Wer hinter den bekannten Monotype-Schriften steckt, zeigt DESIGNBOTE in der Serie “Inside the Monotype-Studio”. Die interessanten Interviews bieten einen Einblick in das kreative Schaffen eines jeden Designers und zeigen den jeweiligen Werdegang auf. Zudem gibt jeder Schriftgestalter einen kleinen Auszug aus seinen bekanntesten Projekten preis. In den ersten beiden Teilen unserer Serie standen bereits Type-Designer Jan Hendrik Weber sowie sein Monotype-Kollege, der Schriftgestalter Alexander Roth, Rede und Antwort. Im dritten Teil nimmt uns Schriftdesigner Akira Kobayashi mit in seinen kreativen Alltag der Schiftentwicklung.

Nach vierjährigem Studium an der Musashino Art University in Tokio startete Akira Kobayashi seine Karriere als Type Designer beim japanischen Fotosatzhersteller Sha-Ken Co. Im Jahr 1989 studierte er Kalligraphie und Typographie in London, arbeitete anschließend als freiberuflicher Type Designer und gewann zahlreiche internationale Auszeichnungen. 2001 zog er nach Deutschland um seine jetzige Position bei Monotype als Type Director anzunehmen.

Im Jahr 2002 veröffentlichte Akira die Schriftenfamilie Optima Nova – eine Modernisierung des Optima-Designs von Hermann Zapf – und 2009 arbeitete er mit Adrian Frutiger zusammen, um seine gleichnamige Schriftfamilie zu modernisieren. In jüngster Zeit leitete er die Entwicklung von Tazugane Gothic, der ersten japanischen Originalschrift von Monotype.

Tazugane Gothic vereint die Lesbarkeit der lateinischen Frutiger mit den Traditionen der japanischen Schreibkunst. Zudem ist Akira regelmäßig als Referent bei internationalen Type-Konferenzen und ist als Juror in angesehenen internationalen Designwettbewerben tätig.

DESIGNBOTE: Herr Kobayashi, wie kamen Sie zur Schriftgestaltung?

Akira Kobayashi: Ich glaube, dass ich in den frühen 1970er Jahren meine Leidenschaft für das Entwerfen von Schriften entdeckt habe. Damals war ich 12 oder 13 Jahre alt. Schon das Zeichnen von Bildern mit Bleistift und Wasserfarben faszinierte mich und ich liebte es auch, Poster für Schulveranstaltungen und andere Festivitäten zu zeichnen. Eines Tages entwarf ich ein Poster mit schönem Schriftzug, dass ich viel besser fand als die Entwürfe, die ich vorher gemacht hatte. Und ich realisierte, dass ein Poster etwas anderes ist als ein reines Kunstwerk. Denn Poster oder Plakate sollen Botschaften vermitteln, die durch geschriebene Wörter ausgedrückt werden. Illustrationen können Poster verschönern, also attraktiver machen, aber wodurch sie wirklich funktionieren, sind die geschriebenen Informationen, die man auf ihnen sieht.

Später begann ich, mir selbst Schriftzeichnen beizubringen. Zu dieser Zeit kannte ich den Begriff „Schriftzeichnen“ oder „Lettering“ noch nicht, und ich wusste auch nicht, dass hierzu im Buchhandel Lehrbücher erhältlich waren. Ich verwendete japanische Kanji-Zeichen, um Überschriften für Zeitungen zu erstellen, um im Schriftzeichnen Übung zu bekommen.

Frühe Skizzen von Tazugane kana

In den 1980er arbeitete ich bei einer Firma in der Nähe von Tokio als Schriftdesigner. Dort habe ich ein Buch von Hermann Zapf gelesen, das mein Interesse von japanischen auf lateinische Schriften gelenkt hat. Das war der Wendepunkt meines Lebens.

Auf welche Projekte sind Sie besonders stolz?

Zwei Projekte: meine erste digitale Schrift und die neuste. Die erste ist die FF Clifford, womit ich Grand Prix von U&lc international typeface contest gewonnen hatte. Ich erinnere mich den allerersten Moment, als ich Gerard Unger kennenlernte. Seine Reaktion war: „Oh, you’re the designer of the Clifford typeface, right?“ Meine Schrift hatte mich schneller präsentiert, als ich es selbst konnte. Ich bin auch der künstlerische Leiter der Tazugane Gothic, die allererste japanische Schrift von Monotype. Das Projekt ist eine Fusion meiner Fähigkeiten – sie ist eine passende japanische Schrift zur Neue Frutiger, die ich mit Adrian Frutiger leistete.

Wer sind Ihre Design-Helden für Sie als Schriftdesigner?

Hermann Zapf und Adrian Frutiger. Ich war sehr glücklich, wenn ich wusste, dass ich mit ihnen arbeiten durfte. Unsere größten Helden, Hermann Zapf und Adrian Frutiger. sind leider nicht mehr da, aber bis kurz vor dem Tod hatten Sie wirklich Interesse und Motivation, ihren Klassiker zu verbessern. Sie hatten sogar neuen Ideen. Ich habe mit Hermann von 2001 bis 2009 zusammengearbeitet, mit Adrian von 2002 bis 2009. Auch nach den geschäftlichen Projekten hatte ich sie ab und zu besucht. Bei den Projekten hatten die Helden immer noch einen klaren Kopf und gute Augen. Sie brauchten nur eine kleine Hilfe, um die Idee mit Präzision zu digitalisieren. Ich machte die Digitalisierung, um die Vorschläge und die neuen Ideen zu realisieren.

Frühe Skizzen von Tazugane kana

Während der Schriftentwicklung besuchte Hermann sehr gerne mein Büro, um mit mir zu arbeiten. Um 8:15 war er im Büro, er fuhr eine Dreiviertelstunde von seinem Haus in Darmstadt bis in mein Büro in Bad Homburg. Er saß mit mir den ganzen Tag bis um 17:00 Uhr, arbeitete tatsächlich ganz konzentriert nur mit 20 Minuten Mittagspause. Kaffeepause brauchten wir gar nicht, weil keiner von uns Kaffee trank. Anfangs gab er mir präzise Anweisungen, was zu verbessern war, aber durch unsere Zusammenarbeit wurden diese nur noch zu: „Akira, könnten Sie bitte diesen Buchstaben besser machen?“

Ich erinnere mich auch an den erstaunlichen Moment ganz genau, als Adrian eine Schriftprobe der Neue Frutiger (2008–9) in Arbeit auf 24 Punkte prüfte und sagte: „Akira, das ‘o’ steht nicht in der Mitte“. Er hatte recht, tatsächlich war der Wert des Left-sidebearings 60, Right-sidebearing 61, wo normalerweise beide Seiten den gleichen Wert haben sollte. Im Alter von 80 bemerkte er nur eine Einheit Unterschied!

Wo finden Sie als Schriftdesigner Inspiration?
Alles, das man liest. Aber besonders interessiere ich mich für Informationen im öffentlichen Bereich; zum Beispiel Buchstabenformen an Straßenschildern, Informationstafeln und handgemalte Schilder. Ich habe eine gute Sammlung der Buchstaben an Feuerlöschern aus Japan und aus anderen asiatischen Ländern. Ich bin sehr neugierig, dass sie in normalen Umständen fast unauffällig sind, aber sie stechen hervor, wenn man sie im Notfall braucht. Ist das nicht wie eine gute Hotelbedienung? Alle guten Brotschriften müssen so sein.

Was ist Ihrer Meinung nach der wichtigste Trend im Schriftdesign?

Der wichtigste Trend im Schriftdesign ist aus meiner Sicht der Anstieg der humanistischen serifenlosen Schriften. Ich rede nicht über den Trend dieses Jahres, sondern den größten Trend in fünf Jahrzehnten. Früher war Einförmigkeit wichtig; zum Beispiel haben das “c” und “e” von Helvetica fast gemeinsame Außenform wie das “o”. Buchstaben in humanistische Serifenlose wie Neue Frutiger oder Frutiger kann man leicht vom “o” unterscheiden, weil die Breite ganz anders ist. Jeder Buchstabe kann anders aussehen, das ist der Trend in den letzten 50 Jahren. Schaut mal den Einmarsch der olympischen Spiele aus den 60ern. Die Athletinnen und Athleten marschieren wie Formaldienst – eins, zwei, links, rechts, total intakt, wie Roboter! So was ist aber heute fast undenkbar. Wir wissen, dass jeder Buchstabe anders ist, so sollen sie anders aussehen. Dies bezieht sich auf unseren Lifestyle, oder nicht?

Vielen Dank für dieses sehr interessante Interview und den Einblick in Ihre Arbeit als Schriftdesigner, Herr Kobayashi!

Frühe Skizze von Tazugane Kanji

Bildmaterial: Monotype