Die Story des Kreativduos Mert & Marcus liest sich wie eine moderne Telenovela: Mert Alas, der dunkelblonde und blauäugige Türke – eigentlich klassischer Musiker – und der Waliser Marcus Piggott – eigentlich Grafiker. Beide schwul, beide 1971 geboren, lernen sich 1994 auf einer Party kennen, machen zusammen das Londoner Nightlife unsicher und toben sich kreativ in Fashion und Fotografie aus. Das unzertrennliche Duo tut dies mit solcher Hingabe und Konsequenz, dass die Stilbibel Dazed & Confused schon bald ein Motiv von ihnen als Covermotiv nutzt. Es folgt eine Bilderstrecke für ‚Visionaire‘ und 1999 erste Werbejobs für Levi’s ‚Engineerd Jeans‘. Stilistisch beeinflusst vom dekadent-verschwitzten visuellen Idiom der französischen Lichtbildner-Ikone Guy Bourdin, inszenieren die beiden starke, unnahbar elegante Frauen die gerade deshalb erotisch strahlen. Der Rubel rollt, und so kaufen sie schon 2002 eine Wohnung im Londoner Viertel King’s Cross, das grade in Mode kommt.

Mert und Marcus prägen seither die Images von Luxusmarken wie Yves Saint Laurent, Giorgio Armani, Roberto Cavalli, Fendi, Miu Miu, Gucci, Givenchy – ihrem Kollegen Nick Knight schnappten sie den lukrativen und prestigeträchtigen Lancôme-Job weg.

MERT MARCUS PIGGOTT

Zickige Popstars wie Lady Gaga, Madonna, Björk, Jennifer Lopez und Rihanna, launische Actricen wie Scarlett Johansson oder Angelina Jolie und Top-Models wie Linda Evangelista, Gisele Bündchen und Kate Moss haben schon vor der Linse von Mert & Marcus posiert und wie die Kätzchen geschnurrt. Zum Dank für so viel Gnade photoshoppen die beiden Fotokünstler die teure Pelle ihrer Modelle mit genau der Hingabe, mit der man das makellose Göttinnen-Image von Überfrauen pflegt, die knallharte Ansagen zu machen gewohnt sind.

Rubik Love Magazine Los Angeles

Anja Rubik Love Magazine Los Angeles, 2010 © 2017 Mert Alas & Marcus Piggott

Als Ikonen ins kollektive Bildgedächtnis eingebrannt haben sich Shots einer erstaunlich gut gelaunten Kim Kardashian, einer – selbstverständlich rauchenden, splitterfasernackten Kate Moss (die unweigerlich eine Lindbergh-Assoziation und Spekulationen über die Bedeutung ihres winzig kleinen ‚P‘-Tattoos lostritt) und die nonchalant augenzwinkernde Coolness einer natürlich nackten Beth Ditto. Gisele Bündchen schießen die Herren in ein hautenges, chromblitzendes Höschen und Naomi Campbell sieht tatsächlich so aus, wie sie angeblich wirklich ist: böse. Doch auch die naturgegeben aufgeworfenen Oberlippen bzw. schockierender Fake-Narben angesagter männlicher Models wie Luca Isaak und Oliver Greenall setzen die beiden Lichtgestalter umwerfend effektvoll in Szene.

Iris Strubegger Vogue Italia Los Angeles

Iris Strubegger Vogue Italia Los Angeles, 2009 © 2017 Mert Alas & Marcus Piggott

Aber nicht nur Photoshop kommt zum Einsatz, auch malerische Mittel helfen bei der Inszenierung. Fast schon an Francis Bacon’s gestischen Pinselschlag gemahnt das Makeup von Saskia de Brauw auf einem Schuss von 2012. Cara Delevigne blickt rußgeschwärzt und trotzig, mit wüsten Brauen und strohigem Haar in die Kamera und pflegt geradezu ikonisch das durchgängig wiedererkennbare Stilmittel der kaputten, patinierten, dabei immer irgendwie doch edel angerauhten oder sexy angefeuchteten Oberfläche. Und immer wieder Moss. Immer wieder dieser ganz gewisse Ennui, gepflegter Überdruss, diese unglaublich attraktive Arroganz. Ein Höhepunkt: Naomi Campbell, die den mit gefaketen Knast-Tattoos dekorierten Alex Kowas wie eine dekadente Pietà präsentiert.

Suvi Koponen Vogue Paris Dungeness, 2012

Suvi Koponen Vogue Paris Dungeness, 2012 © 2017 Mert Alas & Marcus Piggott

An Bildideen herrscht kein Mangel: Beulenhosen, stramme und auch Hängebrüste, Schönes und Fieses, eine auf der Zunge balancierte Klinge, kranke Schönheit, Fetischismus, Bunny-Ohren, verwundete Unschuld, Tätowierungen und Lederlust, erschöpfte Lustknaben im Heu, Androgyne Wesen, feuchte Augen, ein wenig Blasphemie und vieles mehr.

Dieser tonnenschwere Schmöker bietet weiß Gott dreihundert Gründe, mal ganz spontan fünf- bzw. sechshundert Euro auf den Kopf zu hauen und den Dealer einfach mal eine Woche hungern zu lassen.

Die in Kooperation mit dem Szenenbildner Giovanni Bianco produzierte Limited Edition mit etwa 300 Abbildungen beleuchtet eine kreative Partnerschaft, die die Modefotografie mit neuer Strahlkraft aufgeladen hat. Die Kuratorin Charlotte Cotton steuerte eine Einleitung bei.

Mert Alas and Marcus Piggott
TASCHEN Verlag

Hardcover in Schlagkassette,
31,5 x 42 cm, 408 Seiten
Subskriptionspreis:
500,- € (Ab Januar 2018: 600,- €)

Verfügbar ist der Titel als limitierte Collector’s Edition von 1.000 Exemplaren, numeriert und signiert von Mert Alas und Marcus Piggott sowie in zwei verschiedenen Art Editions von jeweils 125 Exemplaren mit einem signierten Print.

http://mertandmarcus.tumblr.com/