Reparieren oder wegwerfen und neu kaufen? Wir alle, und damit meine ich ausdrücklich auch die Gestalter wissen es und erleben es täglich selbst: Die Innovationszyklen beim Produktdesign beschleunigen sich dynamisch, immer ‘neue’ Produkte vergreisen ästhetisch immer schneller wobei die Nutzungsdauer stetig abzunehmen scheint. „Viele Materialien und Konstruktionen sind weder dafür gedacht, noch dafür geschaffen, lange genutzt“ werden zu können, sagt Silke Langenberg. Und es gibt Indizien, dass die frühe technisch bedingte Verweigerung des Dienstes als gewollte Obsoleszenz ab Werk mitgeliefert wird. Ob sich ein Produkt überhaupt reparieren lässt, scheint nur wenige Konsumenten zu interessieren – wohlwissend, dass Neukauf meist ‘billiger’ ist.

Die deutsch-schweizerische Professorin Silke Langenberg schreibt: „Komplexe Konstruktionen, schwierige Materialien und industrielle Herstellungsprozesse haben nicht nur im Produktdesign, sondern auch in der Architektur dazu geführt, daß eine handwerkliche Reparatur oftmals gar nicht möglich ist.“ In ihrer Lehrveranstaltung ‘Reparatur. Anstiftung zum Denken und Machen’ wird die Reparaturfähigkeit von Produkten überprüft und diskutiert.

Doch umfasst Langenbergs Interesse für das Werden und Vergehen von Gebrauchsgütern auch unbewegliche Objekte. In einem anderen Seminar untersucht die studierte Architektin mit Masterstudenten denn auch natürliche und menschgemachte Ursachen, Gründe und Motive für die Zerstörung von Architektur und hinterfragt die Sinnhaftigkeit einer eventuellen Reparatur oder sogar Rekonstruktion.

Produktdesign – “Die Unlust am Defekten und der Wegwerfreflex” – Reparieren

Es gibt längst Beispiele für sinn- und nutzenstiftendes Reparieren. So lehrt uns die traditionelle japanische Reparaturkunst des Kintsugi, dass sich gesprungene Keramik durchaus reparieren lässt: Durch den raffinierten Einsatz von Gold kann ein Keramikprodukt dabei sogar ästhetisch und in der ihm entgegengebrachten Wertschätzung aufgewertet werden.

Als passionierter Kölner erinnere ich mich an die Erzählungen einer alten Dame von den legendären kölschen ‘Zebingemännsche’. Sie waren Hausierer, die noch bis Anfang des letzten Jahrhunderts gesprungenes Steingut mit Kitt und Draht repariert hatten. Namensstiftend war ihre Frage: “Hadder jet ze binge?”, oder “Haben Sie was zu binden?”

Und nicht zuletzt erinnere ich mich gerne an die ungezählten Billigautos, die ich als Student besessen hatte. Bremsen, Vergaser, Motoren und Karosserieteile – alles wurde repariert und bei Bedarf auch gewechselt. Heute undenkbar. Weil der Arbeitslohn die Kalkulation sprengen würde, wird Defektes nach elektronischer Diagnose schnell ausgetauscht.

In ihrem Buch “Reparatur. Anstiftung zum Denken und Machen” demonstriert Langenberg anschaulich was sich alles reparieren lässt und wie Möbel und technisches Gerät in bisweilen kreativ abgeänderter Form ein neues, zweites Produktleben eingehaucht wird. Ein interessantes Gespräch zwischen ihr und dem Direktor des Deutschen Museums Wolfgang M. Heckl erweitert dabei den Blick u.a. um ökonomische und philosophische Aspekte.

Produktdesign - reparieren

Prof Dr. Silke Langenberg (Copyright Christian Dietrich)

In einem Interview mit der Autorin erfuhr DESIGNBOTE einiges Erhellendes zum Thema Reparieren:

Frau Langenberg, sind Sie mit Ihren Vorlesungen und jetzt auch einem Buch angetreten, um der Kunst des Reparierens zu einer Renaissance zu verhelfen? Was treibt Sie um?

Vieles was heute neu entsteht ist von zu schlechter Qualität. Es ist wenig dauerhaft und wenn es dann Schaden nimmt, ist es nicht zu reparieren. Das gilt für Alltags- und Gebrauchsgegenstände, für Mode, Geräte – aber leider mittlerweile auch für viele größere Konstruktionen und eben auch für viele Gebäude.

Es geht mir eigentlich weniger darum, dass die Leute selber reparieren – auch wenn es natürlich schön wäre, wenn mein Buch sie ermutigt es öfter zu versuchen. Ich möchte vielmehr, dass sie nicht-reparaturfähige Dinge gar nicht erst kaufen. Dass sie sich auflehnen, gegen diesen ganzen Wegwerf-Wahnsinn. Und meine Studierenden möchte ich natürlich dazu bringen besser zu konstruieren. Sie müssen sich nicht nur Gedanken machen, wie etwas gefügt wird, sondern auch, wie Bauteile wieder getrennt werden können. Defekte Teile müssen ausgetauscht werden können.

Warum haben Sie das Buch geschrieben? Gibt es ein Publikum für das Thema?

Ich will es hoffen – und der Verlag Hatje Cantz hofft das sicher auch. Herausgegeben habe ich das Buch aus verschiedenen Gründen. Einerseits waren die Ergebnisse aus meinen Reparaturkursen einfach sehr schön. Das wollte ich gerne teilen und den Studierenden auch eine Bühne bieten, ihre Arbeiten zu zeigen. Darüber hinaus haben mich viele Kollegen – auch von anderen Hochschulen – auf den Kurs angesprochen und gemeint, dass das eine gute Idee wäre und sie einen solchen Kurs auch gern bei sich etablieren würden. Das fände ich toll. Das Buch kann dabei helfen und Ideen liefern – gleichzeitig wird aber auch die Urheberschaft der Hochschule München an diesem Kurs betont. Natürlich haben wir uns das Thema Reparatur nicht ausgedacht – da gebührt unser Respekt der großartigen Arbeit von vielen Reparatur-Initiativen, Repair-Cafés und Fablabs.

Wir waren nur die ersten, die das Thema an die Hochschule geholt haben. Und das ist wichtig. Denn die Architekten, Ingenieure und Designer von morgen müssen für das Thema Reparatur und Reparaturfähigkeit sensibilisiert werden – denn sie müssen die Grundvoraussetzungen schaffen, dass überhaupt repariert werden kann.

Wie kommt es, dass eine ‘Professorin für Bauen im Bestand, Denkmalpflege und Bauaufnahme’ so ein Faible für bewegliche Güter entwickelt?

Ich kann nicht sagen, dass ich ein besonderes Faible für bewegliche Güter habe. Ich schätze einfach gut gemachte, qualitätvolle Dinge.

In der Denkmalpflege ist die Reparatur im Übrigen ein bewährtes und übliches Konzept. Es gibt zahllose Publikationen zu dem Thema. Für die Denkmalpflege sind vermutlich in erster Linie die erweiterten Möglichkeiten der digitalen Fabrikation interessant und neu. Da liegt durchaus Potential.

In der niederländischen Südprovinz wurde die Cradle to Cradle-Philosophie zum politischen Leitbild. Das Venloer Rathaus wurde blitzschnell aus angeblich unproblematischen Materialien für eine Nutzungsdauer von 50 Jahren gebaut und soll sich danach restlos zerlegen, zerkrümeln und neu nutzen lassen.

Sie engagieren sich in Ihrer Lehre auch für den Erhalt älterer Bauten und sprechen ihnen einen Wert zu, der über den reinen Nutzen hinauszuweisen scheint.

Welche Bauten und Bauweisen kommen überhaupt in Frage? (Was ist mit dem Nachkriegs-Stahlbeton, der allenthalben zerbröselt) Welche Techniken und Materialien könnten bei Reparaturen zum Einsatz kommen?

Wichtig ist, dass die einzelnen Bauteile unbedenklich sind und dass sie sich gut voreinander trennen lassen. Zu vieles wird miteinander verklebt. Damit etwas dauerhaft ist, muss es sorgfältig hergestellt sein. Wenn heute so viele Bauten der Nachkriegszeit Schäden zeigen und in schlechtem Zustand sind, liegt das natürlich daran, dass sie in Zeiten des Mangels und dann auch noch sehr schnell errichtet werden mussten. Darüber hinaus sind sie aber häufig auch unzureichend gewartet und unterhalten worden. Wenn ich einen kleinen Schaden lange nicht beachte wird er natürlich größer und dann muss ich das ganze Objekt in Frage stellen. Wenn man kontinuierlich repariert und wo nötig Teile ausgetauscht hätte, wäre der Nachkriegsbestand in viel besserem Zustand. Wir können doch jahrzehntelange Versäumnisse beim Unterhalt nicht auf die ursprüngliche Konstruktion oder die verwendeten Materialien schieben. Da machen wir es uns etwas zu einfach.

Woraus wäre denn, mal ganz volkstümlich, Ihr ideales Gebäude (bzw. Produkt) zu konstruieren und woraus sollte es bestehen?

Aus natürlichen und möglichst regionalen Materialien, die sich im Bauwesen bereits bewährt haben. Da haben wir nämlich Erfahrungswerte. Im Produktdesign sollten zumindest unbedenkliche Materialien verwendet werden. Kunststoffe sind das meistens nicht.

Woher rührt Ihr Interesse am Handwerk und an handwerklich geprägten Reparaturtechniken?

Das ist im Bereich der Denkmalpflege normal denke ich. Wenn man ein historisches Objekt fachgerecht reparieren möchte, wird man sich mit der ursprünglichen Technik auseinander setzen müssen und diese wenn möglich auch wieder anwenden. Das gleiche gilt aber auch für neuere Objekte . nur das ist es eben schwieriger. Ein handwerklich hergestelltes Erzeugnis kann man in der Regel auch handwerklich reparieren. Bei einem Industrieprodukt brauche ich in der Regel ein ebenfalls industriell hergestelltes Ersatzteil. Wenn es das nicht mehr gibt kann mir die digitale Fabrikation helfen ein einzelnes Teil passgenau herzustellen. Dann ist es nur noch wichtig, dass ein Austausch grundsätzlich und konstruktiv überhaupt möglich ist.

Welche Rolle spielt in Ihrem Ansatz der 3D-Drucker, der ja bisher nicht in vielen Haushalten zu finden ist?

Wie ich gerade erwähnt habe – bei der Herstellung von Ersatzteilen, die anderweitig nicht verfügbar sind. Die kann ich mit dem 3D-Drucker einfach herstellen.

Produktdesign - reparieren

Bankerleuchte vorher

Produktdesign - reparieren

Bankerleuchte nach der Reparatur mittels 3D-Druck

Sollte das Reparieren populärer werden, halten Sie neue Berufsbilder jenseits des Konstruierens, Bauens und Produzierens für denkbar?

Ja, das Reparieren sollte populärer werden. Das geht aber nur, wenn die Konstruktion das grundsätzlich erlaubt. Es braucht ein Umdenken bei der Planung, Konstruktion und Produktion – sonst bleibt das Reparieren unnötig erschwert und mühsam.

Das MacBook meiner Frau hat eine neue Tastatur. Vor zwei Wochen habe ich in unserem alten Haus ein Eichenfenster repariert, geschliffen und mit Leinöl gestrichen. Die kleine Motorhacke von anno 1996 (mit dem heiklen Winzvergaser) knattert wieder fröhlich durch den Acker und im Stall ist eine neue Scheibe eingekittet. Was lernen motivierte Reparierer wie ich Nützliches aus Ihrem Buch?

Dass sie nicht alleine sind und dass es sich lohnt, sich für das Thema Reparatur einzusetzen! Ich würde mir wünschen, dass möglichst viele „Reparierer“ mein Buch verschenken. Sie selbst sind ja schon sensibilisiert für das Thema – das Buch soll helfen noch mehr Leute für das Thema zu begeistern und die herrschende Wegwerf-Mentalität zu hinterfragen. Wenn alle sich weigern würden, nicht reparaturfähige Produkte zu kaufen, dann müssten die Hersteller umdenken.

Die Probleme sind nicht mehr zu übersehen und dennoch ist der Wachstumswahn ungebrochen. Die weltweite Produktion beschleunigt sich sogar. Ist für Sie eine Kultur denkbar, die mit wenigen, dafür langlebigeren Gütern auskommen könnte? Steht evtl. schon eine Zivilisation der Knappheit vor der Tür? 

In Zeiten des Mangels schätzen wir langlebige, qualitätsvolle Dinge. Wenn man sich nur eine Lampe kaufen dürfte, die dann aber 50 Jahre funktionieren muss, wählt man sich sicher kein billiges Plastikteil. Ich kann aber nicht sagen, dass ich mir deshalb Knappheit bewusst wünschen würde. Wichtig wäre aber ein Bewusstwerden, dass unsere Ressourcen nicht unerschöpflich sind. Das müsste eigentlich jedem klar sein.

Ließen sich die Produktion und Nutzung von Gütern anders gestalten, ohne dass die Wachstumsapostel aufschreien?

Sie haben das ja schon angesprochen – es gibt vermutlich einen Markt für Reparaturen. Das könnte ein neuer Zweig werden. Grundsätzlich denke ich aber mit Blick auf unsere Ressourcen noch vor Reparatur und Recycling sollte die Strategie Vermeidung kommen. Weniger produzieren – dafür aber besser.

Herzlichen Dank Frau Prof. Dr. Silke Langenberg dass Sie Zeit für uns hatten.

http://silkelangenberg.com

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