Folge 3: Achim Brauweiler, Kurator, Montréal (CAN). Dipl. Des. Wolfgang Linneweber hat für DESIGNBOTE Designer und Kreative aus Europa und Nordamerika über ihre persönlichen Erfahrungen mit Corona befragt. Er erfuhr Interessantes zu Psychologie, Geschäftsentwicklung, Privatleben, Home-Office, Finanzen und vieles mehr und bekam teils erstaunliche Einblicke.

Gerade habe ich wieder eine Pressemitteilung für die niederländische Grenzstadt getextet. Dort hatten die deutschen Besuchermassen letztes Wochenende die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln so sehr erschwert, dass jetzt Bußgelder verhängt und Verkehrslotsen eingesetzt werden sollen. Deutsche Tageszeitungen, Radio und TV-Sender sollen helfen, vorläufig noch den Run auf die Geschäfte zu drosseln.

Inzwischen kam auch die Mail aus Montréal, meiner kanadischen Lieblingsstadt. Das quirlige Kulturleben und die vitale Musikszene dort dürfen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Sankt Lorenzstrom knallharte nordamerikanische Verhältnisse herrschen, die wir im gemütlichen Merry Old Germany so gar nicht kennen. Um so neugieriger war ich, zu erfahren, wie das Leben von Kreativen unter dem Joch der Pandemie verläuft.

Achim Brauweiler

Porträtfoto Achim Brauweiler

Beschreib doch mal, was Du so machst.

Ich bin 49 Jahre alt, habe in Maastricht (NL) an der Kunstakademie Multimedia Design studiert und dort auch 10 Jahre gelebt bevor ich vor ca. 12 Jahren nach Montreal gezogen bin.

Ich arbeite seit etwa drei Jahren als selbstständiger Kurator und Projektmanager mit Fokus auf interaktive bzw. partizipative Installationen und Räume.

Zum einen vertrete ich Künstler und wir arbeiten mit größeren Veranstaltungen und Festivals, um deren Werke und zeitgenössische Kunst einem neuen Publikem, das normalerweise eher selten in Galerien und Museen geht, näher zu bringen.

Außerdem arbeite ich als Projektmanager und werde ab und an gebeten, die Realisation interaktiver und partizipativer Installationen im öffentlichen und halböffentlichen Raum (z.B. in Museen) zu koordinieren.

Zum einen habe ich ja meine Agentur Wonderifique.com und zum anderen entwickeln wir gerade zwei Ausstellungen. Die erste ist geplant als eine Reihe kleinerer Ausstellungen kinetischer Kunst im Krankenhaus.

Dann entwickeln wir gerade ein Festival für Augmented Reality (AR) Kunst, dessen Hauptaugenmerk die Ausstellung einer Reihe von AR Kunstwerken, Geschichten und Interventionen im Öffentlichen Raum sein wird. dafür arbeite ich mit einem Team an der Realisation. Geplanter Start ist Sommer 2021. Man wird sehen, wie sich das entwickelt.

Wie erlebst Du persönlich die Corona-Krise? (Gefühlsleben, Eindrücke, Effekte …)

Ich hatte anfänglich noch damit gerechnet, dass das alles nicht so schlimm wird. Da habe ich mich wohl getäuscht.

Da ich mit meinem Partner zusammen lebe, fühlt sich die Isolation weniger isoliert an, und glücklicherweise sind wir beide sehr entspannte Naturen und Konflikte gibt es bei uns kaum.

Aber derzeitig gibt es schon Momente, wenn der Ton sich im Umgang etwas verschärft und wir weniger Geduld haben. Ist aber eher selten. Gleichzeitig sind wir uns aber bewusst, wie dankbar wir dafür sein können, dass wir diese ganze Situation nicht alleine durchstehen müssen, und teilen das auch regelmäßig dem anderen mit.

Hat sich diese Krise auf Dein Auftragsbuch ausgewirkt?

Ja sehr. Mehrere, auch größere Projekte wurden bis auf weiteres auf Eis gelegt. So, wie sich das gerade alles ökonomisch in Montreal, Kanada und weltweit entwickelt, kann man leider nicht davon ausgehen, dass alle diese Projekte realisiert werden.

achim brauweiler

Aufgrund der eingebrochenen Budgets für Events und Festivals und der ohnehin schon schwierigen Lage Kunst und Kultur zu finanzieren, habe ich schon angefangen mich nach anderen Lösungen umzuschauen. Eine Festanstellung als Projektmanager und Koordinator außerhalb der Bereiche Kunst, Design und Kommunikation sind da sicherlich eine Option. Bei der derzeitigen Marktlage und dem Überangebot von qualifizierten Leuten, die ebenfalls einen Job in dem Bereich suchen, muss man sich da schon was einfallen lassen um aus der Masse herauszustechen.

achim brauweiler

Wie sieht Dein Arbeitsplatz jetzt aus? 

Gibt es in Kanada staatliche Subventionen für Designer bzw. kleine kreative Einzelunternehmer? Hast Du welche beantragt?

Es gibt kanadaweit, nicht nur für Kreative, eine sehr unbürokratische Hilfe von pauschal 2000 $Can pro Monat, wenn man bestimmte Kriterien erfüllt und seine Arbeit Corona-bedingt verloren hat. Der Antrag ist in fünf Minuten online erledigt und innerhalb von zwei Tagen hat man das Geld auf dem Konto. Ende des Jahres oder wann auch immer der ganze Schlamassel vorbei ist, wird dann jeder Fall einzeln überprüft, ob du auch wirklich die Kriterien erfüllt hast.

Kannst Du Dich mit Deinem professionellen Know-how nützlich machen?

Ich hatte anfänglich erwogen meine Erfahrung ehrenamtlich im Bereich Kommunikation und Design für gemeinnützige Organisationen zur Verfügung zu stellen. Das habe ich über die Jahre immer wieder für die verschiedensten Organisationen gemacht. Habe aber entschieden, mich erst mal um meine eigene Karriere und Zukunft zu kümmern, bevor ich, sowohl mental oder emotional, in der Lage bin, ehrenamtlich was zu machen. Zumal mein Partner letzte Woche entlassen wurde und wir beide auf Unterstützung vom Staat angewiesen sind, bis wir wieder was finden.

Wie hat sich Dein Privat- und Familienleben verändert? Wie fühlt sich Dein Wohnumfeld für Dich jetzt an und was vermisst Du im Moment am meisten?

Seit Beginn der Isolation war mein Freund bis vor einer Woche die einzige Person mit der ich nicht nur per Telefon oder Computer Kontakt hatte. Abgesehen von der Kassiererin im Supermarkt.

Vor einer Woche haben wir dann, was eigentlich illegal ist, zwei Freunde in ihrem Garten besucht, uns dabei aber die ganze Zeit an die 2-Meter-Abstandsregel gehalten. Und gestern bin ich mit einer Freundin zum ersten Mal zu einem Spaziergang mit Abstand in den Park gegangen. Das hat aber auch damit zu tun, dass das Wetter hier unter aller Sau ist. Wir hatten vor zwei Wochen noch mal Schnee. Da wir beide beruflich in ähnlichen Situationen sind hat der Austausch gut getan und so sehr ich meinen Partner liebe, war die Pause von ihm und die Zeit mit einer anderen Person sehr angenehm.

Am meisten vermissen mein Freund und ich die Einschränkungen, spontan etwas zu unternehmen, ob es der Restaurantbesuch ist, Museum oder Kino oder sonst was. Das Training im Sport Studio, nicht nur um endlich mal hier rauszukommen, aber eben auch um Energie los zu werden und Frust abzubauen, wären da jetzt ideal. Man hat ja jetzt so viel Zeit. Aber leider sind die Gyms bis auf weiteres noch geschlossen. Wir machen drei Mal die Woche ein Hometraining-Programm, aber wir sind nicht immer motiviert und die bestellten Geräte sind immer noch nicht geliefert was total frustet.

Hast Du unter Corona neue Gewohnheiten, Strategien oder private Routinen entwickelt?

Ich schlafe jetzt morgens länger. Aber weil ich auch vor Corona oft alleine im Home-Office gearbeitet hatte, hat sich im Hinblick auf Routine nicht viel geändert. Nur das Betätigungsfeld ist anders. Um zu vermeiden, dass sich alles nur wie eine endlose Aneinanderreihung des immer gleichen Tages handelt, respektiere ich das Wochenende und darum passiert es sehr selten dass ich am Wochenende den Computer für etwas anderes als Entspannung und Entertainment benutze.

Glaubst Du, dass Corona wohl oder übel Dein Leben oder sogar Deine Arbeit(sweise) nachhaltig beeinflussen wird?

Im Moment ist alles sehr ungewiss, aber ich weigere mich, alles düster und schwarz zu sehen. Vieles wird sich vor allem gesellschaftlich verändern und das Zusammenleben und Zusammenarbeiten wird auch nicht mehr das Gleiche sein. Dass viele Leute die Möglichkeit nutzen werden, vom Home-Office weiter arbeiten zu dürfen, wird dazu führen, dass ein große Zahl sozialer Interaktionen des täglichen Lebens wegfallen werden. Vor allem für Firmen im Kreativbereich eröffnet der Kontakt und die Auseinandersetzung mit neuen, kulturellen Inhalten interessante Möglichkeiten die Isolation der Mitarbeiter zu durchbrechen, um Dialoge und Meinungsaustausch unter Kollegen zu fördern. Ich entwickle gerade einen Ansatz dem Wegfall von Begegnungen und Gesprächen unter Kollegen durch ein Angebot mit kulturellen Inhalten entgegenzuwirken.

Generell bin ich flexibel und bleibe optimistisch, werde mich anpassen und hoffentlich beruflich Lösungen finden, die nicht nur finanziell interessant sind, sondern mir auch den Freiraum lassen meine Kreativität einzubringen.

Achim, vielen Dank für Deine Mitwirkung et bonne courage à vous!

Fotos mit Installationen von ‚Wonderifique‘, © Achim Brauweiler
Foto des Interviewpartners: Achim Brauweiler