“Sich als Designer selbstständig zu machen”. Ein Interview zu ganz konkreten Alltags-Themen von Designer zu Designer, und die Frage wie wir voneinander lernen können.
Mit der Interviewserie „Designer fragt Designer“ möchten wir auf ganz konkrete Fragen zum Alltag von Designern eingehen. Interviews und Erfolgsgeschichten mit Agenturleitern und Design-Choryphäen sind immer sehr schön zu lesen, doch spiegeln sie in der Regel nicht den Alltag der breiten Design-Masse wider. Daher geht unser freier DESIGNBOTE Redakteur Julien Fincker auf ganz normale Designer zu, die täglich die gleichen Erfolge feiern und die gleichen Kämpfe austragen, wie wir alle.
Als Gemeinschaft ist es wichtig, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Ganz unter dem Motto „Sharing is caring“ haben wir also Designer zu ganz bestimmten Themen und Situationen befragt und nachgehakt wie sie mit diesen bestimmten Themen und Situationen im Alltag umgehen.
Sich als Designer selbstständig zu machen
Den Anfang machen wir mit Anita Jürgeleit. Anita ist selbstständige Typedesignerin aus Hamburg. Zuvor arbeitete sie in verschiedenen Positionen festangestellt, bevor sie sich als Designerin selbstständig machte. Sich als Designer selbstständig zu machen ist für viele ein Traum. Der Ruf nach Freiheit, Kreativität und Selbstbestimmung erklingt wohl in kaum einer Branche so laut, wie in der Design-Branche.
Kreative Köpfe handeln eher emotional als rational. Papierkram macht kaum einem Designer Spaß. Doch bevor es richtig losgeht, gibt es viele Fakten zu klären. Welche Geschäftsform benötigt man, welche Versicherungen? Was will das Finanzamt wissen? Wie hoch sind die Ausgaben und woher kommen die Einnahmen? Gründerzuschüsse, Marktanalysen, all das und noch Vieles mehr gehört zur Selbstständigkeit.
Bevor man den Sprung ins kalte Wasser wagt, sollte man sich daher selbst einige Fragen stellen und reflektieren. Bin ich von der Persönlichkeit her offen und kommunikativ genug? Kann ich diese Verantwortung tragen, eventuell auch einer Familie gegenüber? Habe ich das Durchhaltevermögen, mich mit Ämtern und Behörden auseinanderzusetzen?
Ich habe Anita als sehr offene, fokussierte und starke Person kennengelernt. Sie steckt mitten im Prozess zur Selbstständigkeit, und genau deshalb habe ich ein paar Fragen an sie:
Nach einiger Zeit in Festanstellung hast Du Dich entschieden Dich als Typedesignerin selbstständig zu machen. Seit wann bist Du selbstständig und was hat Dich dazu bewogen?
Schriftdesign ist für mich ein sehr spannendes Feld. Da ich schon einige verschiedene Positionen und Ausbildungen inne hatte, ist der Fokus auf eine einzige so intensive Sache wenig abwechslungsreich und ich hatte das Gefühl, dass meine anderen Skills dort etwas verkümmern. Als ich meinen Job aus verschiedenen anderen Gründen gekündigt hatte, wurde mir schnell klar, dass ich genug Erfahrungswerte mitbringe, um es auf eigene Faust zu versuchen.
Wenn einem das erst mal klar geworden ist, dann entwickelt sich so ein Fieber, dass einen vorwärts treibt. Ich wollte unbedingt wissen, ob ich es schaffen kann, etwas auf die Beine zu stellen. Also habe ich mich kopfüber in dieses Abenteuer gestürzt.
Du bist ja praktisch mitten im Prozess sich als Designer selbstständig zu machen. Welche Hürden gibt es während dieses ganzen Prozesses zu überwinden? Was muss man alles bedenken?
Die größte Hürde ist der Anfang. Man muss sich bestimmtes Know-How erst einmal zulegen um viele Fragen zu beantworten. Was ist im internationalen Geschäft zu beachten und welche Geschäftsform wähle ich? Wo werde ich arbeiten und wie komme ich an finanzielle Mittel? Ein Unternehmensberater kann ganz hilfreich sein und einen durch diese Schwierigkeit hindurchleiten – diese nehmen aber oft unglaublich hohe Preise. In Hamburg findet man zum Glück eine Vielzahl sehr guter Unterstützungen beim Weg in die Selbstständigkeit.
Welche Unterstützungsmöglichkeiten wären das zum Beispiel?
Wenn man sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbstständig machen möchte, ist natürlich das Arbeitsamt der erste Ansprechpartner. Ich war positiv überrascht, wie mich dort fast alle Sachbearbeiter in meinem Vorhaben unterstützt haben. Ansonsten haben mir die Lawaetz Stiftung und die Hamburger Existenzgründungsinitiative sehr geholfen, die für kleines Geld sehr gute und pragmatische Gründungsberatung, qualifizierte Gründerseminare und Möglichkeiten zur Vernetzung bietet.
Kannst Du uns ein paar Beispiele nennen, welche Höhe- und Tiefpunkte Du bereits gemeistert hast? Wie hast Du Dich deren angenommen?
Es gibt immer wieder Situationen, die alle Erwartungen über den Haufen schmeißen. So kann z.B. der Umsatz plötzlich einbrechen, wenn der Market Place Änderungen an der E-Commerce Platform vornimmt und man selbst nicht mehr gesehen wird. Ein Anbieter hat z.B. seine Website im letzten Jahr so geändert, dass neue Designer und deren Schriften kaum noch gefunden werden können. Die zeigen nur noch die Bestseller. Oder eine Schriftfamilie geht beim Release einfach unter, weil etwa der Andrang neuer Schriftarten zum selben Zeitpunkt so groß ist. Dann muss man andere Wege finden, seine Schriften an den Kunden zu bringen. Es ist ein ständiges Knobeln und Kniffeln, Ausprobieren, Adjustieren und wieder vorwärtsgehen. Besonders im Bereich Social Media rennt man ständig den wechselnden Algorithmen hinterher und muss immer auf dem Laufenden sein, was sich gerade wieder geändert hat und darauf reagieren.
Muss man für die Selbstständigkeit nicht unglaublich viele Versicherungen abschliessen? Welche wären das? Und was hat es eigentlich mit der Künstlersozialkasse auf sich?
Man muss als allererstes einschätzen, wofür man sich versichern will und dann die Risiken und Kosten abwägen. Versicherungen machen gerade in Deutschland ein Riesengeschäft mit der Angst. Ich glaube nirgendwo ist man so überversichert wie in Deutschland. Renten- und Krankenversicherung sind natürlich super wichtig, aber da hat der Gesetzgeber Anfang des Jahres mal was richtig gut gemacht: der hat nämlich den Mindestbeitrag auf etwa 160€ – 190€ gesenkt. Bis 2018 waren es noch rund 400€, die man als Selbstständige mindestens bezahlen musste und das muss man gerade am Anfang erst einmal erwirtschaften. Viele Selbstständige sind deshalb in die Private KV gewechselt, waren auch mal gar nicht versichert oder sind schon im ersten Jahr in ihrer Selbstständigkeit deswegen gescheitert.
Dann gibt es für Künstler ja noch die KSK. Es ist etwas aufwändig dort reinzukommen. Der Stapel meiner Antragsunterlagen war 2 cm hoch – aber es lohnt sich: die KSK bezahlt nämlich noch einmal die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge und man ist darüber hinaus noch Renten- und Pflegeversichert. Das ist eine super Sache.
Wovor hattest Du am meisten Respekt, vor der Selbstständigkeit? Hat es sich bestätigt oder war das schnell gegessen?
Ich hatte immer ein wenig Probleme damit mich selbst zu präsentieren. Das war aber tatsächlich schnell vorbei. Wenn man erst mal richtige Leidenschaft für ein Projekt entwickelt hat (in dem Fall die Selbstständigkeit), dann ist da keine Angst mehr. Gar keine. Dann macht man das einfach.
Worauf möchtest Du Dich fokussieren bzw. was bietest Du an?
Ich habe mich auf Schriften spezialisiert und vermarkte diese im Onlinehandel. Die meisten kann man auch als Demo Version bekommen und vorab testen. Bei Bedarf kümmere ich mich auch um Kundenwünsche und helfe Unternehmen, die spezielle Anforderungen an ihre Schrift haben und modifiziere die dann nach deren Anforderungen. Wenn z.B. jemand kommt und sagt: Hey, ich habe hier eine Schrift aber ich brauche ein bestimmtes Feature das die nicht bietet, dann setze ich das um.
Deine Schriften verkaufst Du im Retail bei fontspring, myfonts und einigen weiteren international bekannten Größen. Hast Du Dich von Anfang an auf den internationalen Markt fokussiert? Gibt es überhaupt einen nationalen Markt?
Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass das Qualtiätsbewusstsein für Schriften in Deutschland steigt und man auch gerne mal etwas einkauft. Aber das kann auch nur an meiner Social Bubble liegen. Ich denke aber nicht, dass der nationale Markt für Retailschriften ein ausreichendes Einkommen bieten kann. Es wird hierzulande viel zu sehr überlegt, ob es jetzt wirklich nötig ist eine Schrift zu kaufen oder ob man sich das noch sparen kann. In den USA sieht das etwas anders aus. Da geht man auch mal gerne einfach Schriften shoppen und kauft was man gerade toll findet und im Angebot ist und nicht deswegen, weil man es unbedingt braucht. Dann gibt es auf der anderen Seite noch Asien. In Korea z.B. sind lateinische Schriften unglaublich hipp und cool. Aber dort gibt es logischerweise nicht so viele gute Schriftdesigner für lateinische Schriften. Also gehen dort auch einige Lizenzen hin.
Hast Du bestimmte Ziele worauf Du hinarbeiten möchtest? Und hast Du eine Strategie, wie Du diese erreichen möchtest?
So richtige Ziele habe ich nicht. Aber ich möchte, wenn ich zurückschaue stolz auf meine geleistete Arbeit sein und wenn ich nach vorne schaue, will ich immer neue Wege gehen, um mich zu verbessern. Strategien sind gut, um grundsätzlich für sich zu definieren, welche Richtung man in Zukunft einschlagen will, aber sie müssen ständig angepasst werden. Es ist ein ewiges Try&Error. Erst hat man eine Vorstellung davon, wie etwas funktionieren muss oder soll und dann funktioniert es vielleicht trotz bester Recherche nicht. Dann muss man sich adjustieren und etwas neues Ausprobieren. Das ist unglaublich spannend.
Du bist auch Mutter eines kleinen Kindes. Sowohl ein Kind als auch sich als Designer selbstständig zu machen stelle ich mir sehr zeitintensiv vor. Wie bringst Du es unter einen Hut, dass sowohl Kind, als auch Arbeit nicht zu kurz kommen?
Selbstständig zu sein bedeutet für mich und meine Familie größtmögliche Flexibilität. Das Kind ist ja jetzt „aus dem gröbsten Raus“, wie man so schön sagt. Aber es gab und gibt immer noch Zeiten, in denen ich nachts mit dem Laptop im Bett arbeite, weil mein kleiner Fuchs nicht gut schlafen kann und mich erstens eh alle halbe Stunde weckt, und zweitens auch nicht will, dass ich das Zimmer verlasse. Wenn ich nach so einer Nacht morgens um 8 im Büro erscheinen müsste, wäre das schon sehr viel anstrengender.
Hast Du Dich durch Dein Kind, im Bezug zu Deiner Arbeit oder Arbeitsweise verändert? Siehst Du hier Parallelen?
Ich hatte schon immer ziemlich genaue Vorstellungen davon, was gute Arbeitsbedingungen für mich ausmachen. Durch mein Kind und die Selbstständigkeit kann ich meine eigenen Entscheidungen treffen und diese Vorstellungen voll ausleben. Ich muss mich auch nicht vor Kollegen und Vorgesetzten rechtfertigen, wenn mein Kind einmal krank ist, was in einem Angestelltenverhältnis durchaus öfter vorkommen kann.
Findest Du also, dass es im Angestelltenverhältnis deutlich schwieriger ist, sich um ein Kind zu kümmern? Was sollte sich Deiner Ansicht nach grundlegend ändern, damit hier Kind und Karriere besser in Einklang gebracht werden können?
Nicht unbedingt. Das kann jeder nur für sich selbst beurteilen. Das kommt sicherlich auf den Job, den Vorgesetzten, das Kollegenteam und auch auf den natürlichen Charakter des kleinen Nachwuchses an. In Deutschland klagen viele Unternehmen über Fachkräftemangel. Es gibt aber (laut meinem Gründungsberater) viele hochqualifizierte Mütter, die keine Arbeit bekommen. Das liegt nach meiner Erfahrung daran, dass die Arbeitsbedingungen und die Erwartungen nicht flexibel genug angepasst werden.
Wenn man einen Blick nach Schweden wirft, dann sieht man, dass dort die Arbeitsverhältnisse anders sind. Die Gesellschaft ist dort auf Kinder ausgerichtet und es ist selbstverständlich, dass der Nachwuchs an erster Stelle kommt. Wenn ein Kind krank ist, dann wird dort mit keinem Wort in Frage gestellt, dass Eltern zu Hause bleiben. Da gibt es kein Gerede von kinderlosen Kollegen darüber, dass Mütter in der Ferienzeit Urlaub bekommen oder wegen eines kranken Kindes zu Hause bleiben. In den meisten deutschen Unternehmen wird nur wenig Verständnis und wenig Verantwortungsgefühl für solche Dinge aufgebracht. Dabei vergessen die meisten, dass sie vielleicht selbst auch einmal in dieser Rolle stecken werden oder gesteckt haben. Eine Mutter, die keine familiäre Hilfe vor Ort hat und vielleicht noch ein schwieriges Kleinkind, die kann z.B. nur auf Kosten des Kindes sehr enge Deadlines einhalten. Es gehört in Deutschland schon ein wenig Mut dazu, solche Mitarbeiter einzustellen. Aber die Kinder werden größer und man hat auf lange Sicht die Chance dankbare und qualifizierte, loyale Mitarbeiter zu gewinnen.
Was für ein Fazit ziehst du persönlich unter deiner Entscheidung sich als Designer selbstständig zu machen?
Man braucht immer ein gutes Bauchgefühl. Wenn man die Angst vor dem Versagen nicht hinter sich lassen kann und nicht die Motivation findet, sich kopfüber reinzustürzen, dann wird das nichts – jedenfalls nicht jetzt. Aber man kann den Gedanken reifen lassen und so lange weiter recherchieren bis es sich gut anfühlt. Das ist dann der bestmögliche Zeitpunkt. Es gibt keine Garantie dafür, dass es mit der Selbstständigkeit funktioniert, aber es ist eine wichtige Voraussetzung dafür. Für mich war es eine Mischung aus dem richtigen Timing, einem guten Bauchgefühl und einer Prise Sturköpfigkeit, welche mich in die Selbstständigkeit befördert hat. Für mich war es die richtige Entscheidung, in jeder Hinsicht. Eigenverantwortlich zu sein macht mich freier. Jemanden in der Hierarchie über mir zu haben hat mich bisher mehr ausgebremst als vorwärts gebracht.
Vielen Dank Anita, für die interessanten Einblicke in Deine Arbeit. Wir wünschen Dir weiterhin viel Erfolg und freuen uns schon auf Deine nächsten Releases!
Weitere Informationen zu Anita Jürgeleit findet ihr unter:
https://www.anitajuergeleit.de/
https://www.fontspring.com/foundry/anita-jurgeleit
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