DESIGNBOTE-Redakteur Wolfgang Linneweber sprach mit dem UI/UX- Digital Product- und Service Designer Georg S. Kuklick. Der Berliner arbeitet seit 2016 als Freelancer für verschiedene Unternehmen mit Sitz in New York:
Kannst Du den Begriff ‘Service Design’ kurz definieren?
Er beschreibt den Gestaltungsprozess von allen möglichen Dienstleistungen und Abläufen bei denen Kunden oder Nutzer involviert sind. Die Rolle des Service Design beginnt schon mit dem ersten Kontakt mit einem Unternehmen z.B. beim Anklicken eines Banners, reicht vom Konsultieren von Produktinformationen, über die Suche nach einem Parkplatz und das Erleben einer Warteschlange an der Kasse, bis hin zu einer eventuellen Reklamation und schließlich dem Ende des Produktlebens und seiner Entsorgung. Die Zielsetzung von Service Design ist das einzigartige, möglichst positive Kundenerlebnis. Alle Interaktionen sollen so simpel wie möglich werden und jederzeit ein positives Gefühl vermitteln. Service Design kann aber nicht nur Dienstleistungen rund um eine Produkt entscheidend optimieren, sondern auch hoch innovative, originell und grundstürzende Dienste hervorbringen.
Vor zwei Jahren hattest Du uns mal Deine persönlichen Design-Trends 2018 verraten. Deine Prognose lautete unter anderem: “Service Design drängt klassisches Consulting und schnödes Marketing noch weiter in den Hintergrund.” Geht’s ein bisschen präziser?
Früher reichte es, ein Produkt oder einen Service mit viel Ego zu entwickeln und dann per Marketing und Werbung potentielle Zielgruppen zu deren Nutzung zu überreden. Das funktioniert heute nicht mehr ganz so gut. Design per Ego ist ein Relikt der Vergangenheit. Customer Centricity und Value Driven Design ermöglichen uns, den wirklichen Bedarf zu ermitteln und dann passende Produkte zu entwickeln. Der Mensch und dessen wahrer Bedarf rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt. Ein gutes Beispiel ist Taxi vs. Uber. Beide Dienste bringen dich von A nach B. Wie konnte Uber zu so einer Gefahr für das Taxigewerbe weltweit werden? Uber hat sich die gesamte User-Journey einer Taxifahrt angesehen, die aus Nutzersicht relevanten Schwachstellen identifiziert und schrittweise eliminiert. Das war lange überfällig und im Grunde relativ simpel.
Du arbeitest seit Jahren für Unternehmen in Deutschland und den USA als Designer für digitale Produkte und Services. Was sind aus Deiner Sicht die größten Unterschiede zwischen hier und dort?
In Start-Ups bis 50 Mitarbeitern ist der Unterschied nicht besonders groß. Allerdings sind die Budgets in den USA größer und das Wachstum rasanter. Insgesamt sind in den USA gegründete Start-Ups weniger zögerlich und mutiger. Das liegt auch am Druck der Investoren. Manchmal ist das ein Vorteil, allerdings nicht immer. Auf Enterprise Level ist der Unterschied indes gewaltig. Leider muss man sagen, dass Deutschland ähnlich wie vor 20 Jahren beim Internet, diesmal den Wandel vom IT-Zeitalter zur Service Design-Ära verschlafen hat und die Bedeutung von Design (hier: Design, das über die ästhetische Erscheinung hinausgeht, Design nicht greifbarer Produkte und von Dienstleistungen …) immer noch kolossal unterschätzt.
Was meinst Du mit Service Design-Ära?
Wenn man sich die weltweit dominierenden Unternehmen Google, Apple, facebook anschaut, dann sind das in erster Linie Service Provider. Auch Amazon macht einen Riesenanteil des Gewinns mit Service-Leistungen, wie z.B. dem Bereitstellen einer E-Commerce-Plattform, Logistik und der AWS Cloud Service-Plattform, die jetzt auch Tools für AI und Machine Learning anbieten. Natürlich verkauft Apple auch Hardware, aber der Gewinn steckt in Services wie Apple App Store, Apple Music, Apple Pay/-Card und jetzt neu, Apple TV und Arcade.
Warum tut sich Deutschland damit so schwer?
Zum Einen denken viele Manager immer noch, man könne einfach eine Agentur oder Consulting Company engagieren und dann liefe das alles. Dabei wird dann oft auf die in Deutschland üblichen Verdächtigen zurückgegriffen, mit denen man in den Bereichen Consulting, Marketing und/oder Werbung eh schon zusammenarbeitet. Das ist aus meiner Sicht ein schwerwiegender Fehler. Anstatt intern die nötigen Strukturen zu bilden, verlässt man sich auf externe Hilfe und versäumt es, die nötige Expertise intern aufzubauen. BMW lässt seine Autos ja auch nicht bei Boston Consulting oder Accenture entwickeln. Der externe Dienstleister bleibt dann häufig der Einäugige unter den Blinden.
Ist das Ergebnis der spezialisierten Dienstleister denn nicht dasselbe oder gar besser?
Ich habe 20 Jahre sowohl auf Kunden- als auch auf Agenturseite gearbeitet. Das Businessmodel einer Agentur ist es ja nicht, das bestmögliche Produkt zu entwickeln. Es geht darum, mit dem minimal notwendigen Aufwand den Kunden soweit zufrieden zu stellen, dass er bereit ist die Rechnung zu begleichen. Alles darüber hinausgehende wäre Verschwendung durch Übererfüllung und würde von jedem professionellen Key Account Manager verhindert. Aus meiner Sicht muss Service Design-Expertise intern aufgebaut und fest in den Firmen- bzw. Management-Strukturen verankert werden.
Ein solcher Paradigmenwechsel erfordert nicht nur ein Umdenken auf allen Ebenen, es müssen auch Strukturen geschaffen werden und Entscheidungsgewalten neu verteilt werden. Es gibt oft einen Chief Technology Officer (CTO), aber keinen Designer auf C Level. Das war vor 20 Jahren ok so, heute wäre es anders herum wichtiger.
Was meinst Du mit anders herum?
In den meisten Fällen sieht es so aus: Es gibt einen CTO auf C-Level und auf einen Service Designer kommen 4–10 IT-Fachkräfte. Dementsprechend sehen dann auch Budgets, Entscheidungen und Prozesse aus. Zwar gibt es mittlerweile manchmal einen Service/Produkt-Verantwortlichen auf C Level, deren Background ist aber meist BWL und nicht Service/Produkt Design. Das resultiert dann leider bestenfalls in mittelmäßigen Produkten und Services.
Liegt das nicht auch am häufig kolportierten ‘Fachkräftemangel’?
So schlimm ist der gar nicht. Oft ist ausreichend Wissen und Können vorhanden, um gute digitale Produkte/Services zu entwickeln. Leider ist aber das Wissen falsch verteilt, nämlich eher in Pyramidenform. Je weiter oben man in den Strukturen nach Design Wissen sucht, um so schmaler wird es. Das fehlende Verständnis für die Wichtigkeit von Design im Top Management-Level schlägt sich dann in Budgetierung und Entscheidungen nieder. Es ist auch selten, dass ein Designer für digitale Produkte mehr als 250.000 € im Jahr verdient. Verglichen mit der möglichen Wertschöpfung durch gutes Design, und verglichen mit Auto- oder Mode-Designern ist das nicht ganz nachzuvollziehen.
Ist das in den USA so anders?
Natürlich nicht überall. Aber über all da, wo die Notwendigkeit erkannt wurde, wird mit einen wesentlich größeren Hammer Veränderung voran getrieben. Man kann heute kein mittelmäßiges Design mehr anbieten. Vor 20 Jahren war gutes Design, wie z.B. eine Braun Hifi-Anlage nur in kleinen Zielgruppen etabliert. Heute benutzt so gut wie jeder ein Google- oder Apple-Produkt und einen Service wie Gmail oder Apple Music. Die Designqualität dieser Produkte/Services sind heute die Messlatte, die der Standard-Konsument weltweit gewöhnt ist und mittlerweile auch erwartet.
Ist es denn wirklich so schlimm wie das klingt?
Leider ja. Zwar werden die Budgets für den digitalen Wandel immer größer und der Wille zur Transformation ständig thematisiert, nur sind die Veränderungen eher mau oder das Geld wird ergebnisarm verbrannt. In den letzten Jahren haben viele Unternehmen autark agierende ‘Design Labs’ gegründet und dafür viel Geld in die Hand genommen. Damit haben sie aber leider in den meisten Fällen nur neue Wissenssilos erschaffen.
Was muss aus Deiner Sicht in Deutschland verändert werden?
Design muss fest auf C-Level verankert werden und mit der nötigen Entscheidungsgewalt über Strukturen und Prozesse versehen werden. Wenn man keinen Designer findet, der den Anforderungen an Leadership und in betriebswirtschaftliche Belangen auf C-Level gerecht wird, dann muss man ihm/ihr einen Berater oder Mentor zur Seite stellen, um das auszugleichen. Das IT-Department würde ich dem Produkt/Service Design-Department unterordnen. Es braucht heute oft keinen CTO mehr. Die Fragerichtung darf nicht mehr sein: Kann unsere IT das realisieren? Sondern: Was soll unsere IT realisieren können? Design Expertise muss intern aufgebaut werden und nicht extern über Design Agenturen eingekauft werden. Strukturen müssen auf allen Ebenen angepasst werden. Erfolgsboni für Produkt/Projekt Manager würde ich komplett abschaffen, das führt nur zu schlechten Produkten.
Inwiefern hängt das zusammen?
Der Produkt Manager einigt sich mit dem Director of Product für den Jahreszielbonus auf eine grobe Roadmap. Diese Roadmap wird ohne ausreichende Rücksprache/Schätzung mit Design und Development geplant und ist deshalb unrealistisch. Wenn es dann an die Umsetzung geht, werden viele vom Design gewünschte Features oder Details als nicht zwingend notwendig bewertet und nicht umgesetzt. Es geht dann mehr um die Anzahl der ausgelieferten Features und nicht um deren Qualität. Ziel der Roadmap erreicht, Bonus erhalten, Produkt aber bestenfalls Mittelmaß.
Was müsste an den Hochschulen geschehen, damit Service Design auch in Deutschland seinen verdienten Stellenwert und Wertschätzung bekommen könnte?
Dort sieht es gar nicht so schlecht aus. Auch der Markt gibt längst ausreichend Fachkräfte her. Nur bekommen die nicht die richtigen Positionen oder werden dort nicht ernst genommen. Das Problem sitzt weiter oben. Dort müsste es eine Sensibilisierung oder Weiterbildungen auf allen Managementebenen geben.
Darf man fragen, was für eine Art Job grade auf Deinem Schreibtisch liegt?
Ich arbeite gerade für die Unqork Inc. mit Sitz in New York. Dabei geht es um No-Code Solutions für die digitale Transformation auf Enterprise Level. Das ist mit Abstand das Spannendste, an dem ich den letzten 5-6 Jahren beteiligt war.
Was hatte dich zur Orientierung nach NYC bewogen?
Nach 20 Jahren Design von digitalen Produkten und Services habe ich in Deutschland so ziemlich alles gesehen. Die heißen Themen der Zukunft, Crypto Technologies, No-Code und Machine/Learning werden in Deutschland unterschätzt, ausgebremst und teilweise völlig ignoriert. Ich will ganz einfach bei der Musik sein. Das ist in Deutschland nur schwer möglich.
Du bist ja öfter da: Wie fühlt sich der Big Apple an?
Wenn mich Freunde danach Fragen warum New York, ist meine Antwort meist, Berlin ist der wunderbarste Ort auf Erden und meine Heimat. Aber New York ist ein komplett anderer Planet. New York macht null Sinn. Kaputte Straßen und U-Bahnen, überall Müll auf den Gehwegen; alles stinkt und ist dreckig und es gibt keinen Winter wo nicht die Heizung oder das heiße Wasser ausfällt. Super oder? In den letzten Jahren habe ich die meiste Zeit WeLIve on Wall Street zum wohnen genutzt. Das war für mich die beste Lösung. Nach ein paar Wochen im East- und West Village logiere ich jetzt gelegentlich in Greenpoint Brooklyn.
Was unternimmst Du, wenn du in NYC bist?
Art, Art, Art, Art und Music-Shows besuchen. Das Angebot ist unfassbar.
Was ist Dein aktueller Lese- bzw. Hörstoff?
Ich lese gerade zum zweiten mal Zero to One von Peter Thiel. Auch wenn der Autor und seine Firmen zurecht umstritten sind, ist dieses Buch ein Muss für Jeden der sich für Entrepreneurship interessiert.
Apple Music Username: @downtownberlin
Ein Blick in die Kristallkugel: Kündigt sich da ein Abschied vom Materiellen an? Dämmert nach einer Ära des hemmungslosen Materialismus ein Zeitalter der immateriellen ‘Produkte’, die mehr erlebt, als physisch benutzt werden?
I’m a sucker for Vinyl. Ich hoffe daher nicht. Ich sehe in New York einen starken Trend Richtung Natur. Viele zieht es an den Wochenenden Upstate zum hiken und etwas Ruhe in der Natur. Ein kleines Haus in den Catskills ist überraschenderweise relativ erschwinglich verglichen mit den Lebenskosten in New York City. Wenn sich Dein Leben allerdings von Paycheck to Paycheck bewegt, was bleibt Dir da noch außer Kleidung, Essen und Netflix. Nicht viel.
Deine Prognose der Trends 2020 and beyond:
Machine Learning, Artificial Intelligence (AI) und Crypto Technology werden weiterhin den Hype-Train bestimmen, die damit verbundenden Kontroversen machen das Thema medial omnipräsent. Die viel aktuellere Revolution sehe ich allerdings woanders. No-Code Solutions wie die von Unqork Inc. mischen gerade das gesamte Enterprise-Universum auf. Prozesse in einem Bruchteil der herkömmlichen Zeit, ohne eine einzige Zeile Code zu digitalisieren, ist ein Gamechanger und wird die IT Landschaft massiv verändern.
Vielen Dank Georg, dass Du Zeit für uns hattest!
LinkedIn: https://www.linkedin.com/in/kuklickwbta/
Instagram: @downtownberlin
Bildtext: Georg Kuklick
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