Selbstgespräche

Jürgen Klauke (geb. 1943, Cochem) lebt und arbeitet seit 1968 in Köln. Er hat als ‚Kölner‘ und Künstler entscheidende Entwicklungen in dieser Stadt miterlebt und gestaltet. In den frühen Siebzigern spielte er in seiner fotografischen Arbeit und in Selbstinszenierungen mit Identität und Sexualität, wie sie auch in der Popmusik en Vogue waren, und adressierte damit bereits Aspekte der aktuellen Genderdiskussion. Klauke war in der damaligen Kölner Avantgardeszene und im exzessiven Nachleben präsent und hat zur Strahlkraft als Kunstmetropole entscheident beigetragen. Von 1994 bis 2008 wirkte Klauke als Professor für künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien.

‚Selbstgespräche‘ zeigt teils bisher unveröffentlichte Zeichnungen und Gouachen aus vier Dekaden. Beiträge von Hans-Michael Herzog, Jürgen Pech, Achim Sommer, Eva Lenhardt und Jürgen Wilhelm versuchen die bisweilen mysteriös anmutenden Hintergründe des zeichnerischen Schaffens zu ergründen.

‚Selbstgespräche‘ zeigt die wenig bekannte Facette des gelernten Schriftsetzers und Typographen als Zeichner. Anders als die flächig-lichtbildnerische Abbildung der bei Licht sichtbaren Wirklichkeit erlauben die Zeichnungen des Fotografen tiefere Einblicke in die seelischen Wirrnisse und Befindlichkeiten der jeweiligen Lebens- und Schaffensphasen. Klauke dokumentierte über längere Perioden sein Befinden und Erlebtes – analog einem Tagebuch – in Form solcher intimer, gezeichneter Psychogramme. Schon 1972 gewährt er in seinem selbst verlegten Buch ‚Ich & Ich‘. Erotographische Tagesberichte sexuell aufgeladene und erotisch inspirierte Einblicke in seine eigene Existenz, und eine formal Richard Lindners genieteten Puppenwesen und Tomi Ungerer’s Erotomanie verwandte Vorstellungswelt. Die Übersetzung seiner persönlichen Psychologie in surreal anmutende Diagramme mit deutlich erotisch konnotierten Inszenierungen des menschlichen Körpers gelingt genial anschaulich und behauptet sich, parallel zur Photographie als eigenständiger Werkkörper.

Beispiele dieser akribisch gestrichelten, um sorgfältig handgeschriebene Notate ergänzten Metamorphosen und Diagramme auf Tagebuchseiten mit gestempelten Seitenzahlen zeugen von innerer Getriebenheit, großer Urgenz, ausgeprägtem Sinn für Systematik und lassen auf ein zeittypisch lebhaftes Sexualleben schließen. Auch auf der textlichen Metaebene lässt der Autor seinen Gefühlen und Ideen freien Lauf. Im Werkblock ‚Philosophie der Sinnlosigkeit‘ löst sich der handgeschriebene Bleistifttext in dräuende, gestisch-wolkige Strukturen auf und es kommen, überaus sexy, ‚Materiaux trouvés‘ wie Nagellack, Kaffee auf die Palette.

Via hart kontrastierende, bisweilen vexierende Tuschzeichnungen führt der Weg schließlich von der Strichzeichnung zu farbig, flächigen, eiweißlasierten und geometrisch amorphen Hybriden aus Zeichnung und Malerei. Die farbintensiven Gouachen zeigen anthropomorphe, von Auren umgebene Wesen bei rätselhaft anmutenden Verrichtungen.
In Anspielung an und inspiriert durch Aphorismen des rumänischen Autors Emil M. Cioran lagert Klauke in seiner Serie ‚Entlang der Cioran-Linien‘ (2009/10) suchend Linie an Linie und findet so zu magisch miteinander verbundenen oder blasige Strukturen hantierende menschlichen Gestalten. Diese, so scheint es, am Rande der eigenen Auflösung agierenden Wesen rufen die Psychedelik der frühen Zeichnungen in Erinnerung.

Als versierter Zeichner der menschlichen Physiognomie beweist sich Klauke mit seinem Spätwerk ab 2010. Fast möchte man jubeln: Der Mann kann Hände! Die Verrichtungen und Gesten der ganz reduziert aus der Fläche aufscheinenden Akteure indes bleiben verrätselt. Sie scheinen mit sackartigen Körperausbuchtungen von deutlich fühlbarer Schwere zu ringen, zu staunen oder sich gleichmütig auch mit ihren abnormen Körperbeschaffenheiten abzufinden.

In der Reihe ‚Körperzeichen/ Zeichenkörper I – IV‘ ab 2012 bis 2016 bis heute kommen die harten Kontraste zurück. Aus positiv-negativ vexierenden, geometrischen Schwarzweißformen und der ‚Ligne claire‘ belgischer Comics nicht unähnlichen Strichzeichnungen entwickelt der Zeichner menschenähnliche Gestalten. Sie tragen Glühbirnen als Köpfe, halten und drücken durchaus sinnlich wirkende, schwergewichtige, kondomähnliche Blasen und Säcke und scheinen dabei doch irgendwie mit kosmischen Kräften im Einklang.
Die Publikation ‚Selbstgespräche‘ erscheint als Katalog zur Ausstellung im Max-Ernst-Museum, Brühl. Vierzig Exemplare enthalten als Vorzugsausgaben eine handsignierte, nummerierte Originaldruckgrafik mit einem Motiv aus der Serie ‚Körperzeichen/ Zeichenkörper III‘

Jürgen Klauke – Selbstgespräche
Zeichnungen 1970 – 2016

Hg. Achim Sommer
208 Seiten, 23,5 x 28,5 cm, gebunden
81 farbige, 255 Schwarzweiß-Abbildungen
44,- EUR
ISBN 978-3-86832-381-8
Wienand Verlag, Köln

Ausstellung:
Max-Ernst-Museum, Brühl
26. März bis 16. Juli 2017
Eröffnung: 25.03.2017