Shop-Design nach Corona – Wie sehen die neuen Läden aus, in denen Einkaufen wieder zum Erlebnis wird?

In Zeiten sozialer Isolation packen immer mehr Konsumenten Pakete mit von gehetzten Fahrern hastig an der Haustür übergebener Ware aus. Das ist besonders praktisch, wenn Bestellung und Bezahlung mobil erfolgen. Aber für manche ist es ein ziemlich freudloses Erlebnis, weil sie den geselligen Einkaufsbummel, das Feedback beim Anprobieren und das Käffchen danach vermissen. Und das Ausführen schicker neuer Klamotten ist mangels sozialer Anlässe sowieso gecancelt.

Sollte Covid 19 jemals ein Ende haben, könnte dann Shopping wieder zum sozialen Erlebnis in einem inspirierenden Ambiente werden? Falls ja, dann dürften viele Einkaufsumgebungen aber wohl anders aussehen als vor der Pandemie. Und hatte, bis zu einem abrupten Ende, noch öffentlich zelebrierter, lustbetonter Konsum das Gesicht unserer Städte geprägt, so dürfte sich das gewohnte Bild belebter Einkaufsstraßen wohl schnell ändern. Im Advent 2020 hatte sich die Frequenz deutscher Einkaufsmeilen fast halbiert. (Quelle: Engel & Völkers Commercial)

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“ (Mark Twain)

Die Pandemie hat dem stationären Einzelhandel Schlag um Schlag versetzt, ließ schon Anfang 2020 die Umsätze massiv einbrechen. In den Innenstädten dämmern leerstehende Kaufhauspaläste neuen Nutzungsformen entgegen, schließen inzwischen sogar Filialen großer Brands und Ketten, teures Ladeninventar fliegt in bereitgestellte Container und allenthalben rasseln die Scherengitter runter. In vielen Fällen wohl für immer. Weil die ohnehin verspäteten Hilfszahlungen viele Pleiten nur verzögern, aber langfristig kaum verhindern können, wird sich die Ladendichte wohl verringern. Weil zudem wegen der Lockdowns unverkäufliche Saisonware massenhaft zum Ladenhüter wird (wenn sie nicht in blitzschnell eingerichteten bzw. optimierten Onlineshops noch Käufer findet), ist zu erwarten, dass nur die finanzstärksten Akteure diese Krise überleben werden. Gleichzeitig stürzen die Quadratmeterpreise für Ladenflächen ab, was wiederum neuen Nutzern und Nutzungsformen Chancen bieten könnte. Lassen wir uns überraschen, was kommt: Shisha-Bars, Nightshops oder Handyläden? Vielleicht ein Nachbarschaftscafé (statt Coffee to go) oder die Rückkehr der Eckkneipe (statt Biertaxi)? Oder entsteht hinter zugemauerten Schaufenstern dringend benötigter Wohnraum?

Über ihren Köpfen das Damoklesschwert des Globalplayers Amazon, zwingt dieses verheerende zweite Pandemiejahr Marken und Einzelhandel, so manche früher als lustvoll geschätzte Aspekte des Einkaufens ganz neu zu denken.

Aber was wären mögliche Effekte für den von Online noch nicht verdrängten, verbliebenen Einzelhandel? Was ist zu tun, wenn man die Kundschaft in den überlebenden Läden wiedersehen will? Aus einem Designblickpunkt wäre interessant: Wie sieht das zukunftsfähige Ladengeschäft aus?

DESIGNBOTE hat Experten dazu befragt. Deren Ausblicke dürften indes nicht nur den Autor dieser Zeilen nachdenklich stimmen.

Abschied von der Romantik

Nervige Warteschlangen, öde Pflichteinkäufe von Artikeln ohne Beratungsaufwand und Lebensmitteln in uniformen Regalreihen, das Durchstöbern von Wühltischen unter den Augen gelangweilt herumstehenden Verkaufspersonals usw. braucht kein Mensch mehr. Wo immer es Warengenres und Käufergruppen erlauben, wird der Fokus darauf liegen müssen, Shopping wesentlich digitaler zu gestalten, als es das bisher war. Die Shop-Design nach Corona-Kundschaft hat zudem gesteigerte Hygieneansprüche entwickelt und will, so ist zu vermuten, spannende, neue Produkte entdecken und dabei unterhalten werden, attraktive gastronomische und kulturelle Angebote immer in Reichweite. Food Courts im Stile bewusst improvisiert wirkender Markthallen zeigten schon vor Corona, wie solche Ambientes aussehen, wie sie sich anfühlen können.

Wer schon in den Siebziger Jahren gelebt hat, weiß welcher Magnetismus und Unterhaltungswert mal von aufwendig dekorierten Schaufenstern ausgegangen war. Auch im Inneren von Läden und Kaufhäusern wurde mit Licht, Warenpräsentation und Klang alles getan, um Atmosphäre zu schaffen. So viel Emotionalität war einer neuen Generation kühler Kostenrechner dann aber schlicht zu teuer und sollte – mitsamt Heerscharen umschulender Schaufenstergestalter*innen – schon die Achtziger nicht mehr überleben. In der Folge dominierten in kühles Licht getauchte Schaufenster mit betont sachlich aufgereihten, bisweilen nachlässig angezogenen Figuren, schreienden SALE-Schildern gedruckten Displays, die von den Passanten gerne ignoriert wurden, was die visuelle Attraktivität der Konsummeilen weiter erodieren ließ.

Viele lustlos geführte Läden, verödende Einkaufscenter und kaputtgesparte Kaufhäuser, die ein solches unterhaltsames Shopping-Erlebnis nicht mehr bieten konnten, dem Siechtum anheimgefallen erleichterten den Boom des Online-Shoppings – bevor ihnen COVID-19 den Todesstoß versetzte.

In vielen Köpfen überlebte dennoch der Gedanke, Retail-Umgebungen wieder in inspirierende Orte der Entdeckung und Unterhaltung zu verzaubern, wird doch das gemeinsame Einkaufserlebnis immer schmerzlicher vermisst. Diese romantischen Hoffnungen werden indes vom Vormarsch eines lückenlosen Online-Kaufes relativiert werden.

DESIGNBOTE sprach mit Vivienne Curvers, Programma Manager, Retail innovation Centre Limburg (NL) über das Shop-Design nach Corona:

„Online-Verkäufe are here to stay. Der Shift nach online wurde von Covid vorangetrieben und ist zu einem großen Teil von Dauer. Die Anzahl der Ladengeschäfte wird dadurch zurückgehen. Ein nahtloses und einzigartiges Kundenerlebnis sowohl online als auch offline ist entscheidend für den Erfolg des Unternehmens. Geschäfte sollten sich deshalb mehr wie Medienhäuser verhalten und ihre Produkte mit Content anreichern. Ein gutes Beispiel dafür ist VT wonen, das ein TV-Programm, eine eigene Kollektion und ein Magazin kombiniert. Im Übrigen hat sich ja auch der Verbraucher verändert: lokal und nachhaltig werden für ihn immer wichtiger.

Welche Gattungen physischer Ladengeschäfte wird es denn Ihrer Meinung nach auch nach Corona noch geben?

Puh, eine knifflige Frage. Ich denke, dass es physische Läden, vor allem Läden, die einen zusätzlichen Mehrwert an Erlebnis bieten, sein werden. Aber auch Geschäfte, die ein sehr gutes Omnichannel-Angebot haben, also wo Online- und Offline-Erlebnisse positiv gestaltet wurden.

Wie wird sich das Gesicht der Innenstädte verändern?

Ich glaube, dass die Menschen auch weiterhin in die Stadt kommen werden, aber die Frage ist, ob sie dort auch etwas kaufen wollen. Das Stadtzentrum dient mehr und mehr als Ort der Erholung, an dem sich die Leute Waren ansehen und diese dann bei Gefallen online kaufen.

Raum und Zeit für Experimente

In den letzten Jahren entstanden neue Einzelhandelskonzepte und viele Marken investierten, um ein physisches Einkaufserlebnis zu ermöglichen, bei dem man die Produkte mit nur einem Klick kaufen konnte. In diesen Stores kann die Kundschaft digital gestützt und lustbetont in physische Markenwelten eintauchen. Ganz ähnlich wie bei den Themenshows in den Kaufhäusern der Siebziger umfängt den Kunden dort idealerweise eine lückenlos durchgestaltete, umfassende Kulisse aus markentypischen und thematisch inspirierten Formen, Farben, Klängen und Düften, die ihn den Alltag für eine Weile restlos vergessen lassen. So locken zum Beispiel die Stores der kanadischen Sportartikelkette Lululemon ihre Kundschaft mit Workout-Studios, Meditationsräumen und Gastronomie, wobei die Regale und Ständer mit der Ware schon fast beiläufig wirken. Das Kaufhaus L&T in Osnabrück kombiniert Erlebnis, Shopping und Genuss erfolgreich u.a. mit dem integrierten Surfpool ‚Hasewelle‘.

Parfümeriekette Douglas schließt Filialen und wird Omnichannel-Player

Nachdem Lockdowns die Verbraucher auch weiterhin in Massen ins Internet treiben, gibt es für solche Anstrengungen gute Gründe. Der E-Commerce war nach einem Einbruch schon im zweiten Quartal 2020 um fast 10 % gewachsen und hatte die schon lange befürchtete Abkehr vom physischen Laden um ein paar Jahre vordatiert.

Wenn also Warenhäuser, Fashion-Retailer und andere von den Launen der Moden lebende Anbieter bis zum Lockdown noch wirkliche Menschen in physischen Stores begrüßen konnten, so könnte es da nach der Pandemie sehr einsam werden, weil inzwischen noch mehr Kundschaft auf dem Sofa online kauft. Nach der Pandemie ist zu erwarten, dass insbesondere profane und routinemäßig zu beschaffende Produkte des täglichen Bedarfs wie zum Beispiel das gern gehamsterte Toilettenpapier, Tiernahrung, Kosmetika und Waschmittel weiterhin noch intensiver online gekauft werden. Der Handelsverband Deutschland (HDE) schätzt, dass etwa 50 000 Geschäfte pandemiebedingt schließen werden.

Die überlebenden Läden müssen sich anstrengen, wenn sie die Menschen und ihre Kreditkarten und Portemonnaies wieder in die von Verödung bedrohten Innenstädte locken wollen, bevor sich diese in schäbige Basarmeilen mit chinesischem Billigplunder, Shisha-Bars und Läden für Handyhüllen verwandelt haben.

Wenn die Hoffnungen des überlebenden Einzelhandels auf ‚bewusstem Einkaufen‘ liegen, bei dem lustbetontes Stöbern, inspirierendes Entdecken und emotionale zwischenmenschliche Kontakten auch weiterhin in physischen Läden stattfinden, dann stellt man dafür am besten schon jetzt die Weichen der Channels, bevor der Zug abgefahren ist. Es sieht ganz danach aus, als wäre das physische Shopping der Zukunft ein digitalgetriebenes Omnichannel-Erlebnis in einem Brick & Mortar-Laden.

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Header Grafik: Shutterstock – Omnichannel: alle Zugriffsformen sind nahtlos integriert.