Über Social Media  verkündete die Familie den Tod des Fotografen.

„Mit großer Trauer verkünden wir den Tod von Peter Lindbergh am 3. September 2019 im Alter von 74 Jahren.“

Portrait Peter Lindbergh:

Der Fotograf und Filmemacher Peter Lindbergh wurde am 23. November 1944 in Lissa, im heutigen Polen, als Peter Brodbeck geboren und wuchs im proletarischen Duisburg-Rheinhausen auf. Den klangvollen Namen ‚Lindbergh‘ hatte er sich zugelegt, weil er ständig Drohanrufe von Gläubigern eines Fotografen gleichen Namens bekam.

Lindbergh verließ schon mit 15 die Schule und machte zunächst eine Lehre als Schaufensterdekorateur. Nach einem Intermezzo als Dekorateur in der Schweiz schrieb er sich in den frühen Sechzigern an der Hochschule für Bildende Künste Berlin für einen Abendkurs in Zeichnen ein und entkam so in der von den Alliierten regierten Stadt endgültig der Wehrpflicht. Er dekorierte Schaufenster bei Horten, jobbte nachts in der Glühbirnenfabrik, bereiste als Tramper Frankreich, Spanien und Marokko, studierte schließlich bei Günther C. Kirchberger Malerei, Gebrauchsgrafik und Design an der Krefelder Werkkunstschule.

Beeinflusst von Joseph Kosuth und der konzeptuellen Bewegung, zeigt er 1969 seine Arbeiten in der renommierten Krefelder Avantgarde-Galerie Denise René – Hans Mayer. Der Fotografie wandte er sich erst nach seinem Umzug nach Düsseldorf 1971 zu. Der Anlass war banal: Er kaufte sich eine gebrauchte Minolta um die Kinder seines Bruders abzulichten. Mit 27 Jahren wurde er Assistent des nur zwei Jahre älteren Werbefotografen Hans Lux und eröffnete schon 1973 sein eigenes Studio. In seiner Heimat inzwischen bekannt und teuer geworden, arbeitete er nachden Fotolegenden Helmut Newton, Guy Bourdin und Hans Feurer auch für das Magazin STERN, um ab 1978 seine Karriere in Paris, zunächst bei Marie Claire, fortzusetzen. Er sprach noch kein Wort Französisch.

Arbeitsweise und künstlerische Vision

Lindbergh führte einen neuen Realismus ein, indem er mit zeitlos wirkenden Bildern das Schönheitsideal neu definierte. In seiner humanistischen Herangehensweise und Idealisierung der Frau unterscheidet er sich von den anderen Fotografen, indem er Seele und Persönlichkeit stärker in den Fokus nimmt. Überzeugt, dass es jenseits des Alters noch etwas anderes geben müsste, das einen Menschen interessant erscheinen lässt, sagt er einmal: „Es sollte heute die Aufgabe der Fotografen sein, die Frauen und irgendwann alle vom Terror der Jugend und der Perfektion zu befreien.“ Er will alle Klischees vermeiden, Frauen in ihrem reinen Zustand, „in aller Ehrlichkeit“ darstellen. Mit dem praktisch ungeschminkten Gesicht, das Authentizität und natürliche Schönheit unterstreicht, und Kleidung, die nur eine Nebenrolle spielt interpretiert Lindbergh in den Post-Eighties die Frau neu: „If you take out the fashion and the artifice, you can see the real person.“ Die britische Journalistin Suzy Menkes kommentierte diese Haltung: „Peter Lindberghs Markenzeichen ist die Weigerung, sich der glänzenden Perfektion zu beugen.“

Typisch Lindbergh: Modestrecke mit Story

Lindbergh gilt als Pionier der narrativen Modestrecke. Mit seinem Storytelling eröffnete er eine neue Sichtweise von Kunst und Modefotografie, die mit ihrem minimalistischen Ansatz Fotografiegeschichte schreiben sollte. 1988 erntete Lindbergh international Applaus, als er eine neue Modellgeneration ganz puritisch in weißen Leinenhemden ablichtete. Bald darauf zierten die noch blutjungen Models Linda Evangelista, Naomi Campbell, Cindy Crawford, Christy Turlington und Tatjana Patitz zusammen das legendäre Cover der Vogue UK vom Januar 1990.

Popsänger George Michael ließ sich von Lindbergh’s Fotografien zu seinem Song ‚Freedom ’90‘ inspirieren, bevor Gianni Versace die Ära der Supermodels einläutete, die den Look der neuen modernen Frau ganz neu definieren sollte.

Lindberg ist nicht nur berühmt für seine erzählerischen Modestrecken, sondern auch für ebenso schlichte wie enthüllende Porträts und Stillleben, bei denen Einflüsse aus dem frühen deutschen Kino und dem industriellen Milieu seiner Kindheit aber auch aus dem zeitgenössischen Tanz und Varieté durchscheinen. Lindbergh arbeitet seit Ende der 70er Jahre mit und für renommierte Modelabels und internationale Magazine wie Vogue, The New Yorker, Rolling Stone, Vanity Fair, Harper’s Bazaar US, Wall Street Journal Magazine, The Face, Visionaire, Interview und W zusammen.

Lindberghs Werk ist in vielen Sammlungen von Kunstmuseen weltweit vertreten und wird in renommierten Museen und Galerien, wie u.a. in der Ausstellung ‚A Different History of Fashion‘ in der Rotterdamer ‚Kunsthal‘ (2017), The Victoria & Albert Museum (London), dem Centre Pompidou (Paris) sowie in Einzelausstellungen im Hamburger Bahnhof (Berlin), dem Bunkamura Museum of Art (Tokyo) und dem Puschkin Museum of Fine Arts (Moskau).

Lindbergh und das ’neue Frauenbild‘

‚Shadows on the Wall‘ visualisiert die Essenz der menschenfreundlichen, minimalistischen Sehweise eines der weltweit stilprägendsten Fotografen und dessen Bild einer modernen, ‚Neuen Frau‘. Zugleich verweist er subtil auf Lindberghs Hintergrund als der Bildende Künstler, als der er in den Siebzigern ins Lichtbildgeschäft eingestiegen war und lässt den Regisseur erahnen als den man Lindbergh leider kaum kennt.

Peter Lindbergh

Peter Lindbergh Shadows on the Wall TASCHEN ISBN 978-3-8365-7360-3

Lindbergh als Filmregisseur

Weniger bekannt ist, dass Lindbergh bei einer Reihe von Filmen und Dokumentarfilmen Regie führte: ‚Models, The Film‘ (1991) und ‚Inner Voices‘ (1999), die beim Toronto International Film Festival (TIFF) 2000 als beste Dokumentarfilme ausgezeichnet worden waren; ‚Pina Bausch, Der Fensterputzer‘ (2001) und ‚Everywhere at Once‘ (2007, unterlegt mit der Stimme von Jeanne Moreau), die beim Filmfestival von Cannes und Tribeca präsentiert worden waren. Lindbergh wird von der Gagosian Gallery vertreten.

Peter Lindbergh lebte in Paris, Arles und New York.

Text: Wolfgang Linneweber www.dialect.de
Foto: Stefan Rappo