Fragen an Frau Professor Barbara Kotte zur Publikation „Polychrom – Diversity is the key“ über die Wirkung von Diversität in Start-Ups. Ein Seminar an der Hildesheimer Fakultät Gestaltung der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen unter Leitung von Prof. Barbara Kotte hatte das Thema: „Start-ups und Diversität“

Bei diesem Pilotprojekt im Wintersemester 2018/19 untersuchten Studierende mit verschiedenen Hintergründen und Kompetenzen im 1. Mastersemester die Chancen, Potenziale und Effekte von Diversität in Start-Ups. „Ziel des Kurses war die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen von Vielfalt, um eine Meinung dazu zu entwickeln und einen Standpunkt zu diesem wichtigen und aktuellen Thema vertreten zu können.“ (Quelle: http://www.polychrom.online/)

Die vertretenen Disziplinen: Advertising Design, Architektur, Branding Design, Digitale Medien, Farbdesign, Grafikdesign, Illustration, Industriedesign, Innenarchitektur, Lighting Design, Metallgestaltung, Modedesign, Produktdesign.

Diversität, also die Vielfalt in Geschlecht und Herkunft, ist kein „nice to have“, sondern beeinflusst messbar die Innovationskraft und den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen,“ so die Studie, die zum Kurs publiziert wurde.

DESIGNBOTE ließ sich die Hintergründe von Frau Prof. Barbara Kotte erläutern.

Prof. Barbara Kotte

Für wen lohnt sich die Lektüre Ihrer Studie „Polychrom – Diversity is the key“ und warum?

Unsere Einblicke in die Start-up-Szene sind für Designerinnen und Designer genauso interessant wie für alle, die sich in die Start-up-Szene begeben wollen – oder schon mitten drin sind.“

„Bei jedem dritten Start-up ist ein Designer Gründungsmitglied. Doch nur 14,6 % der Start-ups werden von Frauen gegründet. Da die Fakultät Gestaltung der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Designerinnen und Designer ausbildet und bei uns etwa 65 % der Studierenden weiblich sind, ist Diversität in Start-ups für uns ein Thema.“ (Quelle http://www.polychrom.online/)

Was war der Anlass für die Untersuchung?

Ich bin davon überzeugt, dass Diversität ein Schlüssel zur Bewältigung vieler Herausforderungen unserer Zeit ist. Denn in Zeiten von Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit – in denen wir zweifelsohne leben – ist vor allem die Summe möglichst unterschiedlicher Teile der Weg zur Bewältigung von unwägbaren Zukunftsszenarien. Gleichzeitig ist aber auch die diverser werdende Gesellschaft an sich eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen und stellen sollten, um nicht in alten, verstaubten Strukturen stecken zu bleiben.“

Wie hoch waren die Kosten und wie wurde die Studie finanziert?

Finanziert wurde das Projekt aus Gleichstellungspolitischen Mitteln der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst – wofür ich sehr dankbar bin. Mit der Förderung von 5.000 Euro konnten wir sämtliche Reisekosten, Produktions- und Hostingkosten abdecken.

Nicht wenige Menschen sehen die Gründe für die oben beschriebenen Zeiten in einer zu großen vor allem ethnischen Diversität und hegen deswegen Ängste. Nicht alle Menschen teilen die optimistische Sicht, dass gerade diese Diversität ‚als Schlüssel zur Bewältigung unwägbarer Zukunftsszenarien gilt‘.
Was entgegnen Sie Zweiflern?

Angst ist immer ein schlechter Berater. Insbesondere diffuse Angst, die man an nichts richtig festmachen kann. Um es also konkreter zu machen: Es gibt ausreichende Studien aus der Diversitätsforschung, die die Potentiale von Diversität belegen. Eine McKinsey-Studie, auf die wir uns auch in unserer Publikation beziehen, belegt sogar, dass Unternehmen, die eine ethnische Vielfalt aufweisen, wirtschaftlich deutlich messbar eine höhere Rendite erzielen.

„Im Female Founders Monitor werden insgesamt 1.823 Start-ups analysiert, die sich zusammensetzen aus 145 Start-ups, die ausschließlich von einer oder mehreren Frauen gegründet wurden, 1.311 Start-ups, die ausschließlich von einem oder mehreren Männern gegründet wurden und 367 Start-ups, die von weiblichen und männlichen Teammitgliedern gegründet wurden. Somit sind in insgesamt 28,1% aller untersuchten Start-ups (Mit)Gründerinnen vertreten.“ (Quelle: Female Founders Monitor) 

In welchem Maße flossen die Zahlen des ‚Female Founders Monitor‘ als Datenbasis in Ihre Untersuchung ein? Gab es weitere Datenquellen, die genutzt wurden?

Unsere Recherchephase war lang – nicht alle Datenquellen haben den Weg in die Publikation gefunden – einige aber schon. Übrigens nahezu allesamt als Infografiken visualisiert. Interessant sind aber vor allem die zahlreichen Experteninterviews, die das Team selbst geführt hat.

Welcher Art sind die Beiträge der beiden ‚Diversitätstypen‘ zum Erfolg der untersuchten Start-Ups? Wissen Sie Genaueres?

Hier kann ich direkt die McKinsey-Studie „Delivering through diversity“ zitieren: „Unternehmen, die im Bereich der Geschlechterdiversität im oberen Viertel stehen, haben eine um 15 % höhere und Unternehmen, die im Hinblick der ethnischen Vielfalt im oberen Viertel stehen, haben eine um 35 % höhere finanzielle Rendite in Relation zum Mittelwert der jeweiligen Branche.“ 

Wie war der konkrete Untersuchungszeitraum, was war Ihre Vorgehensweise, was die einzelnen Schritte?

Studien und Veröffentlichungen zur Diversitätsforschung, insbesondere im Kontext von Diversität waren unser erstes „Futter“ und natürlich auch Basis für die Auseinandersetzung im Team. Im weiteren Verlauf war es vor allem eine qualitative Auseinandersetzung durch die schon erwähnten Experteninterviews. Und diese sind auch der wichtigste Bestandteil unserer Publikation.

In Ihrer Studie heißt es: „… weniger als 15 Prozent der Start-ups (werden) von Frauen gegründet.“ Sind die Gründe bekannt? (Un-)Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Erhalten und Bewahren versus Erobern? Systemische Rollenprägung? Andere Gründe?

Das ist noch mal ein neues Thema. Alles, was ich dazu sagen könnte, wären Mutmaßungen. Und da halte ich mich gern zurück ­– ist das auch typisch für eine Frau? Hätte ein Mann hier eine Antwort parat gehabt?

Warum lag der Fokus auf Neugründungen? Gibt es Erkenntnisse zur Lage in bereits etablierten Unternehmen?

Da Start-ups für Designerinnen und Designer ein besonders interessanter Arbeitsmarkt sind (wie anfangs erwähnt sind sie an jedem dritten Start-up als Gründer oder Gründerin beteiligt und nahezu in jedem arbeitet einer oder eine) und wir eben Designerinnen und Designer sind, haben wir uns auf dieses Feld fokussiert.

Welche Ursachen für die innovationsfördernden Effekte von Diversität konnten Sie im Rahmen Ihrer Untersuchung identifizieren?

Wir haben vor allem qualitativ gearbeitet. Quantitative Aussagen dazu trifft aber sehr beeindruckend die Studie der Boston Consulting Group und der TU München „The Mix that Matters“. Dort wird ein deutlicher Zusammenhang zwischen Diversität und Innovationskraft in Unternehmen aufgezeigt.

Wie war das 17-köpfige Untersuchungsteam bezüglich ethnischer Herkunft und der Geschlechter zusammengesetzt?

Wir waren sieben Männer und zehn Frauen – zwei aus China, zwei aus Iran, 13 aus Deutschland. Die Altersspanne ging von 20 bis 44 Jahren – und da bin ich noch nicht mit einbezogen.

Polychrom Team

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer Untersuchung?  Wer sollte jetzt was tun? Was muss sich ändern?

Vor mehr als zehn Jahren wurde die Charta der Vielfalt als Arbeitgeberinitiative zur Förderung von Vielfalt in Unternehmen und Institutionen gegründet. Damit ist das Thema Diversität hoch aufgehängt. Die Schirmherrschaft des Vereines, der dahintersteht, hat niemand geringeres als Dr. Angela Merkel übernommen. Doch in Start-ups, den jungen Unternehmen also, die unsere Zukunft bestimmen, ist das Thema Diversität eher durch Zufall bestimmt. Das sollte sich ändern.

Werte Frau Prof. Kotte, DESIGNBOTE dankt Ihnen herzlich für Ihre Mitwirkung!

http://www.polychrom.online/

www.instagram.com/polychrom.online

Die Publikation zum Download:
http://www.polychrom.online/Diversity_Innenteil_Issue.pdf