Monotype zählt zu den international führenden Unternehmen für einzigartiges Schriftdesign und Font-Entwicklung. Die Ursprünge des heute weltweit bekannten Konzerns gehen bis ins Jahr 1887 zurück. Die Arbeit der Kreativen bei Monotype ist heutzutage natürlich eine andere als im 19. Jahrhundert. Worauf es in Zeiten der Digitalisierung bei der Schriftenentwicklung ankommt und wie vielseitig der Beruf des Schriftdesigners ist, zeigt der DESIGNBOTE in seiner Interviewreihe „Inside The Monotype Studio”.

Für den sechsten Teil unserer Serie haben wir Tom Rickner, Leiter des Monotype Studios Design, zum Interview gebeten. Tom Rickner kann auf eine über 30-jährige Karriere im Bereich Typografie und Schriftdesign zurückblicken. Alles begann mit dem Bearbeiten von Bitmaps, später entwarf er einige der allerersten Multiple Master Fonts für Adobe sowie Variationen von TrueType GX für den Schriftenhersteller Font Bureau und für Apple. Mittlerweile beherrscht er nahezu jeden Aspekt im Bereich Schriftdesign und Schriftproduktion.

Bekannt ist er vor allem für das Font-Hinting der von Matthew Carter entwickelten Schriften Georgia, Verdana, Tahoma und Nina im Auftrag von Microsoft. Seine Leidenschaft und Expertise gilt besonders jenen Bereichen, wo Design, Tools und (variable) Schrifttechnologie zusammenlaufen.

Schriftentwicklung

Die variable Schriftversion der Buffalo Gal Schrift

Herr Rickner hat unter anderem an der Entwicklung von Schriften wie Arial, Bodoni, Broadway, Gallia, Goudy Forum Pro und Rebekah Pro mitgewirkt. Er ist Leiter des engagierten Teams ausgezeichneter Schriftgestalter, die das Monotype Studio ausmachen – genau wie die vielen Corporate Fonts für Unternehmen und Marken auf der ganzen Welt.

DESIGNBOTE: Herr Rickner, wie hat das eigentlich mit dem Schriftentwerfen bei Ihnen angefangen?

Tom Rickner: Zum ersten Mal kam ich während meines Studiums am Rochester Institute of Technology mit Type-Design in Berührung, als der Goudy-Award-Preisträger John Dreyfus ein Referat über John Baskervilles Stempel-Handwerk referierte. Sein Vortrag weckte ein Interesse an Schrift in mir, das nie mehr erlosch.

Zu meinem ersten Schriftenjob kam ich als Student, indem ich mit meinem Mitbewohner Steve Matteson für eine kleine lokale Softwarefirma Bitmap-Fonts manuell „polierte“. Nach dem Examen heuerte uns Chuck Bigelow an, um bei Imagen, einem Laserdrucker-Hersteller, Fonts zu hinten. Daraus ergab sich der Einstieg bei Apple, wo gerade das TrueType-Schriftformat entwickelt wurde, das erste Outline-Font-Rendering-System speziell für den Macintosh. Zu dieser Zeit lernte ich David Berlow von The Font Bureau, Inc. kennen. Er warb mich bald ab, um Schriften für seine Library oder für Kunden zu entwerfen, zu spationieren und zu unterschneiden.

1994 kam ich dann zu Monotype, wo eine lange und abwechslungsreiche Karriere im Bereich Schriftdesign begann. Meine Aufgaben reichten vom Ausbau vieler Monotype-Library-Schriften über das Entwerfen von Exklusivschriften, Hinting und die Entwicklung von OpenType-Layout-Features bis hin zur Leitung von Font-Ingenieur-Teams, Font-Tool-Entwicklern und Schriftentwerfern.

Zwischendrin gab es eine externes siebenjähriges Zwischenspiel mit Steve, Ira Mirochnick und Bill Davis unter dem Namen Ascender Corporation, ein Font-Unternehmen, das schließlich von Monotype erworben wurde. Heute leite ich das Monotype Studio Design Team, bestehend aus Schriftdesignern, Skriptspezialisten und Schriftingenieuren.

Auf welche Projekte sind Sie besonders stolz?

Ich bin ziemlich stolz auf meine frühen Arbeiten im Bereich Hinting, als TrueType-Schriften noch schwarz-weiß auf ziemlich kleinen Bildschirmen gerendert wurden. Vor dreißig Jahren entschied eine Zeile Assembler-Code, den ich für jede Glyphe geschrieben hatte, über die Lesbarkeit und Nützlichkeit einer Schrift am Bildschirm.

Ich bin sehr stolz darauf, gemeinsam mit Lynn Bekkala, ein Mentor für Mike Reed bei Apple Computer, gewesen zu sein, als er die variablen TrueType-Fonts als Alternative zu Adobes Multiple-Master-Technologie erfand. Im selben Raum zu sein, wo Mike seine Aha-Erlebnisse hatte, ist ein Karrierehöhepunkt.

Es dauerte Jahrzehnte, bis seine Ideen in den heutigen Systemen und Anwendungen zum Einsatz gekommen sind. Und es gibt noch immer viel zu tun, um den Segen der Variable-Font-Technologie bekannt zu machen und in unseren Alltag zu integrieren. Tatsächlich sehe ich den breiten Einsatz als unvermeidlich an. Und deshalb war es eine Ehre für mich, an diesem Stück Technologiegeschichte mitgewirkt zu haben.

Womit beschäftigen Sie sich im Augenblick?

In meiner jetzigen Funktion bei Monotype habe ich das große Glück, ein Team von Type-Directors und Schriftentwerfern zu leiten, das über weitaus mehr Talent verfügt als ich jemals zu bieten hatte. So sehe ich meine Hauptaufgabe darin, diese Personen und ihre Talente in die Lage zu versetzen, mit ihrer Arbeit ein breiteres Publikum zu erreichen und einen größeren Einfluss auf unsere Kunden zu haben, seien es Designer, Entwickler oder Verleger.

Welches sind Ihre Designhelden?

Hermann Zapf war einer meiner ersten Superhelden und ist es bis heute. Ich denke, dass er besser als jeder andere in der Lage war, kalligraphische Formen in Schrift zu packen. Seine Palatino und Optima zeichnet immer noch aus, dass sie in ihrem Genre unübertroffen sind.

Man sagt ja, dass man nie seinen Helden begegnen sollte … wahrscheinlich, weil sie danach den Heldenstatus verlieren. Doch Matthew Carter ist immer noch mein Held, obwohl ich ihn getroffen und sogar mit ihm gearbeitet habe.

Matthews Werk ist vielfältig und lässt sich nicht in Schubladen einordnen; trotzdem gibt es ein verbindendes Moment, nämlich die Lösung eines definierten Problems. Ob Bell Centennial, Georgia, Verdana oder sogar Snell Roundhand: Matthew hat ein unglaubliches Talent darin, unter extremen Einschränkungen die besten Ideen zu entwickeln, also aus der Not eine Tugend zu machen. Darüber hinaus ist er ein bescheidener und freundlicher Mensch, der sein Wissen gerne weitergibt und anderen hilft.

Was inspiriert Sie?

Gute Frage. Wie jeder Schriftenfan habe eine umfangreiche Bibliothek zum Themenbereich Schrift und Typografie. Ich habe unzählige Schriftmuster, Geschichtsbücher, Biografien, bändeweise Grafikdesign-Literatur und Schrift-in-Benutzung-Beispiele … bis hin zu historischen Originalausgaben von Schriftentwerfern, zum Beispiel von John Baskerville. Man könnte also annehmen, hier finde ich die besten Ideen.

Tatsächlich lasse ich mich aber von Sachen inspirieren, die nichts mit meiner Bibliothek zu tun haben. Ein Live-Konzert zum Beispiel, ein Museumsbesuch oder wandern und radfahren. Spaziergänge sind besonders nützlich, wenn es darum geht, ein Problem zu lösen, sei es designbezogen oder eher technischer Art. Raus aus dem Büro und weg vom Computer kann Ihnen wirklich helfen, aus alten Denkmustern auszubrechen und neue Erkenntnisse ans Licht zu bringen.

Welches ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Trend im Schriftdesign?

Mich fasziniert die Beobachtung, dass Designer über ihre Muttersprache und ihre vertraute Schreibweise hinausdenken. Es scheint, als werde unsere Welt jeden Tag etwas enger und stärker verknüpft. Mit dieser Entwicklung geht der Bedarf für Schriften einher, die mit einer ähnlichen Stimme über sehr unterschiedliche Kulturen hinweg sprechen. Der Trend, den ich sehe, sind Designer, deren Arbeit mit der Idee einer vielsprachigen Schrift beginnt. An den beiden führenden Type-Design-Kursen in Den Haag und Reading haben Studierende jede Unterstützung für ehrgeizige Projekte. Sie entwickeln zum Beispiel eine Schrift, die die Grenzen eines Alphabets oder eines Sprachraums durchbricht.

Mein Kollege Ben Jones hat kürzlich seine Anschlussarbeit Amrys veröffentlicht. Eine Schriftfamilie, die nicht nur Latein, Griechisch und Kyrillisch, sondern auch Arabisch und Armenisch beinhaltet. Ich habe jahrelang im Type Business gearbeitet und mehrsprachige Schriften für Softwareentwickler aus Fonts unterschiedlicher typografischer Kulturen gemixt. Wir können den Nutzern von heute ganzheitliche Font-Lösungen empfehlen, in denen es keine “dominierende Muttersprache” mehr gibt. Da der Zweck von Schrift darin besteht, unserem Denken eine visuelle Form zu geben und dies zu verbreiten, freut es mich sehr, dass junge Talente in meinem Arbeitsbereich diese Kreise mutig ausdehnen.

Schriftdesigner Tom Rickner

Tom Rickner, Director von Monotype Studio Design

Vielen Dank für diese inspirierenden Einblicke ihrer 30-jährigen Erfahrung im Schriftdesign, Herr Rickner!

In der Serie „Inside The Monotype Studio” hat der DESIGNBOTE bereits fünf lesenswerte Interviews geführt. Jedes einzelne ist inspirierend, manchmal erstaunlich, teilweise bewegend und gibt immer wieder aufs Neue einen spannenden Einblick in die Faszination des Schriftdesigns.

Bisher haben sich folgende Monotype-Kreative unseren Fragen gestellt:

Jan Hendrik Weber, Type-Designer
Alexander Roth, Schriftdesigner
Akira Kobayashi, Schriftdesigner
Marianna Paszowska, Font Engineer
Charles Nix, Type Director

Bilder: Monotype