“Brauchbar sein heißt auch schön sein, denn alles Brauchen muss schön sein können, anders erfüllen die Dinge nicht ihren Sinn.” Wilhelm Wagenfeld
Auch wenn Lobgesänge auf vergangene Diktaturen in unserer ach so perfekten westdeutschen Demokratie nicht gern gehört werden: Es war längst nicht alles schlecht im Realen Sozialismus. Wer nach der “Wende” RFT-Radio, Simson-Moped und Mitropa-Geschirr zum Sperrmüll gestellt hatte, weint heute gesuchten Sammlerobjekten so manche Träne nach. Zudem hält das ‘DDR-Design’ den einen oder anderen Lösungsansatz für die Probleme von heute parat. Der Versuch einer Übersicht über ein kulturelles Phänomen, das von der dominanten westdeutschen Geschichtssicht überschrieben zu werden droht.
Nach Kriegsende brach im Westen das Wirtschaftswunder aus. Und schon bald buhlten im Überfluss verfügbare Produkte in bunten, auffälligen Verpackungen und in möglichst deutlich unterscheidbaren Hüllen um die Gunst von Käufern, die die Qual der Wahl hatten. Im vom freien Waren- und Devisenverkehr abgekoppelten Osten hingegen dauerte die Mangelwirtschaft an. Unter anderem auch aufgrund des Devisenmangels herrschte chronische Materialknappheit und veraltete Produktionsanlagen ließen eine zeitökonomische Massenproduktion, die eine von steigenden Einkommen getriebene, starke Nachfrage befriedigen konnte, nicht zu. Trotzdem oder gerade deshalb konnte sich in der Deutschen Demokratischen Republik eine interessante Tradition der Produktgestaltung entwickeln und sogar erhalten, die in vielerlei Hinsicht eine nähere Betrachtung verdient.
Nach dem Krieg waren nämlich unter anderem auch ehemalige Bauhaus-SchülerInnen am Wiederaufbau Ostdeutschlands beteiligt. Sie trugen als Produktgestalter oder Lehrende zu Gestaltung und Konstruktion ostdeutscher Produkte bei und wirkten an namhaften Ausbildungsstätten. Anders als im US-amerikanisch dominierten und produktästhetisch inspirierten Westdeutschland stand in der DDR eine gute Verkäuflichkeit immer ‘neuer’, schnell vergreisender Produkte nicht im Vordergrund. In Ostdeutschland standen langer Gebrauchsnutzen, große Materialökonomie und zeitlose Schönheit ganz oben in den Pflichtenheften der Produktgestalter.
Typisch für das DDR-Design, im DDR-Sprech auch ‘Industrielle Formgestaltung’, waren Funktionalität und die Reduktion auf das Wesentliche. Zuständige Behörde war das ‘Amt für industrielle Formgestaltung’ der DDR, das auch die Design-Fachzeitschrift „form+zweck“ herausgab.
Auch wenn viele der DDR-Produkte die so genannte ‘Wende’ der Wiedervereinigung nicht überlebt haben, so wurden doch einige zu Klassikern und begehrten Sammlerobjekten – auch im Westen – werden sogar weiterproduziert und stehen, zumindest im ‘Osten’, als beliebte identitätsstiftende Verbrauchsgüter bis heute in den Regalen.
Eine Besonderheit aller gestalterischen Aktivitäten in der DDR war, dass manche Produktionsstätten in Design-Ausbildungsstätten integriert waren und die Schulen miteinander und mit der Industrie kooperierten. So konnten, wenn auch nicht immer politisch reibungsfrei, neben Massenprodukten auch solche Produkte mit hohem gestalterischem Anspruch entstehen, die bis zum heutigen Tage in Gestalterkreisen großes Ansehen genießen.
Das Bauhauserbe im DDR-Design
1953 führte die Kunsthochschule Weißensee den Studiengang Industriedesign ein. Einer der ersten vier Diplomierten war 1958 der Designer Erich John. In der jungen DDR war Weißensee eine Topadresse für die international anerkannte universitäre Ausbildung zum ‘Formgestalter’. Erich John, der neben zahlreichen Elektrogeräten auch die Weltzeituhr am Alexanderplatz entworfen hatte, wurde Ende der 60er-Jahre dort Dozent und bekleidete ab 1982 eine Gastprofessur für Industrial Design an der Ohio State University. Laut John seien 1992 alle Professoren der Kunsthochschule Weißensee entlassen worden und/ oder man habe ihnen den Vorruhestand nahegelegt. Die freien Stellen seien dann mit Bewerbern aus dem Westen besetzt worden. (Quelle: Tip Berlin, 2011)
Einen Neuanfang im Sinne des Bauhauses gab es nach Kriegsende auch mit dem Institut für Gestaltung der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar und in Dessau, den beiden vormaligen Standorten des Bauhauses. Auch an den Hochschulen in Berlin, Dresden, Weimar, Greifswald und Halle lehrten ehemalige Bauhausabsolventen.
Die so genannte ‘Formalismusdiskussion’ von 1949 bis 1955 resultierte in einer Orientierung auf nationale kulturelle und künstlerische Traditionen. Walter Heisig, in den Fünfzigern Direktor des Instituts für angewandte Kunst, griff gestalterische Dogmen der UdSSR auf und befand staatstragend: „Ein Besteck ohne Ornament ist Formalismus“. So ging die frühe DDR auf Distanz zur als „amerikanisch“ geschmähten Bauhaus-Tradition, die von emigrierten Bauhausgestaltern in die USA (und übrigens auch nach Israel) exportiert worden war.
Erst Anfang der 1960er Jahre begann man sich – unter den argwöhnischen Augen der DDR-Machtelite – wieder an das Bauhaus-Erbe heranzutasten. Das Dessauer Bauhaus von Walter Gropius (1925–26) wurde ab 1972 restauriert und in den 1980er Jahren für internationale Symposien genutzt. Eine umfassende Sanierung des UNESCO Weltkulturerbes wurde 2006 abgeschlossen.
Dass der allmächtige, planwirtschaftende Staat an allen Stadien der Entwicklung, Planung, Gestaltung und Produktion mitbestimmte, demotivierte viele Designer in der Industrie und ließ sie ihr Heil an den Hochschulen suchen. Weil die Ausbildung linientreuer Gestalter so große staatstragende Bedeutung beigemessen wurde, konnten sie dort als Lehrer Großes leisten.
Die wohl renommierteste Hochschule für Formgestaltung der DDR aber war (und ist es bis zum heutigen Tage) in der Burg Giebichenstein in Halle/Saale zuhause. Der berühmte finnische Designer Tapio Wirkkala war der Meinung, dass es die weltbeste Designausbildung in Halle gäbe. Vielleicht trug die Popularität der Schule bei den Skandinaviern, deren Gestalterausbildung von Halle inspiriert war, zu diesem exzellenten Ruf bei. Parallelen zwischen dem nüchtern, pragmatischen skandinavischen Gestaltungskanon mit dem DDR-Design sind jedenfalls offensichtlich.
Fahrzeugdesign: Trabi, Schwalbe und Wartburg
Am 7. November 1957 lief in Zwickau der erste Trabant vom Band. Sein Entwerfer, Karl Clauss Dietel gilt als einer der führenden Formgestalter der DDR. Schon in seiner Diplomarbeit kündigte sich das Basiskonzept des Mittelklassewagens ‘Wartburg 353’ an. Der Der Trabant ‘P 50’ war ein Kleinwagen mit einem Aufbau aus einem Plaste/ Lumpen-Laminat mit niedlichen Stummelflossen und heulendem 18PS-Zweitaktmotor. Das Nachfolgermodel 601 erschien 1964 und sollte eigentlich nur drei Jahre lang produziert werden. Daraus wurden aber 26 lange Jahre. Bis 1990 liefen fast 3 Millionen der Stinker vom Band und wurden an eine Kundschaft ausgeliefert, die bis zu 15 Jahre geduldig darauf gewartet hatte. Die ganze Zeit entwarf und entwickelte das Duo Lutz Rudolph und Dietel weiter Alternativen. Sieben Nachfolge-Entwürfe für den Trabant 601 präsentierte das Team. Doch jeder wurde vom DDR-Politbüro gestoppt.
Der ostdeutsche Schriftsteller Thomas Brussig schrieb einmal im SPIEGEL: “Der Trabant ist die Auto gewordene Verachtung der DDR-Obrigkeit gegenüber ihrem Staatsvolk.”
Später gestaltete Dietel die bekannten DDR- Schreibmaschinen Robotron und Erika. Dietel wurde 2014 in Berlin mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Dieser gesamtdeutsche Preis war eine Premiere für einen DDR-Designer. Dietel und Rudolph gestalteten auch Radiogeräte, Haushaltswaren und das Moped Simson 50 das hunderttausendfach durch die DDR knatterte.
Wichtige Gestalterpersönlichkeiten im DDR-Design
Der Leitgedanke der Gestalterin Hedwig Bollhagen war es, ein nicht alltägliches Alltagsgeschirr zu schaffen. Damit wurde sie auch über die Grenzen der damaligen DDR hinaus bekannt. Sie gründete die HB-Werkstätten für Keramik die immer noch ihre typischen Dekore produziert.
Der Architekt und Möbeldesigner Egon Eiermann – einer der bekanntesten Gestalter des 20. Jahrhunderts
Egon Eiermann, 1904 bei Potsdam geboren, war er schon vor dem 2. Weltkrieg erfolgreich. Als er 1970 in Baden Baden starb, hinterließ er ein umfangreiches Oeuvre deutscher Nachkriegsarchitektur. Designliebhaber kennen seine Deutsche Botschaft in Washington, in der sich von der Inneneinrichtung über das Mobiliar sein umfassender Gestaltungswille ausdrückt.
Dank dem Designer Eiermann konnte Deutschland auch international wieder an die Traditionen von Werkbund und Bauhaus anknüpfen. Seine Stühle, die unter der Marke Wilde & Spieth weiter produziert werden, sind heute klassische Kultobjekte.
Wilhelm Wagenfeld, *1900 Bremen, + 1990) geboren, setzte mit seiner Vorstellung von “guten Waren” Maßstäbe in Osten wie auch im Westen. Er gilt bis heute als eine der wichtigsten deutschen Gestalterpersönlichkeiten. Nach einer Lehre zum Industriezeichner studierte er 1923/24 bei László Moholy-Nagy und Christian Dell in der Metallwerkstatt. Aus dieser Epoche stammen auch seine bekanntesten Entwürfe, die Leuchten MT 8 (in Metall) und MT 9 (in Glas), die wir heute als Wagenfeld- oder ‘Bauhausleuchte’ (1934) kennen. Für das Jenaer Glaswerk und die Vereinigten Lausitzer Glaswerke entwarf Wagenfeld in den 1930er Jahren ein gläsernes Teeservice und das ‘Kubusgeschirr’. Bis in die 1970er Jahre gestaltete er viele teils immer noch produzierte Produkte für wie unter anderem Fürstenberg, WMF, Braun und Lindner.
Es ist erstaunlich, wie zeitlos viele Produkte des DDR-Design bis heute wirken. Der Grund liegt in ihrer auf einfache Produzierbarkeit und gute Ergonomie ausgerichteten Gestaltung: Das hochfunktionale, stapelbare Pressglassortiment Europa und sein Porzellan-Gegenstück Rationell (1969/70), das auch als Mitropa-Geschirr bekannt wurde, hatten Margarete Jahny und Erich Müller 1964 für die DDR-Gastronomie entworfen. Janys Isolierkanne „Typ 750“ (1959) wurde stilprägend und gilt bis heute als ‘schön’. Ihre schlichten weißen Vasen waren der staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen „zu modern, zu riskant für einen erfolgreichen Absatz im Handel“ man warf ihren Produkten „kalten Funktionalismus” vor. Vielen gelten Janys Keramik- und Glasprodukte als Fortsetzung der ästhetischen Idee von Wilhelm Wagenfeld.
Formal schlicht und dennoch überzeugend erscheint bis heute das Campinggeschirr aus ‘Plaste’ des Designers Hans Merz: Dessen Tassen, Untertassen, Zuckerdose und Milchkännchen ließen sich wie eine russische Matrjoschka-Puppe platzsparend in die Kaffeekanne schachteln.
Mit ihrer bauchigen Linie wurde der von Otto Bengtson 1962 gestaltete Kaffeekocher Moccadolly aus Aluminium ein gesuchtes Sammelobjekt, das immer noch Käufer auf Ebay findet. Die Geflügelschere von Lutz Rudolph von 1961 mit in den Korpus integrierter Schraube und Feder besticht mit ihrer eleganten, geschlossenen Silhouette.
Die „Sammlung Industrielle Gestaltung“
In einer Halle in Berlin-Spandau verträumen etwa 160.000 Objekte die Jahrzehnte, angeblich die größte Sammlung von DDR-Design. Es handelt sich um Überbleibsel der DDR-Alltagskultur vom Kaffeeservice bis zum Wartburg-PKW, die von der bis heute nicht museal aufbereiteten Geschichte des DDR-Designs zeugen. Hatte die „Sammlung Industrielle Gestaltung“ noch bis 1990 dem ‘Amt für industrielle Formgestaltung’ (AiF) der DDR unterstanden, so wurde sie 2005 an die „Sammlung Industrielle Gestaltung“ der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland übergeben und ist seitdem aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden. das ist schade. Denn in Zeiten zunehmender weltweiter Rohstoffverknappung und eines Materialismus in der Krise könnten die unkommerziellen Ansätze des DDR-Designs vielleicht nützliche Denkanstöße liefern.
Stock Photos:
Titel / Trabis: insideportugal / Shutterstock.com
Simson Schwalbe: Simson 50 / Shutterstock.com
1 Kommentare
Burghard Schlicht
Wunderbarer Artikel zu einem wichtigen Thema. Ohne brutale Unterdrückung und permanente Bespitzelung schönreden zu wollen, hat nicht nur das DDR-Design, sondern auch die DDR-Literatur, die Malerei, der Film mit seinen hervorragenden Hochschulen Hervorragendes geleistet, was im Westen viel zu wenig anerkannt wird. Eine Schande ist es, dass es kein Museum für DDR-Design gibt.