Fotoreportage – Die deutsch-französische Fotografin und Fotohistorikerin Gisèle Freund (*1908 Schöneberg/ Berlin); † 2000 Paris) schrieb einmal: „Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen. Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt.“ (Quelle: Gisèle Freund, Photographie und Gesellschaft. Reinbek bei Hamburg 1979, S. 6.) Freund setzte übrigens als eine der ersten eine handliche Leica-Kamera ein.

Am 24. August 1919, also vor 110 Jahren, publizierte die „Berliner Illustrirte Zeitung“, das Foto „Ebert und Noske in der Sommerfrische“ als Titel. In den Badehosen steckten der Reichspräsident und der Reichswehrminister. Die ausgesprochen private Pose sorgte für Aufsehen und Auflage und sollte noch die Gerichte beschäftigen. Der Schnappschuss aus dem Strandbad markiert für viele die Geburtsstunde des modernen Fotojournalismus, der den Bleiwüsten der tagesaktuellen Pressemedien ab den 1920er Jahren eine stark visuelle Note verleihen sollte.

Die Fotoreportage als Fenster zur Welt

Pressefotografen stehen auf Sportplätzen, an Roten Teppichen, bei Staatsbesuchen und in Kriegen an vorderster Front, verdichten das Geschehene und Gesehene auf bisweilen knapp bemessenem bedrucktem Papier zu intensiven Fotostrecken. Seit nunmehr 150 Jahren gibt es den Fotojournalismus, der auch wenn die künstlerische Ambition bisweilen zurückstecken musste, ein prominentes Kapitel in der Fotografiegeschichte markiert.

Geschichte der Fotoreportage

Schon lange vor der Fotografie kannte man in allen möglichen Kulturen illustrierte Berichte. Dank der Erfindung des Buchdrucks ließen sich solche aber erst gegen Mitte des 15. Jahrhunderts mechanisch reproduzieren. Flugblätter und Flugschriften waren lange Zeit die übliche Publikationsform von Bildberichten, die im 15. und 16. Jahrhundert noch im Holz- und später dann als Kupferstich veröffentlicht wurden. Vervielfältigte Bildergeschichten bekamen als illustrierte Flugblätter mit der Reformation erstmals große Öffentlichkeit und damit auch Relevanz. Die ersten wöchentlich oder sogar täglich erscheinenden Zeitungen kamen zunächst noch ohne die dafür vorher zeitaufwändig in Holz zu schneidenden Bilder aus. Ab 1642 erschien in London der ‘Mercurius Civicus’ bei dem den Bildern aber noch eine eher schmückende Funktion zukam. Charles Knight 1830 illustrierte in London sein ‘Penny Magazine’ für die einfachen Klassen mit fein ausgeführten Holzschnitten, die damit ein spätes Revival erlebten.

Während des Krimkrieges 1855 kam das Berufsbild des Kriegskorrespondenten auf. In Europas Metropolen lebte derweil noch ein Heer festangestellter Zeichner von Illustrationsaufträgen illustrierter Zeitungen. Das erste ‘Groschenblatt’ erschien 1855 in England als ‘Daily Telegraph’ kurz nach Abschaffung der Zeitungssteuer. Dieses Genre erschien in Deutschland ab 1890 in Form der Berliner Illustrirte Zeitung, deren Auflage bis 1914 auf eine Million Exemplare und 1934 auf fast zwei Millionen anwuchs. In diesem Zeitraum sollte sich die Reproduktionstechnik so spektakulär entwickeln, dass auch Fotografien abgedruckt werden konnten.

Zwar druckte die Illustrierte Daily Graphic (New York) schon 1880 ein Foto ab, doch sollte es dem Lithographen Georg Meisenbach erst 1881 gelingen, die Autotypie oder auch Netzätzung, ein Rasterverfahren zur Erstellung von Druckvorlagen von Fotografien so entscheidend zu verbessern, dass sich die Fotografie für die Publikation in Zeitungen aufbereiten ließ. Das erste gedruckte Foto in der Leipziger Illustrirten Zeitung zeigt am 10. März 1883 eine kleine Skulptur mit dem Bildtext: ‘Ehrengabe an das 2. bairische Infanterieregiment Kronprinz.’

Ab 1885 druckten immer mehr Wochen- und Monatszeitschriften Fotografien ab. Die Berliner Tageszeitung ‘Der Tag’ erschien 1901 als erste mit einer Fotobeilage. Die inzwischen technisch gesteigerte Lichtempfindlichkeit fotografischer Platten und die Erfindung von Schlitz- bzw. Zentralverschlüssen in Kameras ließen viel kürzere Belichtungszeiten zu und erlaubten damit auch die Aufnahme von sich schnell bewegenden Objekten, womit die bis dahin üblichen gezeichneten Illustrationen schnell aus der Mode kamen.

Aber immer noch war es technisch schwierig, Fotoreproduktionen in die Textkolumnen einzubinden, weshalb Bilderstrecken vorläufig noch als eigenständige Beilagen erschienen. Das sollte sich zwar ab 1911 mit der Erfindung des Kupfertiefdrucks ändern, doch verbreitete sich diese Technologie in Deutschland nur zögerlich. Die Entwicklung der Nachrichtentechnologien sollte die Aktualität von Bildnachrichten spektakulär steigern. Erreichten Fotografien die Redaktionen zunächst noch als Postsendungen, so kamen sie ab 1907 – wie bei Texten schon länger üblich – per Telegraph in den Redaktionen an. Pioniere auf diesem Gebiet waren 1907 ‘Illustration’ aus Frankreich und die britische Tageszeitung ‘The Daily Mirror’, die eine tägliche Bildtelegrafie zwischen Paris und London etablierten, der bald auch Leitungen nach Kopenhagen und Berlin folgen sollten. Mit ‘Montauk Photo Concern’ wurde 1898 von dem US-Journalisten George Grantham Bain eine der ersten Fotoagenturen gegründet, nachdem die mit seinen Reportagen versandten Fotos weit gefragter waren, als die Texte selbst.

Erst nonstop produzierende Fotoagenturen und die Geschwindigkeit der Bildtelegraphie erlaubten schließlich ein Phänomen wie das Berliner Boulevardblatt ‘Tempo’, das von 1928-33 täglich drei Mal “Bilder vom Tage” publizierte.

Die Fotoagentur KEYSTONE VIEW dokumentierte den 1929 machbaren Bildversand so:
“Aufnahme des Ereignisses in Berlin: 10.30 h
Fertige Abzüge: 10.45 h
Telephonat: 10.55 h
Eintreffen des telegraphisch übertragenen Bildes in London: 11.30 h
in New York: 17.30 h”

Quelle: Gidalewitsch, Nahum, Bildbericht und Presse. Ein Beitrag zur Geschichte und Organisation der illustrierten Zeitungen. Diss. Basel 1956. Tübingen, ohne Verlag, 1956.

Die übertragenen Bilder lagen sowohl in New York als auch in London noch am selben Abend in gedruckter Form an den Kiosken. Das Publikum gewöhnte sich schnell an die üppig illustrierten aktuellen Nachrichten und damit auch die Nachfrage nach frischem Bildmaterial aus aller Welt. Fotoagenturen erlebten einen Gründungsboom wie Pilze, Fotografen fanden Anstellungen und Kontakte mit Freelancern wurden geschlossen.

Für manche endet die Geschichte der Fotoreportage im Jahr indes schon 1973. War das Magazin ‘Life’ noch bis 1972 wöchentlich erschienen, so lag es fortan nur noch unregelmäßig an den Kiosken. Der Niedergang des bekanntesten US- Reportagemagazins versinnbildlicht den Bedeutungsverlust der Fotoreportage im heraufziehenden, vom viel reaktionsschnelleren Fernsehen und später dem Internet mit seinen Bilderlawinen geprägten Digitalen Zeitalter.

Leica 1 - vorgestellt auf der Messe in Leipzig 1925

Leica 1 – vorgestellt auf der Messe in Leipzig 1925

Kompakte, leichte Fototechnik – Die ‘Leica’

Im Frühjahr 1914 hatte der Unternehmer Enst Leitz II. aus Wetzlar einen Prototypen – werksintern “Liliputanerin” – der Kamera zu einer Geschäftsreise mit nach New York genommen. 128 Millimeter breit, 53 Millimeter hoch und 28 Millimeter tief, soll diese Miniaturkamera in der Bildreportage noch eine wichtige Rolle spielen. Entwickelt hatte den Winzling, der mit 35-Millimeter-Kinofilm arbeitete, der altgediente Leitz-Mitarbeiter Oskar Barnack. Doch sollte der erste Weltkrieg das Projekt verzögern, sodass erst 1924 die Leica produziert werden konnte. Nur 400 Gramm leicht, passte sie in jede Jackentasche und hielt dank kurzer Verschlusszeiten auch schnelle Bewegungen im Bildformat 24 mal 36 Millimeter fest. 1925 wurden schon 1900 Stück produziert. Der Leica und ihren Nachkommen verdanken wir ein paar Ikonen in der Geschichte der Fotoreportage. 1945 hielt ein gewisser Jewgenij Chaldej mit einer Leica 1945 zwei Rotarmisten beim Hissen der Sowjetflagge auf dem Berliner Reichstag fest. Dem Fotoreporter Alfred Eisenstaedt gelang ein Schnappschuss auf dem ein Matrose in New York eine Krankenschwester innig küsst. Wir alle kennen Bilder von Che Guevera, ikonische Bilder aus dem Vietnamkrieg und zahllose Bilder mit Motiven aus dem Alltag und der Welt der Mode. Kleinbildkameras von Leica und ihre Konkurrenzprodukte sollten die Fotografie dank ihrer vielfältigen Einsatzmöglichkeiten und unauffälligen Einsetzbarkeit revolutionieren. Das sollte auch so bleiben, bis 1975 die erste „tragbare“ Digitalkamera von Kodak eine noch schnellere Ära der Fotoreportage einläutete und sich die Präsentationsebene ins Internet verlagerte.

Mutter aller Bildagenturen – ‘Magnum’

‘Magnum’ – ‘World Press Photo of The Year’, Sportreportage, Schützenfest, Prominente/ Klatschpresse, wurde 1947 von den Fotografen Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, George Rodger und David “Chim” Seymour Magnum Photos gegründet. Die renommierteste Fotoagentur der Welt spiegelte in ihrer Philosophie sowohl die Biografien als auch die Kriegserlebnisse ihrer Gründer wider.

Diese vier Fotografen gründeten Magnum, um ihnen und den angeschlossenen Fotografen zu erlauben, auch außerhalb der festgeschriebenen Formalien des Magazinjournalismus zu arbeiten. Die Agentur, die zunächst in Paris und New York und später auch in London und Tokio vertreten war, wandte sich radikal von den überkommenen Arbeitsweisen ab. Sie wurde als Genossenschaft gegründet, in der die Mitarbeiter, darunter die Mitbegründerinnen Maria Eisner und Rita Vandivert, die Fotografen eher unterstützen als führen. Das Copyright sollte bei den Autoren der Bilder verbleiben, und nicht etwa bei den veröffentlichenden Zeitschriften. Damit konnte ein Fotograf beschließen, irgendwo über eine Hungersnot zu berichten, die Bilder im Magazin “Life” zu veröffentlichen, die Agentur aber die Fotos dann Zeitschriften in anderen Ländern verkaufen. Damit hatten die Fotografen die Option, auch ohne Auftrag an Projekten zu arbeiten, von denen sie sich besonders inspiriert fühlten.

Bei der Gründung von Magnum in den Fünfzigerjahren hatte die Fotoreportage noch ein Massenpublikum. Magazine wie das “Ladies Home Journal” in den USA, war das weltweit auflagenstärkste. In den Sechzigerjahren brachten die Magazine “Life” und “Time” Fotostrecken u.a. aus Vietnam. Inzwischen sind die Printmedien als Absatzmarkt geschrumpft. Magnum-Fotos erscheinen zwar nach wie vor im Print, es werden aber intensiv neue digitale Kanäle erschlossen. Und das zu einer Zeit, in der weltweit Amateurfotos zu allen möglichen aktuellen Geschehnissen von Mobiltelefonen hochgeladen und publiziert werden …

Die Macht der Bilder – Berühmte Magazine und Illustrierte

„UdSSR im Bau“ – Die Sowietunion in Hochglanz und Farbe

Das Magazin „UdSSR im Bau“, mit 41,2 x 30 cm außergewöhnlich großformatig dokumentierte das Leben der Menschen der UdSSR, wissenschaftliche und wirtschaftliche Fortschritte, die Außenpolitik sowie Kunst und Kultur des noch jungen Riesenreiches. Das Großformat erlaubte den opulenten Abdruck von Fotografien mit ausführlichen Texten. Die nötigen hochklassigen Fotografien produzierte und lieferte die Moskauer Fotoagentur „Sojusfoto“. Zielgruppe des aufwendig produzierten Magazins waren westliche Geschäftsleute, Intellektuelle und die Führungskader kommunistischer Parteien in aller Welt. Bis zu seinem Tod galt der Diktator Josef Stalin zu seinen treuesten Lesern. Frühe Ausgaben erschienen in Englisch, Russisch, Deutsch und Französisch. Ab 1950 kamen Chinesisch, Finnisch und Hindi hinzu. In den 70er Jahren erschien das Blatt in 19 Sprachen in etwa 160 Ländern der Erde in einer Gesamtauflage von etwa 1,6 Millionen pro Ausgabe. Ab 1950 hieß die Zeitschrift schlicht „Sowjetunion“ und erschien noch allmonatlich bis 1991.

Life – Engagierter Fotojournalismus, Made in USA

Vom 23. November 1936 bis zum 9. Dezember 1972 stand „Life“ für wegweisenden engagierten Fotojournalismus. Opulent illustrierte, seitenfüllende Fotoreportagen widmeten sich einem nie gekannten breiten Themenspektrum. In Nummer Eins erschien eine Fotoreportage über den Bau des damals größten Staudamms der Welt am „Fort Peck Lake“. Life räumte dem Bild ebenso viel Raum und Bedeutung ein wie dem Text. Das Foto war mehr als nur Illustration und erzählte selbst die Story. Das Spektrum reichte dabei von politischen, über gesellschaftlichen Themen bis hin zu Kunst- und Kultur: So berichtete schon 1938 eine Fotostrecke von einer Geburt. Bis dahin undenkbar, erschienen 1941 Bilder von gefallenen GIs und 1945 eine Bildreportage aus dem KZ Buchenwald. 1948 erlaubte eine Fotoreportage Einblicke in den Alltag von Marshall Tito. Unvergessen bleiben die schockierenden Bilder vom Massaker US-amerikanischer Soldaten im vietnamesischen Dorf My Lai aus dem Jahre 1969.

Die journalistischen Beiträge stammten bisweilen von durchaus prominenten Autoren: So schrieb auch Ernest Hemingway für „Life“ und die Erinnerungen von Präsident Harry Truman fanden in Life ihre Leser. Allwöchentlich berichteten international renommierte Fotografen wie Alfred Eisenstaedt oder Robert Capa, Margret Bourke-White oder Inge Morath von ungewöhnlichen Ereignissen und Prominenten.

Schon bald war Life Blaupause für Illustrierte weltweit. Für die Macher von „Life hingegegen war die in den 20er-Jahren so erfolgreichen „Berliner Illustrirten Zeitung“ aus dem Ullstein-Verlag ein Vorbild. Viele jüdische Emigranten fanden nach dem Krieg in New York wieder zueinander, darunter auch ehemalige leitende Persönlichkeiten von Bildagenturen oder Mitarbeiter des Ullstein-Verlages.

Zu den Hochzeiten von Life belief sich die Auflage auf über acht Millionen Exemplare pro Ausgabe. Die enormen Werbeeinnahmen ermöglichten den Herausgeber die Finanzierung auch kostspieligster journalistischer Projekte. Der Spiegel berichtete 1970, als die Auflage schon sank „Für einen Bericht über den Regenwald in Niederländisch-Guayana reiste ein ‘Life’-Team mit zehn Tonnen Ausrüstung (an), baute eine Hütte in den Baumwipfeln und schoss 4000 Fotos – das Blatt druckte 29“.

Heute mag es verwundern, dass Life bei einer Auflage von über vier Millionen eingestellt wurde. Doch es war das Fernsehen, das ihm den Todesstoß versetzt hatte. Das TV war schneller, aktueller und hatte die News an sich gerissen.

Damit waren die „goldenen Jahre“ der Fotoreportagen Geschichte. „Life“ kam zwar noch mal als Glamour-Magazin zurück, wurde aber 2000 final gestoppt.

Berühmte Reportagefotografen

Einer der ersten Pressefotografen war der Engländer Roger Fenton, der 1855 den Krimkrieg fotografierte, zumindest dessen “vorzeigbare” Seite. Seine Motive erschienen als Holzschnitte in mehreren amerikanischen, englischen und italienischen Zeitungen.

Die Revolutionäre der ‘Pariser Commune’ posierten 1871 mit Vorliebe auf den Barrikaden für Fotografen. Indes wurden praktisch alle, die auf diesen Fotografien von der Polizei erkannt wurden, hingerichtet. Damit half die Fotografie erstmals, wenn auch ungewollt, bei der Polizeiarbeit.

Lewis W. Hine, ein Soziologe, stellte die Fotografie erstmals in den Dienst der Sozialkritik. Hine dokumentierte von 1908 -14 Kinderarbeit und stieß damit eine kritische Neubewertung der US-amerikanischen Gesetzgebung zur Kinderarbeit an. Zur Jahrhundertwende fotografierte der Zeichner Heinrich Zille die Berliner Hinterhöfe, und enthüllte damit das harte Alltagsleben der Unterschichten abseits der glänzenden Boulevards. Der Kölner Fotograf August Sander versuchte u.a. die Gesellschaft bzw. die Berufsstände seiner Epoche auf Fotografien zu bannen. Zu einer Zeit, als das Berufsbild des Pressefotografen noch nicht vollends entwickelt war, dienten Fotografien in erster Linie zur Illustration, um die Story überzeugender wirken zu lassen. Fotos von Amateuren wie Hine markieren eine Wende, weil ihre Bilder selbst zu Stories wurden, und damit den Text schrumpfen ließen. Und genau diese Verlagerung des Textes unter das gedruckte Foto, das alleine die Story erzählt, darf als Startschuss für den Bildjournalismus, die Fotoreportage betrachtet werden. Der hauptberuflich tätige Pressefotograf tauchte auf, nachdem Zeitungen begannen, regelmäßig Fotos zu publizieren. Ihre miese Reputation verdankten sie neben ihrem dränglerischen Auftreten auch den qualmenden Magnesiumblitzen, die den Teints ihrer Opfer eine leichenhafte Blässe verliehen und sogar Brände auslösen konnten. Oft standen diese ungehobelten Typen mit ihren sperrigen Kameras im Weg. Mit dem Aufkommen kompakterer Kameras Ende der Zwanziger Jahre änderte sich das Bild: 1924 kam mit der Ermanox-Kamera eine Kleinkamera auf den Markt, mit der auch Innenaufnahmen möglich wurden. Mit der kompakten Technik trat eine neue Fotografentypus auf, den Gisèle Freund so beschrieb: “Es sind Gentlemen, die sich weder in ihrer Erziehung noch in der Art, sich zu kleiden und sich zu benehmen, von jenen unterscheiden, die sie photographieren. Wenn Photos an einem Opernabend gemacht werden, auf einem Presseball oder irgendeiner Veranstaltung, wo Frackzwang besteht, erscheinen sie auch im Frack. Sie verfügen über Manieren, sprechen Sprachen und unterscheiden sich nicht mehr von den übrigen Gästen. Der Photograph gehört nicht länger der Klasse subalterner Angestellten an. Er stammt aus der bürgerlichen Gesellschaft oder aus der Aristokratie, die ihren Besitz und ihre politische Stellung verloren hat, jedoch ihren sozialen Status bewahrt.” (Quelle: Freund, Gisèle, Photographie und Gesellschaft. München: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 1976).

Zeichnungen waren jetzt auf dem Rückzug und machten den weit aktuelleren, authentischeren Fotografien Platz.

Der deutsche Jurist, Fotograf und Bildjournalist Dr. Erich Salomon bannte die damalige Weltprominenz, in unbeobachteten Augenblicken auf seine fotografischen Platten und wurde damit steinreich. Weil seine Fotografien stets mit seinen Namen publiziert werden mussten, trat der Fotograf aus dem Schatten und konnte zu bestens honorierter Prominenz gelangen.

Ein Feind gestellter Fotografien war Stefan Lorant von der Münchner Illustrierten Presse. Lorant gilt als Erfinder der Bilderstory als Reportage-Genre. Als bekanntester Reportagefotograf, wie er gegen Ende der 20er Jahre populär wurde, gilt Hans Baumann a.k.a FELIX H. MAN. Dessen Reportage über den ‘Kurfürstendamm bei Nacht’ von 1929 und die 1931 entstandene Fotoreportage über Mussolini hat angeblich Generationen von Pressefotografen inspiriert.
Inzwischen begannen die Mächtigen der Welt die Fotografie für ihre politischen Ziele zu nutzen. Im Ersten Weltkrieg mussten alle Fotos dem staatlichen ‘Presse-Photo-Syndikat’ zur Prüfung vorgelegt werden. Das militärische ‘Bild- und Filmamt’ sollte ab 1916 kritische Bilder, möglichst ohne großes öffentliches Aufsehen, zensieren. Die kommunistische Arbeiter Illustrierte Zeitung, von 1927 bis 1933 auflagenstärkste deutsche Illustrierte, machte keinen Hehl aus ihrer politischen Mission, dem Kampf für den Sozialismus, gegen Imperialismus und Kolonialismus. Sie nutzte als neues Bildgenre die Fotocollagen von Helmut Herzfeld, veröffentlicht unter dem Psydonym John Heartfield.

Wahre Meisterschaft in der politischen Instrumentalisierung von Bildern entwickelten die Nationalsozialisten. Weil die Bildberichterstattung, wie auch der Rest des Pressewesens gleichgeschaltet war, erlebte die stürmische Entwicklung des deutschen Fotojournalismus ein schnelles Ende. An die Stelle der bis dahin populären Illustrierten traten nach der ‘Machtergreifung’ allmählich nationalsozialistische Titel. Praktisch alle renommierten Bildjournalisten, viele von ihnen Juden, emigrierten u.a. in die USA, nicht wenige starben im KZ.

Gisèle Freund resümiert: “Die Einführung des Photos in der Presse ist ein Phänomen von außerordentlicher Bedeutung. Das Bild verändert die Sehweise der Massen […] Mit der Photographie öffnet sich ein Fenster zur Welt. Die Gesichter von Personen des öffentlichen Lebens, die Ereignisse, die sich in seinem Land abspielen und auch diejenigen, die außerhalb der Grenzen stattfinden, werden ihm vertraut. […] Die Photographie leitet das Zeitalter der visuellen Massenmedien ein, als das Einzelportrait durch das kollektive Massenportrait verdrängt wird. Gleichzeitig wird die Photographie zu einem mächtigen Instrument der Propaganda und der Manipulation. Die Bilderwelt wird entsprechend den Interessen jener gestaltet, die die Presse besitzen: die Industrie, das Finanzkapital, die Regierungen.” (Quelle: Gisèle Freund, Photographie und Gesellschaft, München 1976, S. 117.)

Der Fotojournalist Robert Lebeck hat das Markanteste von all dem, was Zeitungsleser nach der Lektüre achtlos in den Papierkorb werfen, akribisch archiviert. Seine umfangreiche Zeitschriftenkollektion, dokumentiert bildgewaltig die Geschichte des Fotojournalismus. Seine Sammlung berühmter Fotoreportagen umfasst Bahnhofsneubauten des 19. Jahrhundert, fesselnde Fotostrecken über den Vietnamkrieg, zeigt Bilder der Kriegsfotografen Roger Fenton (1819 –1869) und Robert Capa (1913 – 1954) und stellt bilderpralle Medien von der Berliner Illustrirte bis zum 1930 durch Maxim Gorki gegründeten Magazin
‘UDSSR im Bau’, von Life und Vu bis zur Illustrierten Stern.

Literatur:
*Robert Lebeck, Bodo von Dewitz (Hrsg.):
Kiosk. Eine Geschichte der Fotoreportage 1839 – 1973. A History of Photojournalism. Steidl Verlag, Göttingen, 2001
Freund, Gisèle, Photographie und Gesellschaft. München: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, 1976.

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