Großteil ihrer wachen Lebenszeit, und genau dort werden über 50% der Wertschöpfung geschaffen.

DESIGNBOTE sprach mit Samir Ayoub, dem Geschäftsführenden Gesellschafter der designfunktion-Gruppe, unter anderem über das Büro im Zeitalter von dynamischer Digitalisierung, Flexibilisierung der Arbeit und die so wichtige Bindung wertvoller Mitarbeiter in Zeiten der Vollbeschäftigung.

designfunktion – Samir Ayoub ©Farideh Fotografie

designfunktion – Samir Ayoub ©Farideh Fotografie

Herr Ayoub, was verstehen Sie unter einem “Wirksamen Büro”? Liest sich ‘wirksam’ wie ‘effizient’?

Keineswegs, Produktivität ist nur einer von zahlreichen Faktoren. Ein wirksames Büro unterstützt unseren Kunden bei der Umsetzung individueller Ziele. Dabei spielen Aspekte der Wirtschaftlichkeit eine Rolle, aber auch Aufmerksamkeit oder Kreativität der Mitarbeiter werden durch die Arbeitsumgebung beeinflusst. Gleichzeitig ist es Aufgabe und Ziel, in der Büro- und Arbeitswelt die Kultur des jeweiligen Unternehmens abzubilden und die Anforderungen moderner Arbeitswelten zu erfüllen. Um die unterschiedlichen Bedürfnisse auf Mitarbeiter- und Unternehmensseite abzubilden, haben wir die Beratungsmethode PRISMA entwickelt.

Mit Hilfe von 24 Fragestellungen rund um Marke, Mensch und Wohlbefinden, Wirtschaftlichkeit und Produktivität analysieren wir Ziele und Anforderungen. Die Ergebnisse bilden die Basis für eine ganzheitliche Planung, Gestaltung und Einrichtung. So haben wir kürzlich in einem Unternehmen sieben Workshops durchgeführt, in dem über 700 Mitarbeiter inklusive Geschäftsführung, Human Resources, Brand Development und IT repräsentiert waren. Dabei wurde festgestellt, dass 85 Prozent der Mitarbeiter überwiegend stationär und intern arbeiten und ein signifikant hoher Bedarf an konzentrierter Arbeit besteht. Diese und viele weitere Aspekte wurden dann in die Planung einbezogen.

Ich bin zu Zeiten aufgewachsen, als uniforme Stenotypistinnen noch gesenkten Hauptes in Tastaturen hackten und der Zeilenwechsel ‘Pling’ machte. Chefs residierten in zigarrenverqualmten Glaskästen und behielten ihre Mannschaft im Blick. Was ist anno heute State of the Art in Sachen Büro? Was sind die entscheidenden Features?

Die Arbeitsumgebungen von heute variieren stark. Wir werden für die Planung und Einrichtung von allen Büroformen beauftragt – von klassischen Einzel- und 2-Personen-Büros über Kombi- bis zu Mehrpersonen-Büros. Oft ist die Struktur durch das Bürogebäude vorgegeben. Offene Raumkonzepte setzen sich allerdings durch, da die Vorteile überwiegen.

Von zehn Office-Projekten arbeiten etwa acht mit einer offenen Struktur. Der sogenannte Multispace hat aber nicht mehr viel mit einem klassischen Großraumbüro zu tun. Hier gestalten wir unterschiedliche Zonen, die den Bedürfnissen der Menschen nach Rückzug, Ruhe und auch Funktionalität gerecht werden. Stellen Sie sich Gruppenbüros neben Ruhezonen, Meeting-Bereiche und Telefonzellen vor. Wir streben immer nach einer kundenindividuellen Lösung. So haben wir in Arbeitswelten schon Zimmer im Baumhaus oder alpinen Stil, wohnzimmerartige Umgebungen oder Kinos für Präsentationen gestaltet.

Wichtig: Es geht immer um die Unternehmenskultur und die Werte, für die ein Unternehmen steht. Diese müssen nicht nur nach außen für Besucher des Unternehmens, sondern auch nach innen transportiert werden.

Die alles ergreifende Individualisierung hat auch die Büroumgebung erfasst:

In welchen Bedürfnissen/ Arbeitsweisen unterscheiden sich ‘alte’ Babyboomer und junge Digital Natives/ Digitale Nomaden und wie lassen sich die in ein und derselben Büroumgebung organisieren?

In vielen Offices, die wir einrichten, arbeiten mehrere Generationen unter einem Dach. Wir stellen in unseren Workshops immer wieder fest, dass die Bedürfnisse der Mitarbeiter über alle Generationen hinweg ähnlich sind. Kreativität und Produktivität gedeihen am besten wo Menschen sich wohlfühlen. Dabei spielen nicht allein funktionale Aspekte wie Ergonomie, Akustik und Klima eine Rolle, sondern auch eine ansprechende Ästhetik und ein schönes Ambiente. Die Bedürfnisse unterscheiden sich nach Aufgabenbereich oder Projekt. Einmal muss konzentriert und ungestört gearbeitet werden, im nächsten Moment ist Austausch und Kooperation gefragt. So brauchen Menschen über alle Generationen hinweg Räume, die die individuelle Entfaltung und gemeinschaftliche Teamarbeit unterstützen. Interessant ist auch, was diverse Studien beweisen: Es ist ein Vorurteil, dass sich ältere Mitarbeiter schlechter an neue Arbeitsumgebungen und Arbeitsweisen gewöhnen. Wie schnell man sich mit Neuerungen vertraut macht, liegt vielmehr daran, wie viele Änderungen man schon erlebt hat.

Wie reagiert das ‘Neue Büro’ auf stetig mutierende Teams und nach Bedarf sich formierende, thematische Arbeitsgruppen?

Die Antwort darauf lautet ‘Multispace’. Hier gibt es in vielen Unternehmen neben Flächen für konzentrierte Einzelarbeit Räume unterschiedlicher Größe für Projektarbeit. So können Arbeitsgruppen je nach Bedarf den einen oder anderen Raum aufsuchen. Oft haben Mitarbeiter auch keinen festen Arbeitsplatz mehr. Allerdings darf eine flexible Raumnutzung Mitarbeiter nicht vor ein Orientierungsproblem stellen, bei dem sich jeder morgens fragen muss, wo er heute arbeiten wird. Jeder sollte sein Team in einer festen Zone, der sogenannten Ankerzone des Gebäudes finden können. So bieten diese Zonen Zugehörigkeit auch ohne feste Arbeitsplätze. Hier finden sich neben separaten Besprechungsräumen kleine Cubes, aber auch klassische Arbeitstische oder ein Lounge-Bereich. Die Unterlagen werden zum Beispiel in Schließfächern oder Aufbewahrungskörben untergebracht.

Sehen Sie angesichts Flexibilisierung der Arbeitszeiten Zuhause und Arbeitsplatz verschmelzen, ihre Grenzen verschwimmen? Wie reagiert das Neue Büro darauf?

Die Zeiten der strikten Trennung von Wohnen und Arbeiten sind vorbei. Private Termine und Arbeit wechseln sich immer mehr ab. Die Arbeitszeit wird flexibler eingeteilt. Für uns allerdings gibt es keine Arbeitszeit, nur Lebenszeit. So ist es etwa in international tätigen Unternehmen notwendig, aufgrund von unterschiedlichen Zeitzonen außerhalb der normalen Arbeitszeiten Emails oder Telefonanrufe zu beantworten. Viele Unternehmen überlassen ihren Mitarbeitern ja auch die Wahl des Arbeitsplatzes. Allerdings beobachten wir, dass diese Unternehmen von uns verstärkt Arbeitswelten planen lassen, in denen sich ihre Mitarbeiter so wohl fühlen, dass sie wieder gerne ins Büro kommen.

designfunktion hat eine Studie ‘Wirksame Büros’ beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO in Auftrag gegeben. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Unser Ziel war es, die Bedeutung von Büro- und Arbeitswelten für die strategischen Ziele von Unternehmen und Organisationen zu erforschen. Wie wirken Büro- und Arbeitswelten auf Arbeitsprozesse, Arbeitgeberattraktivität, Innovationsfähigkeit und Wohlbefinden? Außerdem wird die große Bandbreite von „New Work“ – Bürokonzepten in der deutschen Unternehmenslandschaft dargestellt. Spannende Aspekte wie etwa die Frage nach Rückzugsorten in Unternehmen geben Aufschluss über das erstaunliche Veränderungspotenzial unserer modernen Arbeitswelt. Wir stehen erst am Anfang eines großen Umwälzungsprozesses. Die Ergebnisse der Studie werden wir Ende April veröffentlichen und in einer Kongressreihe deutschlandweit vorstellen und diskutieren. Eine Folgestudie ist bereits geplant und wird voraussichtlich auf der Messe Orgatec 2018 veröffentlicht.

Was trägt ein ‘Kulturphilosoph’ zum Erkenntnisgewinn bei?

Er schärft unsere Sinne. Professor Jan Teunen vertritt vehement die Einstellung, dass wir uns in Bürowelten um den Wechsel zwischen Kreation und Rekreation kümmern müssen. Sein ganzheitliches Menschenbild umfasst auch die Forderung, alle Sinne anzusprechen. Er spricht von der Einbeziehung von Natur, selbst von Kunst! Ich empfinde den Austausch mit ihm als sehr wertvoll.

Welche Rolle spielen Materialien, Olfaktorik und Akustik in zeitgemäßen Arbeitsumgebungen? Spielen Sie eine?

Eine ganz entscheidende. Wir arbeiten ja immer öfter mit offenen Strukturen. Hier spielen akustische und visuelle Störungsreduktion eine wichtige Rolle. Es gibt viele Möglichkeiten, akustische Ruhe zu bewirken: wir arbeiten unter anderem mit akustisch wirksamen Vorhängen oder offenporigen Teppichstrukturen, um Nachhalleffekte zu reduzieren und die Schallausbreitung im Raum zu verhindern. Eine spannende Neuerung bei Materialien ist die Kombination von Blendschutz und Akustik in einem Stoff. Wir haben im designfunktion-Team mehrere Akustik- und Textil-Experten die wir bei diesen Themen hinzuziehen.

Ach, Schreibtische sind ja so 90s. Blödsinn?

Tatsächlich umfassen moderne Arbeitswelten weit mehr als den klassischen Schreibtisch, an dem man während der gesamten Arbeitszeit sitzt. Die Veränderung fängt beim Schreibtisch selbst an. Es werden immer häufiger höhenverstellbare Schreibtische angefragt. Das ist einerseits gut für die Gesundheit, andererseits bietet sich der hochgefahrene Schreibtisch auch für kleine Teammeetings an. Neben den klassischen Arbeitsbereichen enthalten moderne Bürowelten viele weitere Facetten: von der Lounge mit Barhockern bis zu Ruhezonen mit Sitzkissen und Sofas.

Was entgegnen Sie jemand, der behauptet, dass die schöne neue Bürowelt nur die im Zuge des globalisierten Wettbewerbs verschärften Ausbeutungsverhältnisse verschleiern soll?

Eher im Gegenteil. Fachkräfte stehen hoch im Kurs. Als Arbeitgeber müssen Sie attraktive Themen und Arbeitsbedingungen schaffen, um die richtigen Mitarbeiter zu finden und zu binden. Dabei spielen Effizienz, Teamarbeit, Flexibilität, Weiterbildung ebenso wie Gesundheit, Ernährung und Rückzug eine starke Rolle. Außerdem beobachten wir, dass bei der Gestaltung neuer Arbeitswelten immer häufiger die Mitarbeiter einbezogen werden.

Wie stehen Sie zum Home Office? Lässt sich das auch zum ‘Wirksamen Büro’ gestalten?

Selbstverständlich, wir gestalten ja nicht nur Büro- und Arbeitswelten, sondern auch Privatwohnungen und Häuser. Ob ich mir zu Hause ein richtiges Arbeitszimmer einrichte oder am Wohnzimmertisch arbeite, bestimme ich natürlich selbst. Psychologisch betrachtet ist es allerdings von Vorteil, Privat- und Arbeitswelt zu trennen. Daher empfehlen wir ein Wirksames Büro für das Home Office.

Welche technologischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Trends sehen Sie als nächste Herausforderungen für Ihre Disziplin?

Unter anderem spielt die Digitalisierung eine große Rolle. So werden die Innovationszyklen in IT und Telekommunikation immer kürzer. Wir betrachten diese Innovationen nicht als Treiber der Arbeitswelt, sondern als Ermöglicher. Unsere Berater informieren sich permanent über neueste Trends, um am Puls der Zeit zu bleiben und unseren Kunden und Partnern bei der Planung ihrer Arbeitswelt Impulse zu geben – falls dies erwünscht ist. Unser Motto lautet immer: Inspirieren, nicht missionieren.

Herr Ayoub, danke, dass Sie Zeit für uns hatten!
Das Interview führte Wolfgang Linneweber.

Termine 2018, jeweils 12.00–18.00 Uhr:

  • 16. Mai, Köln
  • 17. Mai, Berlin
  • 6. Juni, München
  • 13. Juni, Frankfurt am Main
  • 19. Juni, Hamburg
  • 20. Juni, Bielefeld
  • 23. Juli, Nürnberg
  • 24. Juli, Stuttgart

Die genauen Veranstaltungsorte und weitere Informationen zur Agenda folgen in Kürze. Vorab registrieren können Sie sich bereits jetzt.

designfunktion Arbeitswelten Ströer Berlin Foto AKIM Photography

designfunktion: Ströer, Berlin Foto AKIM Photography

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