Der Bildhauer und Grafiker Eduardo Paolozzi (*Edinburgh 1924 +London 2005) gilt als einer der innovativsten und provokantesten Künstler der britischen Nachkriegsmoderne. Er war Mitbegründer der einflussreichen Londoner ‘Independent Group’, einer Gruppierung unkonventioneller britischer Maler, Bildhauer, Architekten, Autoren und Kritiker, die sich 1952 bis 1962/63 regelmäßig am Institute of Contemporary Arts traf und dort auch mehrere Ausstellungen organisierte, u.a. die von Marshall McLuhans Medientheorie inspirierte Schau ‘This Is Tomorrow‘. Die Gruppe führte Elemente aus Populärkultur und Werbung in den Diskurs über die ‘Hochkultur’ ein, bewertete die Moderne neu und brach mittels einer Ästhetik des ‘Gefundenen’ bzw. des ‘Objèt Trouvé’ mit ästhetischen Konventionen.
Schon in den Vierzigern ließ sich Paolozzi für seine Collagen von der Alltagskultur inspirieren. Sein meist wüster Cocktail aus krachbunten Autos, Aliens, Pin-Ups und Comics nahm das vorweg, was man ab Mitte der Fünfziger Jahre als ‘Pop Art’ bezeichnen sollte. Die Technik der Collage wandte Paolozzi in der Folge auch auf Druckgrafik und Skulptur an, er nutzte Siebdruck und Sampling. Zeigten seine frühen Pop-Collagen noch eher imaginierte Welten, so kritisierte Paolozzi später die gesellschaftlichen Effekte der Technik. Technisch und wissenschaftlich interessiert, erkundete er die Berührungszonen von Mensch und Maschine.
Die Ausstellung basiert auf der Retrospektive der Whitechapel Gallery in London 2017, die vom 16. Februar bis 14 Mai 2017 das Gesamtwerk des Künstlers gezeigt hatte. Anders als in London fokussiert die Berlinische Galerie indes auf Paolozzis experimentelle Phasen.
Inspiriert von der damaligen Gegenwartskunst schuf Paolozzi in den 40er- bis 70er-Jahren ein höchst individuelles, anspielungsreiches Werk, das international stark beachtet wurde.
Die Ausstellung präsentiert die wichtigsten Arbeiten aus internationalen privaten und öffentlichen Sammlungen und schlägt einen Bogen von Paolozzis surrealistisch beeinflusstem Frühwerk über frühe Collagen und brutalistische Skulpturen bis hin zu Skulpturen und Grafiken der 60er- und 70er-Jahre. In dieser Werkphase nutzte der Künstler, seiner Zeit voraus, radikal neue Materialien, industrielle Produktions- und Reproduktionstechniken. Die Berlinische Galerie integriert zahlreiche Arbeiten aus der eigenen Sammlung und widmet Paolozzis Zeit in West-Berlin einen eigenen Raum. 1974/75 arbeitete Paolozzi in einem Kreuzberger Atelier an Grafikserien und Reliefs in denen grafische und lineare Elemente zu abstrakten Kompositionen verschmelzen, die an Stadtpläne, Landkarten oder elektronische Platinen denken lassen.
Katalog
Der Katalog in deutscher Sprache basiert auf dem englischsprachigen Katalog der Whitechapel Gallery mit einer Auswahl der Essays und einem zusätzlichen Berlin-Kapitel. Anhand neuer Forschungsergebnisse von unter anderem Daniel Herrmann, Hal Foster und Jon Wood stellt er den Künstler in einen internationalen Kontext und bewertet sein Oeuvre neu.
270 S., ca. 200 farbige Bildtafeln, Deutscher Kunstverlag, 29,80€
Berlinische Galerie
Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin
Öffnungszeiten
Mittwoch–Montag 10:00–18:00 Uhr
, Dienstag geschlossen
www.berlinischegalerie.de
PS.:
Ein Paolozzi-Entwurf ist übrigens auch die begehbare Brunnenlandschaft zu Füßen des Doms am Kölner Rheinufer.
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