„Der A.I. Chair ist völlig anders entstanden als bisherige Entwürfe von Philippe Starck“ – Ein Gastbeitrag von André Pechmann, Brand Marketing & Communications Manager DACH & Nordics bei Autodesk

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André Pechmann

Prozesse der Zusammenarbeit von Menschen und Maschine sind schon längst keine Vision einer nun folgenden Zukunftsutopie in ferne Designwelten. Vielmehr möchte ich Ihnen vielfältige Einblicke in eben diese Abläufe geben, die tagtäglich die aktuelle Arbeit unserer Designer und Entwickler bestimmen. Ihre Aufgabe ist es dabei immer häufiger, Probleme treffgenau zu erfassen und zu beschreiben, mit dem Ziel: Innovative Lösungen finden und diese effektiv umsetzen.

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Wie künstliche Intelligenz die Rolle des Designers verändert, wird momentan vielfach diskutiert. Dabei wird sie ambivalent betrachtet – sowohl als Bedrohung als auch als Chance. Welche Facetten diese Betrachtung haben kann – einen näheren Einblick finden Sie hier . Das Fazit, das der Artikel dabei zieht – nämlich, dass „Künstliche Intelligenz […] nicht etwa den Gestalter und Ingenieure [verdrängt], sondern […] deren Rollen und Arbeitsweisen [verändert]“ – lässt sich mit Blick auf die Praxis bestätigen. Und dies lässt sich auch am besten anschaulich an einem Praxisbeispiel in seiner Vielschichtigkeit aufzeigen: Hierbei greifen wir im nachfolgenden Beitrag auf den A.I. Chair zurück. Diesen hat Philippe Starck in Zusammenarbeit mit Autodesk und Kartell entworfen. Es handelt sich dabei um einen organisch anmutenden Stuhl in filigranem Stil, der vollständig aus recyclebarem Material und aus einem Guss gefertigt ist. Der Stuhl, vielmehr das Designobjekt, greift die oben erwähnte Ambivalenz in sich selbst auf; es ist zugleich ein Objekt, das sich dem typischen Starck-Stil zurechnen lässt und dabei doch hinsichtlich der Erwartungen, die man an das Starck-Design hat, überrascht. Beide Eindrücke sind zutreffend. Denn der A.I. Chair ist völlig anders entstanden als bisherige Entwürfe des Stardesigners: in Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz. Um es noch präziser zu fassen: Ein zentraler Kollaborations-Partner wurde durch den generativen Design-Ansatz des Softwareunternehmens Autodesk gestellt. An dieser Stelle wollen wir Ihnen Blicke hinter die Kulisse eröffnen.

Philippe Starck und die künstliche Intelligenz: eine Annäherung

„Künstliche Intelligenz, kannst du uns sagen, wie wir unsere Körper unter Einsatz von so wenig Material wie möglich ausruhen können?“ So lautete – in Prosa übersetzt – die Frage, die Starck und unser Team der Software stellten. Wie stellt man einer Software eine Frage? Indem man in ihr die Designziele zusammen mit Parametern wie Materialien, Konstruktionsmöglichkeiten und Kosten- und Effizienzangaben zusammenführt. Im Fall des A.I. Chair waren das: Informationen zu Philippe Starcks Designansatz wie beispielsweise die Winkel und minimalistisch gestalteten Oberflächen von früheren Designs wie seines Stuhlmodells Louis Ghost. Gefüttert wurde der Algorithmus außerdem unter anderem mit Vorgaben zur Bequemlichkeit des Stuhls und EU-Richtlinien zur Belastbarkeit. Basierend auf den eingegebenen Informationen entwickelte die Software verschiedene Lösungsmöglichkeiten und zeigte zahlreiche Designalternativen auf. Dass dabei nicht bereits im ersten Anlauf ein Stuhldesign den stilistischen und praktischen Anforderungen vollständig gerecht wurde, war (für uns) erwartbar, forderte anfangs aber die Geduld von Starck etwas heraus. Die Aufgabe der Entwicklungsdesigner war es während des gesamten Prozesses, als eine Art Übersetzer zwischen Stardesigner und Software zu agieren. Je genauer Philippe Starck seine Vorstellungen formulierte und je mehr Informationen das Team in die Software einspeisen konnte, desto schneller lernte sie – und desto präziser erfüllten die vorgeschlagenen Entwürfe die hohen Erwartungen. Wie in einer neuen Zusammenarbeit, gab es auch im Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine eine Phase des Kennenlernens, in der Starck mit unserer Hilfe dem System seine Designabsicht näherbrachte. Währenddessen versuchte die künstliche Intelligenz, so viel wie möglich zu lernen, um so hilfreich wie möglich zu werden. Im Verlauf der Beziehung entwickelte sich das System zu einem starken kollaborativen Partner und begann damit, Starcks Vorlieben und Arbeitsweise zu antizipieren. Der Computer entwickelte aus den gemachten Vorgaben in kurzer Zeit eine Vielzahl an Design-Varianten, die mit menschlicher Denkleistung kaum möglich gewesen wären. Und genau darin liegt der Vorteil künstlicher Intelligenz: Sie ist schneller, als das menschliche Gehirn, vor allem aber ist sie freier. Und genau dieser Aspekt war ausschlaggebend für Philippe Starck, sich auf das Projekt einzulassen.

Mehr Raum für Kreativität

Philippe Starck, der Stardesigner, der nach eigenen Angaben nicht einmal einen eigenen Computer besitzt, setzt auf künstliche Intelligenz – warum? „Künstliche Intelligenz, ohne kulturellen Hintergrund, ohne Erinnerungen, ohne Beeinflussungen, reagiert nur mit Intelligenz[…]. A.I. Chair ist der erste Stuhl, der außerhalb eines Gehirns gestaltet wurde, außerhalb unserer gewohnten Denkweisen. Auf diese Weise öffnet sich eine neue Welt für uns. Unbegrenzt.“ (Philippe Starck) Starck suchte einen ganz neuen Ausgangspunkt für seine Kreativität, er wollte sich nicht vom Diktat einer Stuhl-Architektur bestimmen lassen. Die Generative-Design-Software ermöglichte es ihm, losgelöst von sämtlicher Prägung und (unbewusster) Beeinflussung kreativ zu werden und zu gestalten. Sie generierte von menschlichen Denkmustern losgelöste Vorschläge, die Starck bewertete und weiterentwickelte, indem er uns die Software mit weiteren Parametern füttern ließ. Die künstliche Intelligenz hat den Designer nicht ersetzt – sie wurde zu seinem Werkzeug, das ihm neue Freiheit eröffnete. Die Freiheit, neu zu denken – und die Freiheit, mehr Zeit auf die kreative Gestaltung zu verwenden; denn: die Aufgabe, das Design perfekt auf das gewünschte Material und die geeignetste Fertigungsmethode auszurichten, übernimmt die Software.  So auch beim A.I. Chair, der von Philippe Starck von Beginn an gedacht war als vergleichsweise kostengünstiges Massenprodukt, das im Rahmen von Kreislaufwirtschaft aus recyceltem Material hergestellt werden sollte. Als geeignetes Fertigungsverfahren identifizierte unser Team den Spritzguss und speiste die entsprechenden Anforderungen in den Algorithmus ein. Auf diese Weise lieferte die Software ausschließlich Vorschläge für Designs, die beispielsweise eine wie beim Spritzguss erforderliche einheitliche Wandstärke aufzeigten oder dank kleinstmöglicher Überhänge einfach aus der Gussform zu lösen zu sind. Ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft, die beim Design beginnt – auch unter diesem Gesichtspunkt zeigt der A.I. Chair, wie die Zukunft der Produktentwicklung aussieht.

Neue Rolle für Designer: Vom Problemlöser zum Problembeschreiber

Die Frage, ob es in Zukunft also womöglich keine Designer mehr braucht, stellt sich meiner Meinung nach nicht. Ich glaube nicht an autorenloses Design. Ich bin überzeugt davon, dass künstliche Intelligenz die Disziplin weiter befeuern und gleichzeitig die Rollen und Aufgaben von Gestaltern verändern wird. Der Designer wird vom Problemlöser zum Problembeschreiber. Seine Aufgabe wird es verstärkt sein, Ziele, Einschränkungen und Anforderungen so präzise wie möglich zu erfassen und kreativen Input so aufzubereiten, dass die Software lernen und den Erwartungen des Designers gerecht werden kann. Während die Maschine eine Vielzahl an Lösungsmöglichkeiten liefert, ist es die Verantwortung des Designers, die bestmögliche Variante zu identifizieren und weiter zu entwickeln. Mehr denn je benötigt er dafür die Fähigkeit, offen zu sein für völlig neue Ansätze, auf die ein menschliches Gehirn unter Umständen gar nicht gekommen wäre. Philippe Starck hat gezeigt, wie es geht.

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