“Digitales Gestalten ist wie Malerei. Mit dem Unterschied, dass die Farbe niemals trocknet.” Neville Brody* 1977 begann Punkrock das kulturelle Leben in London zu prägen. Auch das des jungen Neville Brody (*1957). Seine Dozenten waren davon nicht so begeistert. Irgendwann wäre er fast vom London College of Printing geflogen, weil er den Kopf der Königin in respektloser Weise auf einen Briefmarkenentwurf platziert hatte. Er konnte aber Poster für die Studentenkonzerte an der Hochschule gestalten, unter anderem auch für Pere Ubu, mit The Human League als Support-Act. Obwohl vom Punk inspiriert, untersuchte Brody in einer Arbeit im ersten Studienjahr die Beziehungen zwischen Dadaismus und Pop-Art.
Neville Brody – Die Achtziger: Art Direction
Nach seinem Grafikdesignstudium machte Neville Brody in den frühen 1980ern mit innovativen, oft kontrovers diskutierten Entwürfen von Plattencovern von sich reden. Der Londoner (*1957) war damals als Musikfan und Liebhaber der Kunst der 60er und 70er Jahre fest in der britischen Underground- und Independentszene verwurzelt. Als Art Director bei dem Industrial- und Elektrolabel Fetish Records mit Künstlern und Bands wie u.a. 23 Skidoo, Bush Tetras, Stephen Mallinder, Depeche Mode, Cabaret Voltaire und Throbbing Gristle gestaltete Brody Plattenhüllen mit einem ganz eigenständigen, visuellen Idiom. Stilistisch immer noch stark vom Punk und dessen aufsässiger Antistilistik, aber auch einem gewissen Tribalismus beeinflusst, tobte sich Brody auf Plattencovers mit eklektizistischen Collagen aus, entwickelte für Bandnamen und Texte eigene Schriften und lockerte der damals formal erstarrten Typografie die Zügel.
Besondere Beachtung fanden Neville Brodys grundstürzende Layoutexperimente für das Style-Mag The Face (1981-1986), für das er eigens den Grotesk-Schnitt ‘Industria‘ aber auch handgezeichnete Alphabete entwarf. Als Layouter beim Fashion-Magazin Arena schuf er u.a. die Schriften Buffalo und Arcadia und beschritt dort 1987 bis 1990 mit einer minimalistischen Typografie völlig neue Pfade.
Er prägte die Gesichter von Magazinen und Zeitungen wie Lei, City Limits (1983-1987) und Per Lui und überarbeitete später auch die britischen Presse-Ikonen The Guardian und The Observer.
Neville Brody hatte mit seinen computergestützten Entwürfen schnell auch großen Erfolg außerhalb Englands und gründete 1987 sein Londoner Büro The Studio.
Seit 2011 ist Neville Brody Dekan an der School of Communication am Royal College of Art.
Brody’s radikale, bisweilen fast unleserlichen Entwürfe etablierten ihn – ähnlich wie David Carson for Ray Gun u.a. in den USA – als Revolutionär einer Typografie an der Schwelle zur beginnenden Digitalisierung. Diese Digitalisierung hat für Brody die Typografie demokratisiert und für jedermann zugänglich gemacht. Dass jetzt praktisch endlich jeder mit Hilfe des Computers Schriften entwerfen oder auch im Schlafzimmer Musik aufnehmen konnte, sollte weltweit für einen kreativen Schub sorgen.
Seine von einer Ausstellung im Victoria and Albert Museum begleitete Werkschau The Graphic Language of Neville Brody (Thames & Hudson, 1988), verkaufte sich weltweit über 120.000 Mal. Brody’s Font Blur wurde in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommen. Damit darf der britische Designer als einer der populärsten Grafikdesigner seiner Generation gelten.
Zwar sträubte sich Brody gegen die kommerzielle Vereinnahmung seiner Stilistik, konnte aber nicht verhindern, dass sie in den Achtzigern schon bald im Anzeigendesign, in Produktausstattungen und Presseprodukten kopiert wurde. Man feierte ihn allgemein für seine anarchistischen Gestaltungsideen, die Layout, Illustration und Foto mit schräger Typografie kombinierten. Brody wurde zu einem Pionier des digitalen Schriftdesigns, bewahrte sich aber dabei immer einen gewissen handwerklichen Look. 1991 gründete Brody mit dem Grafikdesigner Jon Wozencroft (*1958) das experimentelle Typografiemagazin FUSE, eine Kompilation experimenteller Fonts und Plakate, das die Beschränkungen von Typografie und Grafikdesign radikal auslotete. Eine komplette FUSE-Retrospektive mit allen Ausgaben ist beim TASCHEN-Verlag erschienen. 1990 startete Brody in Kooperation mit dem deutschen Typografie-Doyen Erik Spiekermann (1947) die digitale Schriftenschmiede FSI FontShop International. Brody ist im Übrigen auch eines der Gründungsmitglieder der Website Fontworks, für die er zahlreiche bekannte Schriften entwarf.
1994 gründete Neville Brody das Londoner Grafik-Büro Research Studios, dessen Erfolg ihn schon bald zur Gründung von Ablegern in Paris, Barcelona und Berlin ermutigte. Das Studio befasst sich mit der Gestaltung unverwechselbarer Stilsprachen u.a. für das Presse- und Verlagswesen und die Filmindustrie und umfasst dabei auch die Disziplinen Verpackung, Webdesign, Bildschirmgrafik und Corporate Identity für Kunden wie u.a. Kenzo, Homechoice und die Paramount Studios.
Vom britischen Zeitungsurgestein The Times bekam Brody den Auftrag, den grafischen Auftritt des Nachrichtenteils zu modernisieren: Er setzte fette, serifenlose Headlines ein und schnitt eigens für diesen Job den neuen Font Times New Roman.
Ab 2004 nahmen sich Brody und sein Team des Brandings und der Neupositionierung der Luxusbrause Dom Pérignon an. Neville Brody steuerte die dahinsiechende Champagnermarke wieder in Richtung zeitgenössisch, snobbish und elegant, was auch durch die neugestaltete Verpackung kommuniziert wurde.
2010-11 übernahmen Brody’s Research Studios das Redesign der ‘Global Visual Language’ des britischen Senders BBC und justierten diese in Richtung klar, unterscheidbar und weltweit gültig.
Zu Brodys erlauchter Kundschaft zählen das Berliner Haus der Kulturen der Welt (Corporate Identity), Greenpeace, die niederländische PTT, der deutsche TV-Sender Premiere (Jetzt SKY), das österreichische ORF (1991) und viele andere. Heute ist Brody in erster Linie im elektronischen Kommunikationsdesign unterwegs.
Bildquelle:
Reinhard Jahn, 24. Oktober 2005, Industria-solid, CC BY-SA 3.0
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