Über 300 Expertinnnen und Experten aus Lehre, Kunst, Design und Wissenschaft waren zu Gast bei HURRA HURRA um aktuelle Positionen zu diskutieren. HURRA HURRA fand im Rahmen des Jubiläumsprogramms ‘Bauhaus100’ statt und wurde durch das Land Sachsen-Anhalt und die Stadt Halle (Saale) gefördert. Das Festival “HURRA HURRA” suchte vom 4. bis 6. Oktober 2019 Antworten auf drängende Fragen unserer Zeit wie u.a.:
-
Ist das Designstudium angesichts der derzeitigen Umbrüche in Gesellschaft, Ökologie, Technologie und Industrie noch zeitgemäß und
-
zu welchen Haltungen werden Designerinnen und Designer herausgefordert?
Initiiert und konzeptionell begleitet wurde HURRA HURRA durch Prof. Christian Zöllner (Professor für Industrial Design / Designmethoden und Experiment) und Prof. Matthias Görlich (Professor für Kommunikationsdesign/ Informationsdesign).
Zum Kern des Festivalteams zählen außerdem Studierende aus Industrial Design und Communication Design, der Künstlerische Mitarbeiter Tony Beyer (Industrial Design), die Künstlerische Mitarbeiterin Hanna Petruschat (Projekt Designausbildungsstätten an der BURG zum Bauhausjahr).
DESIGNBOTE Redakteur Dipl.-Des. Wolfgang Linneweber befragte die Initiatoren und bekam interessante Antworten.
Herr Professor Zöllner, Herr Professor Görlich –
Wie haben Sie das intensive Wochenende überstanden? Kann ich Ihnen schon ein Resümee entringen? Haben Sie Grund, ‘Hurra Hurra’ zu rufen?
CZ: Es war ein unglaublich intensives Wochenende und wir haben jeden Grund uns über das Festival zu freuen. Jetzt sortieren wir die Bilder, E-Mails, räumen auf, schneiden ein Dokumentationsvideo, fertigen Podcasts an und erstellen ein redaktionelles Konzept, um die Ergebnisse der verschiedenen Workshops in ein Buch zu fassen.
MG: Ich denke, es war für uns alle sehr befriedigend zu sehen, dass die Diskussionen und Themen, die uns – Studierende wie Lehrende – zu Beginn des Jahres zur Planung des Festivals gebracht hatten, offensichtlich auch an anderen Hochschulen brennende Themen sind. Insofern war es ein großer Erfolg, so viele kritische Stimmen und Themen einmal an einem Ort zu bündeln und einen Austausch herzustellen, neue Verknüpfungen und Allianzen zu schmieden. Hurra!
Herr Professor Zöllner –
Was entgegnen Sie jemandem, der Industriedesigner als Handlanger einer Industrie im Dienste des Materialismus bezeichnet?
Das ist sehr verkürzt ausgedrückt und ich würde mich hüten, hier auch verkürzt zu antworten. Ja, Designerinnen und Designer haben viel Verantwortung und arbeiten in industriellen Kontexten an Produkten, Gütern und Prozessen mit, die nicht alle Menschen, die Umwelt und einen gesellschaftlichen Ausgleich im Blick haben. Aber das ändert sich gerade und an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle legen wir großen Wert auf die Ausbildung zum verantwortungsvollen Entwerfen und ressourcenschonenden Gestalten.
Der Ruf nach ‘Konsumverweigerung’ wurde schon in den Siebzigern laut – als ich noch Student war. Jetzt höre ich von jungen Menschen viel von ‘Verzicht’: Wo sehen Sie die neuen Handlungsfelder für Produktgestalter angesichts einer existenziellen Menschheitskrise?
Es sind nicht allein Designerinnen und Designer an der Krise schuld und sie werden sie auch nicht alleine lösen können. Überhaupt ist die dem Design zugewiesene Problemlösungskompetenz überschätzt oder zu allgemein gefasst. Ich sehe eher die Sensibilisierung für Komplexitäten und Widersprüche als maßgebliche Aufgabe sowie eine Fokussierung auf Gestaltungstätigkeit und -handwerk. Denn mit den eigenen gut ausgebildeten Kernfähigkeiten können die jungen Designer*innen in interdisziplinären Teams einen relevanten Beitrag leisten.
Herrn Professor Matthias Görlich –
In Zeiten, in denen beschönigende Produktkommunikation alltäglich ist und wir uns einer ganz neuen Qualität ‘gestalteter Information’ in Form von politischen und lobbygetriebenen ‘Fake News’ gegenübersehen: Wie könnte, wie sollte sich die Rolle der Kommunikationsdesigner entwickeln?
Sie sprechen hier natürlich eine der größten Herausforderungen für das Kommunikationsdesign an. Ich denke, wie für jeden interessierten Menschen, ist es für Kommunikationsdesigner*innen zuerst einmal wichtig sich der Tatsache bewusst zu sein, dass wir immer in einem Netzwerk aus Interessen, Machtverhältnissen und Absichten agieren. Als Kommunikationsdesignerin oder -designer sind wir Fachleute in der Vermittlung von Sachverhalten mit der Hilfe von Bildern, was automatisch die Frage aufwirft, welche Informationen diesen zugrunde liegen und welche Informationen eben nicht – aus welchem Interesse das geschieht und mit welcher Absicht, welche Erkenntnisse vermittelt werden und welche eben nicht, welche Handlungen wir ableiten und welche nicht.
Kommunikationsdesigner*innen haben insofern eine besondere Verantwortung ständig skeptisch und zweifelnd zu sein und nicht repräsentierte Akteure und Gegenmeinungen in ihrer Arbeit zu integrieren. Hierbei stellt sich natürlich gleich die Frage nach der Entscheidungsmacht in solchen Prozessen.
Wo sehen Sie die neuen, der Lage angemessene Handlungsräume für Kommunikationsdesigner angesichts der existenziellen Menschheitskrise – jenseits der typischerweise eingeübten Stimulation von Bedürfnissen und durch Warenpropaganda und Werbung forcierten Konsum?
Der Designphilosoph und Designer Victor Papanek hat dies als die bösartigste Form des Entwerfens beschrieben. Ein Entwerfen, das das Ziel hat, Menschen dazu zu bringen, Dinge zu kaufen, mit Geld, das sie nicht haben, um Menschen zu beeindrucken, die sie eigentlich nicht interessieren. Das ist meiner Meinung nach etwas vereinfacht, hier gibt es viele Zwischenstufen, die zu erörtern wären. Aber es stellt sich schon die Frage, ob es über Warenpropaganda hinaus, die schlussendlich einer der Grundpfeiler unseres kapitalistischen Systems darstellt, noch weitere Handlungsräume gibt und hier hat sich die Disziplin gerade in den letzten Jahren neu erfunden und weitergehende Bereiche für sich erschlossen. So beispielsweise in der politischen Kommunikation, im Journalismus, in der Wissenschaftskommunikation usw.
Mir persönlich geht es hierbei immer um die Frage, wessen Stimmen bisher nicht gehört oder wessen Bilder bisher nicht gesehen wurden. Es geht also um eine Komplizenschaft mit marginalisierten Gruppen und die Entwicklung von „Gegenbildern“, die sich den vorherrschenden Bildern gegenüberstellen, um ein anderes Verständnis von unserer Lebenswelt zu erreichen und damit auch andere Handlungsmöglichkeiten.
Das bezieht sich dann auf sehr grundlegende Bereiche, wie unser vorauseilendes Zur-Verfügung-stellen privater Daten und der damit einhergehenden ökonomischen und politischen Verwertbarkeit (Big-Data und KI). Dann unser Umgang mit den Herausforderungen, die aufgrund des klimatischen Desasters auf uns zukommen bzw. die in vielen Gegenden der Welt bereits voll eingeschlagen haben oder die Frage, in welcher Form wir uns einem Inseldenken, einem Streben nach Homogenisierung bei gleichzeitiger Ausgrenzung entgegen stellen, wie es von Seiten der Neuen Rechten geschieht.
Gibt es schon Vorstellungen von einer Designpraxis in einer im Sinne des Erhalts der irdischen Lebensgrundlagen zu transformierenden Wirtschafts- und Produktionsweise?
Dieser Aspekt wird sicherlich einer der wichtigsten Punkte sein, den wir zukünftig an der Hochschule gemeinsam mit den Studierenden zu erforschen haben. Gerade den Hochschulen, die derzeit noch die Privilegien eines Schutzraums, entkoppelt von ökonomischen und politischen Interessen, genießen, fällt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu. Inwiefern eine Designpraxis hier eine Alternative aufzeigen kann bleibt abzuwarten. An der BURG wie auch an anderen Hochschulen wird daran derzeit intensiv gearbeitet.
Herrn Professor Zöllner und Herrn Professor Görlich –
Welche Rolle spielt eigentlich das Erbe der DDR-Gestaltungstradition? Könnte eventuell die Kunst, aus dem Mangel eine Tugend zu machen, angesichts der aktuellen ökologischen Herausforderungen nützlich sein?
CZ: Das ist ein kleiner Teil der DDR-Gestaltungstradition. Der Arbeit mit Mangel an Ressourcen kann man rückblickend auch das Aushalten von schlechten Maschinen, schlechtem Formenbau und planerischem Missmanagement hinzustellen. Das waren einfach keine guten Bedingungen. Gleichzeitig gibt es die Upcycling und DIY / Maker Bewegung, die mit sehr provisorischen Mitteln arbeitet, aber entgegen der DDR-Perspektive nicht auf Mangel, sondern auf Überfluss reagiert.
MG: Ohne jetzt einen zu großen Bogen spannen zu wollen, ist es schon interessant einmal näher zu betrachten, auf welcher ökonomischen Basis die DDR-Gestaltungstradition fußte. Da in der sozialistischen Planwirtschaft der Erzeugung von immer neuen Bedürfnissen, ein konstanter Zyklus des Austauschs des Alten gegen das Neue und damit eine andere Form von Konsum zu Grunde liegt, sind hier möglicherweise einige Aspekte heutzutage wieder diskussionswürdig. Interessant ist auch, dass viele progressive Entwerfer aus der damaligen BRD durchaus in engem Austausch insbesondere mit den Produktgestaltern der DDR, und hier insbesondere der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, standen, um sich über Bedürfnisse und Produktionsweisen auszutauschen jenseits des Massenkonsums.
In welchen Feldern sehen Sie Ihre Hochschule als besonders gut aufgestellt oder sogar als führend?
MG: Die Qualität der BURG hängt nach meinem Eindruck nach drei Jahren in der Lehre von mehreren Faktoren ab. Zuallererst sind es natürlich die Studierenden, die ihre Fragestellungen, ihre Themen, Kritik und Skepsis mit an die Hochschule bringen. Wir sprechen ja oftmals von der desinteressierten Jugend. Ich kann das in meinem Gegenüber in der Lehre nicht feststellen. Dann treffen die Studierenden auf eine Gruppe Lehrender, die ein Verständnis pflegen, das nicht von Grabenkämpfen, Abgrenzung und disziplinärer Eingeschränktheit geprägt ist. Wir sind – wie auch die Studierenden – nicht an den Grenzen, sondern an deren Überwindung interessiert. Hinzu kommt eine Ausstattung in Form von Werkstätten, die deutschlandweit ihresgleichen sucht. Dies reicht von den umfangreichen Druckwerkstätten, über Metall-, Holz-, Keramik-, Bronze-, Glaswerkstätten bis hin zu 3D-Druckwerkstätten, Rapid Prototyping, VR-Labore und Bio-Labs. Das alleine ist schon ein großer Pluspunkt, hinzu kommt aber noch die Tatsache, dass diese Einrichtungen den Studierenden wirklich offenstehen und intensiv genutzt werden und nicht etwa als Instrument der Hochschulprofilierung hinter verschlossenen Türen verstauben.
Herrn Professor Zöllner und Herrn Professor Görlich, vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten!
Über die ‘BURG’
Die 1915 gegründete Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle bietet mit ihren Fachbereichen Kunst und Design ein unverwechselbares Profil sowie exzellente Ausbildungs- und Studienbedingungen an. Mit über 1.000 Studierenden zählt sie zu den größten Kunsthochschulen Deutschlands. Der Fachbereich Design der BURG bietet ein vielfältiges Angebot an Bachelor- und Masterstudiengängen, in dem die Kunsthochschule seit 2013 auch über das Promotionsrecht verfügt.
Weitere Informationen zur Hochschule und zum Festival:
www.burg-halle.de/hurrahurra und www.instagram.com/hurrahurrafestival
Foto Slider Adrian Parvulescu
Bildquelle: Hochschulpressestelle
0 Kommentare