Der eher allgemein gehaltene Beitrag zum Produktplanungstool DESIGNPILOT hat schon viele LeserInnen gefunden, aber auch eine Reihe von Fragen aufgeworfen. Dieses interessante Interview, das unser Redakteur Wolfgang Linneweber mit Professor Wolfgang Schabbach von der Universität Coburg geführt hat, beantwortet diese und dazu noch ein paar weitere, bis dato noch ungestellte Fragen.

 Herr Professor Schabbach, Sie sind gelernter Industriemechaniker mit Abschlüssen in Maschinenbau und Investitionsgüterdesign. Das klingt nach der harten Tour … ;8)

Der Studiengang Investitionsgüterdesign war damals an der Kunstakademie Stuttgart ein fünfsemestriger Aufbaustudiengang für Bewerber mit Ingenieur-Diplom. Design nur für Investitionsgüter zu machen ist aus heutiger Sicht natürlich Unsinn. Heute geht es darum, interdisziplinär und im Team Probleme zu lösen. Designfokus ist immer die Nutzerzentrierung – also der Bezug zum Mensch. Und da sind riesige Felder unbearbeitet, das Ziel der technischen Marktführerschaft muss um diesen Zielgruppen-Aspekt ergänzt werden.

A propos Metz: Vous parlez Francais aussi? Fest steht, dass Franzosen anders denken. Wie anders gestalten die Franzosen?

Das war damals ein Pilotprojekt – an einer Elite-Maschinenbauhochschule im Hauptstudium Design anzubieten. Das funktioniert aber nicht. Ich habe in Coburg damit begonnen die Studierenden anders auszubilden. Es ist besser Leute mit Designtalent (nach einem Eignungstest) technologisch auszubilden, als Techniker mit Gestaltungstalent ‚umzuerziehen‘. Denn es gibt sehr wenige technische Studierende, die auch Talent als Designer haben:

Es gibt in meinem Fach Entwerfen & Konstruieren drei Lernebenen: die Design-Kernkompetenz „Entwerfen und Konstruieren“ wird anhand von konkreten, angewandten Aufgabenstellungen in Studienarbeiten gelehrt. Begleitet wird die praktische Entwurfsarbeit von den Vorlesungen „Technisches Gestalten“ und „Entwurfsmethodik“. Die drei Lernebenen im Einzelnen:

Die 1. Lernebene behandelt die Materialisierung von Ideen: in der Vorlesung „technisches Gestalten“ bekommen die Studierenden einen Überblick über alle gängigen Produktionsverfahren in der Industrie mit ihrem ästhetischen, technischen und ökonomischen Potenzial.

In der 2. Lernebene werden Ideen generiert: Im Lehrgebiet „Methodik“ werden die Entwurfswerkzeuge des DESIGNPILOTEN gelehrt. Der Designprozess ist in 8 Phasen eingeteilt und beinhaltet über 170 Tools und 75 Kreativtechniken und schafft so neue Denk- und Sichtweisen, sowie kreative Freiräume.

In der 3. Lernebene werden Ideen „konzipiert, gestaltet und konstruiert“: Die Entwurfsarbeit der Studierenden in den Studienarbeiten wird in wöchentlichen Korrekturen betreut.

Irgendwie ein beruhigender Gedanke, dass es noch andere, komplexere Herausforderungen gibt, als die immer ’neue‘ Leuchten, bunten Dekokram und pfiffige Wohnaccessoires. :8)

Haben Sie mit Designpilot auf einen Bedarf reagiert?

  • Mein ANSATZ: wir müssen die Designer anders ausbilden, um sie zu emanzipierten – aber auch zu akzeptierten Partnern in den Entwicklungsteams zu machen. Übrigens haben wir einen Frauenanteil von ca. 55-60%. Das bringt die Disziplin enorm weiter und färbt vielleicht irgendwann auch mal auf den Technikbereich ab (wo der Frauenanteil wahrscheinlich unter 5% liegt).

 

  • Die Aufgaben für Designer werden immer komplexer:
    + neue komplexe, vernetzte Technologien
    + weltweiter Wettbewerb & Kostendruck
    + Technologie ist nicht einziges Alleinstellungsmerkmal
    + neue Innovationskultur: interdisziplinär & Leute mit Außenansicht in den Entwicklungsteams sind entscheidend
    + es braucht „Schnittstellendenker und -handler“

Ich habe bis 1979 noch bei Stefan Lengyel (Industrial Design) und Erich Geyer (Produktplanung) studiert. Lässt sich grob umreißen, was sich seitdem aus Ihrer Sicht in Design und Produktplanung geändert hat?

  • die Technologien: wir arbeiten heute komplett digital (CAD, Generative Fertigung …) unser Vorteil: wir sind jetzt mitten im Datenflow der Entwicklungsprozesse und können „Daten-Ping-Pong“ mit allen im Team spielen und die Produkte/Services sind komplexer geworden Sensorik / IoT / weltweite Zielgruppen / technologischer Quantensprung der Digitalisierung (= Paradigmenwechsel wie in der ersten industriellen Revolution) / ecoDesign und Leichtbau / Wir gestalten heute auch den Dialog zwischen Produkten/Services und dem Nutzer (InteractionDesign: ein Flow vom Produkt, Dienstleistung, Interface, web & digitale Anwendungen)

 

  • je komplexer alles wird, desto eher braucht es Designer, die ‚Ordnung schaffen‘ (digitale und mechanische Ordnung = auch technologisch neue Impulse bringen)

Wie haben Sie die Idee umgesetzt. Wie war der Weg dahin? Wer (bzw. welche Kompetenzen) haben mitgewirkt?

Der Weg dahin war sehr lang – 17 Jahre. Seit ich in Coburg bin habe ich meine Entwurfslehre aufgebaut. Die besteht, wie oben erklärt aus drei Bausteinen.

Die Grundidee ist: „Wie komme ich auf Ideen und wie materialisiere ich diese Ideen dann?“. Ich habe dann neben einer neuen Entwurfsmethodik sehr viele praktische Studienarbeiten mit den Studierenden gemacht, die dann die Grundlage der ‚Best-Practice-Beispiele‘ waren. Die Idee, daraus einen digitalisierten Prozess zu machen, ist vor etwa fünf Jahren in einem Forschungssemester entstanden – nur so kann man den Designprozess mit allen Facetten nachvollziehbar darstellen und nutzbar machen.
Ein Nebeneffekt ist jetzt die Möglichkeit die ‚Mächtigkeit‘ der Designphilosophie auch Außenstehenden des Faches klar zu machen. Dies, um endlich zu einer unverzichtbaren und eigenständigen Profession zu werden. Denn Design ist immer noch extrem unterschätzt in seinen Potentialen und ein Nischenthema.

Ich habe dann in einem Forschungsprojekt in Unterstützung vom bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Technologie sowie von bayern design mit zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern zwei Jahre am digitalen Aufbau gearbeitet. Unterstützung gab es zudem von zwei studentischen Mitarbeiterinnen, mit denen ich jetzt im letzten Jahr die ‚Restarbeiten‘ abgeschlossen habe.

Ist der Designpilot programmiertes ‚Design Thinking‘? (Oder: was ist der Designpilot in drei Sätzen?)

Nein, Design-Thinking ist definiert durch ein interdisziplinäres Team, einen user-centered-design Prozess, der sofort Zielgruppen untersucht, dokumentiert und analysiert. Dann werden Ideen generiert, in Modellen gebaut, an der Zielgruppe getestet und anschließend optimiert und zu einer finalen Idee gebracht.

Alle diese Elemente hat der DESIGNPILOT natürlich auch, er bietet nur weit über 50 Research-Tools, viele Entwurfstools und über 70 Kreativitätstechniken und ist in der Lage bis zum fertigen Produkt/Service zu gehen.

designpilot tool

Es gilt hier die 80/20-Regel: 20% braucht man bis zur Entwurfsidee und 80% braucht man bis zum fertigen Produkt. Und in diesen 80% hat das Team Unterstützung durch den DESIGNPILOTEN – Design-Thinking hat für diese 80% keine Lösungsansätze.

Der DESIGNPILOT hat noch eine besondere Eigenschaft: er nutzt die Rechtsseitigkeit des Gehirnes im Entwurfsprozess. Die linke Hälfte denkt logisch, abstrakt und analytisch, das rechtsseitige Zentrum sorgt für die ganzheitliche Betrachtung, denkt in Bildern, erinnert Gefühle und alles, was wir mit den Augen gesehen haben. Von dieser Seite kommen die kreativen Impulse.

Deshalb sind möglichst viele Informationen als Informationsgrafiken umgesetzt. Das bringt Inspiration, Assoziationen und Phantasien. Wenn ich einen Text durchlese, muss ich die Information erst via die linke Gehirnhälfte in die rechte ‚booten‘ – so kann man nicht ‚designdenken‘.

Wer nutzt Designpilot aktuell?

Der DESIGNPILOT ist als Unterstützung für Entwicklungsteams gemacht, nicht alle Tools sollen von den Designern allein umgesetzt werden. Die Idee ist auch, die Personen im Team miteinander in Austausch, Dialog und zum gegenseitigen Verständnis zu bringen.

Nutzer sind seit einiger Zeit natürlich meine Studierenden. Hier beobachte ich 50% Zeitgewinn und enorm verbesserte Entwurfsqualität. Die Absolventen tragen das Wissen seit Jahren in die Praxis. Coburger Absolventen stehen für eine systematische, ganzheitliche Herangehensweise.
Zu den Nutzern zählen auch bisherige Kooperationspartnerunternehmen. Bisher war der DESIGNPILOT ja eher nicht in der Breite kommuniziert.

Zu den Nutzungsbedingungen und Kosten: 250€/ mtl. 100GB Cloudspace / 200€/ mtl. Inhouse-Speicher … Wer leistet sich Designpilot bzw. wie unterstützt er seine Nutzer? Und ganz kurz: Was bekommen eventuelle Nutzer für die jeweiligen Formeln?

Also das Grundproblem bei der Nutzung als PROJEKT-MANAGER ist der Speicherplatz, den man für die Teamdaten braucht. Zudem müssen Geheimhaltung und Datensicherheit gewährleistet sein. Das Hosting mit dem externen Technikpartner verursacht also hohe monatliche Kosten. Die Hochschule erhält davon nur einen kleinen Lizenzanteil.

Und wie sehen bisher die Nutzer der beiden Software-Lizenzmodelle aus? Gibt es ein Angebot für Studenten bzw. Hochschulen?

Das Angebot für Studenten bzw. Hochschulen ist erstmal die TOOLBOX. Die ist kostenfrei und hat alle Funktionalitäten. Einzig kann man hier nicht im Team die Projektdaten sammeln und an alle im Team kommunizieren.

Es wäre möglich den interessierten Hochschulen eine INHOUSE-Variante anzubieten. Diese muss aber auch auf dem jeweiligen Hochschulserver gehostet werden. Das verursacht natürlich auch wieder Kosten.

Aber man müsste das im Einzelfall prüfen.

Könnten die Effekte des Designpilot ‚messbar‘ sein?
Gibt es schon Kommentare von glücklichen Nutzern / Kunden?

Ich arbeite seit über 10 Jahren mit dieser Methode – vor dem DESIGNPILOT musste ich das den Studies ‚analog per Vorlesung und praktischen Entwurfsarbeiten mühsam beibringen‘. Jetzt geht das leichter und schneller: die digitalisierte Web-App hat bei den Studierenden ca. 50% Zeitgewinn und enorm verbesserte Entwurfsqualität gebracht. Wir machen viele Firmenentwicklungsprojekte. Da ist jetzt der Austausch viel leichter, weil man den Designprozess – jetzt visualisiert – zusammen bearbeiten kann.

Wir sind in der Lage sehr komplexe Themenfelder anzugehen – besonders auch nicht einfach ein Re-Design zu machen, sondern ganz grundsätzlich an Probleme heranzugehen. Beispiele sind in letzter Zeit: Kaffee-Padmaschine, Tee-Preparation, Schleusenmülleimer, Bad-Cleaning, Window-Cleaning, Feuchtwischen, Hair-Remove, Tierhygiene, Floating Lights, Mein Garagentor 2.0, Haare im Bad oder auch Tierhygiene etc.

Die Ergebnisse waren und sind aufgrund des interdisziplinären und mehrstufigen Designprozesses des DESIGNPILOTEN teilweise so innovativ, dass sie bei namhaften Unternehmen wie Melitta, Cofresco, Paulmann Licht u.a. in Serienproduktion gingen.

Haben sich die Chinesen schon gemeldet? ;8)

Wir haben einige chinesische Studierende – auch im Master Design (siehe www.masterdesign-coburg.de). Ein großes Plus der deutschen Designstudierenden ist ihre Persönlichkeit. Man muss eine ‚Designdenke‘ haben. Neben dem notwendigen Grundtalent ‚Ästhetik“ & „3-dimensionales Denken‘ gehört dazu aber auch geistige Freiheit. Wesentliche Eigenschaften ‚kreativer Individuen‘ sind, dass sie offen gegenüber dem Neuen, dazu flexibel sind und ein unabhängiges Urteil haben. Da sehe ich – noch – einen sehr großem Vorsprung vor den Asiaten.

Wem gehört Designpilot eigentlich und wer betreibt ihn?

Der COBURGER DESIGNPILOT ist im Rahmen der Tätigkeiten meines Lehrstuhles an der Hochschule Coburg entstanden. Er liegt auf dem Server der Hochschule und ist sozusagen mein geistiges Eigentum in der Methodik und digitalen Umsetzung. Dazu kommen natürlich auch die enorm wichtigen ‚Best-Practice-Beispiele‘ die ich zusammen mit den Studierenden erarbeitet habe.

http://www.masterdesign-coburg.de/en/home-en/

Bildquelle: Designpilot

Mehr Infos über die Web-App „DESIGN-PILOT“ findet Ihr auf DESIGNBOTE