„Nach dem Rausch der Möglichkeiten kommt auch wieder die Phase, in der wir weglassen, verzichten, minimalisieren,
quasi auf digitale Diät gehen, Materialitäten wertschätzen, Texturen haptisch erleben und feststellen,
dass wir Menschen nicht reine Augentiere sind.“ Prof. Roland Lambrette

 

DESIGNBOTE im Gespräch mit Prof. Roland Lambrette, Rektor der Hochschule für Künste in Bremen

Herr Lambrette, Sie wurden vom Art Directors Club für Ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Bitte geben Sie uns doch einen kurzen Einblick in Ihren beruflichen Werdegang. Was genau verstehen Sie persönlich als „Ihr Lebenswerk“?

„Die Perspektive auf „mein Lebenswerk“ habe ich noch nie eingenommen. Ich verstehe mich eher als Teil verschiedenster Kontexte, in denen durch das Zusammenwirken von vielen jeweils etwas entsteht, was man ein Werk nennen kann. In diesem Sinne arbeite ich seit einem Jahr als Rektor der Hochschule für Künste Bremen. Dort bin ich eigentlich nur interimistisch eingesprungen, weil die Berufung eines designierten Kollegen scheiterte. Beim Machen habe ich Lust auf die Aufgabe gewonnen und mich dann selbst beworben. Ich lasse mich sehr gerne durch Zufälle leiten und greife zu, wenn sich neue und vielversprechende Aufgaben ergeben. Was mich antreibt, ist das, was ich noch nie vorher gemacht habe. Die Lust am Risiko, die Bereitschaft mich einzulassen, neugierig zu sein und das Scheitern einzukalkulieren – und es zugleich möglichst zu verhindern. Das hat meinen ganzen Lebensweg geprägt. Wenn Sie so wollen, ist dieser Weg mein Werk. Im Kern ist es die ‚Kommunikation im Raum’. Das heißt, Situationen zu schaffen, die im besten Fall Haltungen und Einstellungen verändern, die alle Sinne aktivieren und für den Besucher relevant sind. Das können Ausstellungen in Museen sein, Stadtinszenierungen, Bühnenproduktionen, Markenauftritte. Mir kommt es jedes Mal darauf an, wieder ganz von vorne anzufangen, die Themenstellungen und Formate zu hinterfragen und sich mit den anderen am Projekt Beteiligten auf den Reiz und das Risiko des Neuen einzulassen.“

Roland Lambrette im Portrait. Aufgenommen am 12.09.2013 in Frankfurt.

Roland Lambrette im Portrait. Aufgenommen am 12.09.2013 in Frankfurt.

Sie gelten als Vorreiter des Kommunikationsdesigns im Raum. Wie hat sich die Präsentation auf Messen und Veranstaltungen, in Museen und Galerien seit Beginn der Digitalisierung verändert? Hat Interdisziplinarität heute eine andere Bedeutung bei der Gestaltung von Kommunikation im Raum als zu Beginn Ihres beruflichen Werdegangs?

„In der Tat, es hat lange gedauert, bis wir beispielsweise im ADC die Kommunikation im Raum als eigene Disziplin etabliert hatten. Am Anfang galten wir als Event-Fuzzis und Messebauer, auf die eher herabgeschaut wurde. Heute sind wir anerkannte und gefragte Generalisten, die sich eben auf die Kombination der Genres und Kanäle verstehen und sie zusammenführen können. Diese Qualifikation wird immer wichtiger, weil die Aufgaben immer komplexer werden und die Ereignisse immer mehr können sollen. Seit den Tagen des Bauhauses ist der interdisziplinäre Ansatz immer zwingender geworden. Und da braucht es Leute, die interdisziplinär vermitteln, steuern und zusammenführen können.

Was sich durch Digitalisierung am meisten verändert hat, sieht man nicht auf den ersten Blick. Das ist der gesamte Gestaltungs- und Planungsprozess. Vom Entwurf über die Visualisierung eines Konzeptes bis zum Bau und dem Einsatz von Licht und Medien spielen digitale Werkzeuge eine entscheidende Rolle. Sie ermöglichen vieles und lassen sich nicht mehr wegdenken. Aber das kann auch Nachteile haben. So kann zum Beispiel die mit digitalen Tools hergestellte und scheinbar realistische Visualisierung einer ersten Idee den Prozess sozusagen vorschnell einfrieren und damit die künstlerische Weiterentwicklung behindern – wenn nicht gar stoppen.  Auch deswegen spielen  an unserer Hochschule die gestalterischen Grundlagen und tradierten Darstellungsmethoden, das Handwerkliche und die Werkstätten, eine ebenso wichtige Rolle wie die digitalen Medien.

In der Kommunikation setzen die digitalen Medien das analoge Ereignis schwer unter Druck. Jedes noch so kleine Projekt will heute über alle Kanäle verbreitet werden. Alles will gestreamt sein und wird nur zu einem weiteren Höhepunkt in einer Customer Journey, die auch nach dem Ereignis noch lange nicht vorbei ist.“

 

Glauben Sie, dass die heutigen digitalen Möglichkeiten (Stichwort: virtual reality) jeder Form von Kunst und Design gerecht werden können oder geht nicht in gewisser Weise auch die Intimität vom Erleben der Kunst als persönlich intrinsischer Prozess verloren?

„Ein wichtiger Punkt. In der Kommunikation im Raum spielt augmented reality zunehmend eine Rolle. Sie ist quasi eine zweite oder dritte Schicht der Wahrnehmung, die über Exponate und Ereignisse gelegt wird. Wir stehen vor der Aufgabenstellung, die Qualität dieser Vertiefungsebenen zu entwickeln, damit das Ganze nicht zu einem reinen Gimmick des oberflächlichen Drüberwischens und Durchscrollens verkommt. Die Gefahr ist groß, wenn wir uns der Versuchung hingeben, alles zu machen was geht, ohne zu fragen, welche Qualitäten wir hinzufügen bzw. verlieren. Je digitaler unsere Welt wird, umso wichtiger und erholsamer wird auch wieder die analoge, die natürlich auch nicht das bleibt, was sie mal war. Nach dem Rausch der Möglichkeiten kommt auch wieder die Phase, in der wir weglassen, verzichten, minimalisieren, quasi auf digitale Diät gehen, Materialitäten wertschätzen, Texturen haptisch erleben und feststellen, dass wir Menschen nicht reine Augentiere sind.“

Bewerten Sie den heutigen Anspruch, eine Marke müsse erlebbar und greifbar werden, als die neue Anforderung im Branding-Prozess? Wird die Darstellung der Marke wichtiger als ihr eigentlicher Inhalt, ihre Werte, die Qualität ihrer Leistungen oder Produkte?

„Innerhalb weniger Jahre haben wir erlebt, dass sich die wertvollsten Marken der Welt entmaterialisieren und eigentlich auf Kommunikation zusammenschrumpfen. Apple ist da fast noch old school und mit seinen Objekten Teil der physischen Welt. Aber nehmen Sie Google, Facebook oder Amazon, globale Konzerne, die im Weltmaßstab beim Suchen helfen, beim Beziehungsaufbau  oder beim Einkaufen. Marken verbinden sich heute weit weniger mit physischen Produkten. Die Produkte sind Dienstleistungen, die quasi als Coach oder Assistenzen bei der Lebensbewältigung helfen. Damit kommt unseren Berufen eine enorme Verantwortung zu, an uns hängt so etwas wie die Produkthaftung. Wir sind nicht mehr nur fleißige Dienstleister, die die Letzt-Verantwortung bequem ihren Kunden zuschieben können. Da tut sich ein ganz weites Feld auf …“

Roland Lambrette - Road to the Future Markeninszenierung für Mercedes-Benz auf der IAA 2007 - Fotograf Ralph Larmann Hadamar

Roland Lambrette – Road to the Future Markeninszenierung für Mercedes-Benz auf der IAA 2007 – Fotograf Ralph Larmann Hadamar

Herr Prof. Lambrette, Sie sind Rektor der Hochschule für Künste in Bremen. Wie erleben Sie Ihre Studenten im Hinblick auf die rasante Entwicklung hinsichtlich Technologie und Digitalisierung? Bedeuten Kunst, Design und ihre Darstellung noch dasselbe wie im letzten Jahrhundert?

Die Studierenden gehören alle längst schon der Post-Internet-Generation an. Sie sind als Digital Natives aufgewachsen und haben ganz selbstverständlichen Umgang mit den Technologien als solchen. Sie stellen nicht mehr nur die Frage: Wie geht das? Sondern sie fragen, was soll das? Sie werden kritischer und stellen grundsätzlichere Fragen nach Open Source, nach Machtbeziehungen und Missbrauch in der technologischen Revolution, die wir erleben. Das hat große Wirkungen auf die Themenstellungen und Selbstbeauftragungen. Eine HfK-Professorin hat gerade den Deutschen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig gestaltet und der Kunstszene Rätsel aufgegeben. Ulrich Raulff, der Hausherr des Pavillons, sprach von ‚Verweigerungs- und Durchkreuzungsstrategien’. Das ist eine Form, herauszufinden, wie das System funktioniert, wie der Hase läuft. Für die Studierenden ist das wichtig, um nicht zum Kanonenfutter fremder Mächte zu werden, sondern ihr eigenes Ding zu finden und ihren Weg. Auf diesem Weg findet sich dann schon alles Weitere …“

 

Sie vertreten die These „Kommunikationsdesign war immer schon mehr als Dienstleistung“. Was genau meinen Sie damit? Worin sehen Sie heute den Anspruch an das Kommunikationsdesign?

Wie vorhin schon beschrieben. Selber denken und Verantwortung übernehmen. Gute Auftraggeber schätzen das, wenn ihre Entscheidungen nicht hingenommen, sondern hinterfragt werden. Kommunikation ist nichts für Ja-Sager und Feiglinge. Gute Projekte brauchen den gemeinsamen Findungsprozess. Briefings sind keine Ansagen, sondern Formulierungen von Problemstellungen. Es gibt immer Alternativen. Darauf sind Auftraggeber scharf. Wasserträger haben sie schon genug in der eigenen Firma.“

 

In unseren Zeiten gewinnen Algorithmen zunehmend an Bedeutung. Künstliche Intelligenz ist ein allgegenwärtiges Thema. Wie bewerten Sie diese Entwicklung für die Kreativbranche? Denken Sie, dass die kreativen Berufe, die Querdenker und Freigeister unter sich vereinen, in 20 Jahren noch gefragt sind?

„Künstliche Intelligenz ist eben noch keine echte. Es sind im Wesentlichen Mustererkennungen plus Gebrauchsanweisungen. Simulationen des analogen Denkens. Das reicht, um viele Routinejobs überflüssig zu machen oder in reine Maschinen-, Software-Anwender und Programm-Bediener verwandeln. Sozusagen das kreative Proletariat. Dagegen werden die Neuland-Denker, Querdenker, die die selber suchen und nicht müde werden dabei, auch in Zukunft gefragt sein. Aber ein Studium der Kommunikationsgestaltung wird nicht mehr allein selig machen, weil die Konkurrenten aus vielen Sektoren kommen: von der Kunst, der Musik oder aus der Theologie, der Psychologie oder allen möglichen Orchideenfächern. Kommunikation braucht Lebenserfahrung und -weisheit. Kommunikationsgestaltung wird auch wieder etwas für learning-by-doing-Charaktere werden, die nicht durch die Schule der ‚do’s and don’ts’ gegangen sind und gehemmt sind, sondern ganz naiv und ohne Angst vor den Codes Themen anpacken, Regeln brechen und neue aufstellen.“

 

Wie hat sich das Kommunikationsdesign in den letzten Jahren verändert? Würden Sie sich heutzutage gerne im Alter Ihrer Studenten als Berufseinsteiger diesen Herausforderungen im Kommunikationsdesign stellen? Ist es heutzutage schwieriger als zu Ihren Studienzeiten – oder sind die Anforderungen und Herausforderungen einfach andere?

„Beides zugleich. Es ist leichter und schwieriger. Es kommt drauf an, was man draus macht. Heute sind die Studiengänge wegen ihrer Europa-Kompatibilität viel stärker formalisiert und reguliert als früher. Das kostet Freiheitsspielraum, eröffnet aber ganz andere Möglichkeiten. Wir in Bremen versuchen das richtige Maß zu finden und Freiräume zu eröffnen und zu schützen. Andererseits wollen Studierende sich auch an Autoritäten reiben. Das ist der Job der Hochschullehrerinnen und -lehrer. Man kann nur was lernen, wenn es auch einen Widerstand gibt, mit dem man klarkommen muss. Die Hochschulausstattungen sind heute zumindest bei uns in Bremen super. Es gibt Experten, die unterstützen. Aber am Ende müssen alle den Absprung aus dem Schutzraum schaffen. Die Zeiten, in denen man mit einem Abschluss einen Anspruch erworben hat, sind vorbei, hat es eigentlich nie wirklich gegeben. Man muss sich im Studium schon selbst neu erfinden wollen. Das ist leider die unbequeme Wahrheit.“

 

Was geben Sie Ihren Studenten nach dem Hochschulabschluss mit auf den Weg?

„Wir ermutigen unsere Studierenden, sich die Offenheit für eine interdisziplinäre Sicht- und Arbeitsweise zu erhalten, die Freude am Experiment und den forschenden Blick. Denn das Neue entsteht nicht im Kern der einzelnen Disziplinen, sondern an den Rändern, da wo sich einander eigentlich fremde Welten berühren. Und dass ihre Offenheit für Zufälle wichtig ist. Oft sind die Zufälle besser als jeder noch so gut gedachte Plan.“

Vielen Dank für Ihre tollen Fragen!

Herr Prof. Lambrette, vielen Dank dass Sie Zeit für uns hatten!

 

Foto im Slider: Roland Lambrette – SkyArena Inszenierung der Skyline Frankfurts zur Eröffnung der Fifa Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland
Fotograf Ralph Larmann Hadamar