Im Rahmen unserer Interviewreihe sprachen wir in diesem vorletzten Interview „Inside The Monotype Studio“ mit Malou Verlomme, Senior Type Designer, Monotype, London – seinem Einstieg ins Schriftdesign und sein neuestes Projekt, einer großen Schriftfamilie, welche uns noch 2019 erwartet.

Malou Verlomme, Senior Type Designer, Monotype, London

Malou, wie genau erfolgte dein Einstieg ins Schriftentwerfen?

Eigentlich war das eine ganz natürliche Entwicklung, vom Allgemeinen ins Spezielle. Ich interessierte mich immer schon fürs Zeichnen und die bildnerische Kunst, und so nahm ich schon in jungen Jahren an Kunstkursen teil. Später besuchte ich die Hochschule für Angewandte Kunst in Paris (École Duperré), um dort Grafikdesign zu studieren. Hier begegnete ich einem Lehrer (Bisou Hervé), der mich mit dem Typografie-Virus infizierte, worauf mein Interesse and dem Sujet wuchs und wuchs. Zum Ende meines Studiums absolvierte ich ein Praktikum in einer Werbeagentur und erkannte erstmals, dass es einen großen Unterschied zwischen dem akademischen Kommunikationsdesign und dem realen Business gibt. Das war schließlich der Auslöser dafür, mich als Schriftentwerfer zu spezialisieren und einen Masterstudiengang für Typedesign an der Reading University zu belegen.

Auf welche Projekte bist du besonders stolz?

Das Schriftprojekt Camille, mit dem ich um 2009 herum startete, war für mich ein überaus spannendes Projekt. Es begann als Auftrag für den französischen Landschaftsarchitekten Camille Muller. Im ursprünglichen Briefing ging es um einen Einzelschnitt, der für seine Monographie verwendet werden sollte. Doch im Laufe der Zeit driftete ich ein wenig ab, bis sich das Projekt auf eine riesige Schriftfamilie mit 30 Schnitten ausdehnte. Was ich dabei lernte, war der schier unbegrenzte Interpolations- und Designspielraum im Schriftdesign. Das Prinzip der Interpolation ist recht einfach und wird intensiv im Typedesign verwendet. Wenn du einen Light- und einen Bold-Schnitt entwirfst, lassen sich die dazwischen liegenden Schnitte, Regular und Medium, (mehr oder weniger) automatisch generieren. Man spricht von der Strichstärken-Achse. Wenn man diese um eine Kontrast-Achse ergänzt, entsteht ein zweidimensionaler Schriftenraum mit überraschenden Ergebnissen.

Camille

Schriftdesigner

In diesem Zusammenhang war interessant zu beobachten, dass sich die Schriftfamilie allein durch den Kontrastunterschied nahtlos von der einen Schriftklasse (Slab Serifs) in eine andere (Moderns) verwandelte. Mein Projekt wurde später in die Sammlung des französischen Centre National des Arts Plastiques (CNAP) aufgenommen, das eine große Ehre für mich war. Die Schrift ist bis heute unveröffentlicht, und ab und zu beschäftige ich mich mit ihr und feile an Details. Wer weiß, vielleicht wird sie eines Tages doch noch das Licht der Welt erblicken.

In jüngerer Zeit, direkt nach meinem Eintritt bei Monotype im Jahr 2016, hatte ich die Ehre, am Johnston100-Projekt mitzuarbeiten. Für einen französischen Designer, der gerade in London gelandet ist, war es ein verrückter Moment, an dieser Schrift-Ikone mitwirken zu dürfen. Besonders inspirierend war dabei, in eine riesige Menge an historischem Material und ein faszinierendes Stück Typografie Geschichte einzutauchen. Seitdem fahre ich noch lieber mit der Londoner U-Bahn, um den verschiedenen Versionen der Johnston zu begegnen und die aktuellste Version zu entdecken.

Schriftdesigner

An welchem Projekt arbeitest du im Moment?

Seit einigen Wochen beschäftige ich mich mit einer Schrift, die in die Monotype Library aufgenommen wird. Ich liebe es zwar, mit Auftraggebern an einer Exklusivschrift zu arbeiten, aber ich arbeite auch sehr gerne an eigenen Entwürfen, was mit einem hohen Maß an Recherche und künstlerischen Experimenten verbunden ist. Meine beiden letzten Familien, Madera und Ariata, hinterfragen Konventionen der Typografie und versuchen gleichzeitig, leistungsstarke Werkzeuge für Grafikdesigner zu sein. Ich arbeite gerade an einer sehr großen Familie, die noch 2019 herauskommen soll – lasst euch überraschen!

Welches sind deine Design-Helden?

Als ich mich zum ersten Mal mit Typografie beschäftigt habe, war ich ein Riesenfan von Emigre und ihren Gründern Zuzana Licko und Rudy VanderLans. Man konnte in ihrer Arbeit spüren, wie sie die berauschende Kraft des technologischen Wandels Mitte der 1980er Jahre nutzten um atemberaubend neue Wege zum beschreiten.

Im Bereich Grafikdesign liebe ich die Schweizer Schule, wie sie sich immer wieder neu erfindet. Um zwei Vertreter zu nennen: Ich bin ein großer Fan des Plakatgestalters Nicholas Troxler oder dem Zeitgenossen Felix Pfäffli. Ich liebe es einfach, wie sie Schrift auf eine spielerische und immer wieder überraschende neue Art und Weise einsetzen.

Wo holst Du Dir Inspiration?

Wie alle Schriftdesigner suche auch ich immer und überall nach Buchstaben. Wenn man verreist oder einfach nur auf der Straße entlangläuft, taucht überall Schrift auf, und das macht uns Type Designer süchtig: Es ist wie ein Filter, durch den wir unsere Umgebung wahrnehmen. Ich bin ein großer Fan typografischer Dialekte; Schriften von Amateuren inspirieren mich. Während wir den Regeln unseres Handwerks folgen, werden wir betriebsblind. Menschen, die keine Ausbildung in diesem Bereich haben, kommen oft zu überraschenden Lösungen, die man als Profi nicht zu denken wagt. Schon deswegen finde ich meine Anregungen in handgeschriebenen Botschaften, Graffitis, Schaufensterfronten, an Wänden und so weiter. So wurde ich auch zum Co-Autor (mit Clement Criseo) zweier Bücher, eines über Tags (»Tag, Paris New York São Paulo«, Éditions Alternatives, 2013) und eines über Schaufenster-Lettering in Westafrika (»Ici c’est bon, Enseignes peintes à la main en Afrique de l’Ouest«, Éditions Alternatives, 2015).

Was ist deiner Meinung nach der heißeste Trend im Schriftdesign?

Ich sehe da zwei Bereiche: Trends, die von Marken angestoßen werden und Trends, die Einzelpersonen initiieren. Und ich denke, dass beide in sehr unterschiedliche Richtungen weisen. In der Markenwelt sind geometrische Sans Serifs schon seit geraumer Zeit vorherrschend. Jeder ist auf der Suche nach dem nächsten großen Sans-Ding; doch abgesehen von ein paar Experimenten bewegt sich da nicht viel. Auf der anderen Seite, vielleicht als Reaktion auf diesen Trend, kreieren überall Menschen erstaunliche, verrückte Schriften; auch wenn ihre Verwendung eingeschränkt ist, sind sie eine enorme Bereicherung für unsere Branche.

Bisher haben sich folgende Monotype-Kreative unseren Fragen gestellt:

Jan Hendrik Weber, Type-Designer
Alexander Roth, Schriftdesigner
Akira Kobayashi, Schriftdesigner
Marianna Paszowska, Font Engineer
Charles Nix, Type Director
Tom Rickner, Leiter von Monotype Studio Design
Emilios Theofanous, Schriftdesigner
Tom Foley, UK Type Director

Bilder: Monotype