Gerhard Richter (* 1932 in Dresden), gelernter Schriften-, Bühnen- und Werbemaler ist ein deutscher Maler, Bildhauer und Fotograf. Von 1971 bis 1993 war er Professor für Malerei an der Kunstakademie Düsseldorf. 

Wer diesen Maler nicht kennt, dem ist nicht zu helfen.

Wer aber mehr über ihn erfahren will, und noch keines der zahllosen Bücher über Richter besitzt, dem sei dieses schmale Buch aus dem TASCHEN Verlag empfohlen.

Gerhard Richter

In dem kleinen Buch, der Nummer 200 aus der TASCHEN-Reihe ‚Kleine Reihe Kunst‘, schreibt Klaus Honnef über Richter. Der Kunstjournalist, -Kritiker und Professor für Theorie der Fotografie organisierte schon 1969 in Aachen eine der ersten Richter-Ausstellungen, hat die Karriere von Gerhard Richter lebenslang begleitet und sollte sich ein Urteil über diesen Menschen und Künstler erlauben können.

Honnef gliedert das Buch in vier Kapitel und ein weiteres, in dem er chronologisch ‚Leben und Werk‘ in kompakter Form auf einer Seite darstellt. Der Text bietet in seinem Detailreichtum interessante Einblicke in das Denken und Fühlen eines ausgesprochen selbstbewussten Malerstars.

Durchaus spannend finde ich Honnefs Sicht auf Richters Philosophie und Arbeitsweisen. Denn in der Tat hat sich der Künstler in den fünf Dekaden seines Schaffens immer wieder neu erfunden und dem Thema Malerei auf sehr verschiedene Weisen genähert. Immer wieder klingen dabei seine frühen Einflüsse unter anderem aus Fluxus und Pop-Art in Form von Zitaten oder eher diffusen Anmutungen an.

Gerhard Richter, der am teuersten gehandelte lebende Künstler, entzieht sich jeder Kritik. Er hat sich meines Wissens nie stilistisch einordnen lassen und behauptete von sich selbst, dass er alles liebe, was keinen Stil hat.

Deutschland

‚Typisch‘ Richter sind Kommentare zur deutschen Geschichte: Er schildert Nazis in Uniform wie auch solche nach deren Ergreifung nach dem Krieg. Sein berühmt gewordener RAF-Zyklus will nicht etwa Sympathie mit den Terroristen triggern, sondern erzeugt stattdessen einen unbehaglichen Gefühlscocktail, der sogar bei eingefleischten Fans der so geheimnisvoll gestorbenen Zweifel keimen lässt. Dem New Yorker Museum of Modern Art waren die 15 schwarzweißen Porträts mit diffuser Fotoanmutung im Jahre 1995 stattliche drei Millionen Dollar wert. Im Buch sind ‚Tote‘, ‚Gegenüberstellung1‘, ‚Erschossener‘ und ‚Plattenspieler‘ (alle von 1988) abgebildet.

Anrührend, aber ganz anders, wirkt das subtile, auf einem fotografischen Vorbild basierende Gemälde ‚Ema‘ (1966). Die junge Frau schreitet in gerader Haltung nackt und gemessenen Schrittes eine Treppe hinunter, nach Richters Worten ein Verweis auf Marcel Duchamps kubistisches Bild “Akt, eine Treppe herabsteigend”.

‚Fotorealismus‘

Gerhard Richter hat in seiner gesamten Schaffenszeit Fotografien als Vorlagen genutzt, sie ‚abgemalt‘. Fototypische Unschärfen, Schlieren, Verwacklungen bekommen indes eine ganz eigenständige Aura und Bedeutung zugewiesen, die beim Betrachter unversehens emotionale Reflexe auslöst: Trauer, Verunsicherung, Zweifel stellen sich ein.

Für ’48 Porträts‘ (1971/ 72) hatte Richter ‚Persönlichkeiten, die die Moderne beeinflussten‘ aus Lexika ‚abgemalt‘. In ihrer emotionsleeren, quasi fotografischen Anmutung und kühlen, seriellen Präsentation sorgen sie im Kölner Museum Ludwig bei mir schon seit Jahrzehnten für Stirnrunzeln. Ganz anders die ‚Acht Lernschwestern‘ (1966), deren an eine ungelenke Airbrush-Arbeit gemahnende Ausführung im Grauspektrum bei manchem spontane Rührung hervorrufen mag.

Als geradezu ikonisch kann ‚Kerze‘ (1982) gelten. Das 70 x 70 cm große Ölgemälde zeigt eine Kerze, deren Flamme völlig ruhig im offenbar windstillen Raum leuchtet. Größere Bekanntheit bekam die Arbeit aber erst auf dem Umweg über die Popkultur als Covermotiv von Sonic Youth’s „Daydream Nation“.

Schockierend wirklichkeitsnah, bis ins lichtdurchschienene Haar scheinbar physisch tastbar, so warm wirken ‚Lesende‘ (1994) und ‚Betty‘ (1988), die beide auf Bildauffassungen, wie man sie von niederländischen Meistern, hier insbesondere Jan Vermeer, kennt, zu verweisen scheinen.

Landschaften

‚Sommertag‘ (1999), ‚Seestück‘ (1998) und ‚Rheinlandschaft‘ (1984) vermitteln jedes für sich eine jeweils leicht verschobene Idee von ‚Landschaft‘: Kühle im Schatten, flirrende Hitze im Sonnenlicht, fast greifbare, anflutende Wellen am Strand und ein, so scheint es, intentionslos gewähltes Stück Niederrheinufer(?). ‚Abstraktes Bild‘ (1984) evoziert ‚Landschaft‘, indem es gelernte Features eines Abbildes geografischer Verhältnisse wie Luftperspektive, Dunst, Schärfe und Unschärfe sowie Horizontalität und das Grün von Vegetation aus dem Gedächtnis abzurufen scheint.

‚Typisch‘ Gerhard Richter sind teils verwirrende Bezugsstiftungen zu historischen Vorläufern, wie Marcel Duchamp oder Jan Vermeer (Vorbilder wäre hier kein treffender Begriff), die er unter anderen Vorzeichen zitiert. Ähnlich verfährt Richter mit dem Medium der Fotografie, die durch das ‚Abmalen‘ zu einem malerisch gestalteten, und so angeeigneten Abbild wird, das er in einem neuen Kontext in etwas Anderes überführt.

Die Dritte Dimension

Honnef streift auch Richters Versuche im Dreidimensionalen wie zum Beispiel Glasarbeiten, die Wandplastik ‚Schwarz, Rot Gold‘ (1999) aus spiegelglänzend emailliertem Glas, das erst in situ an einer Wand im Reichstagsgebäude einen Kontext gewinnt, der über drei farbige Glasplatten hinaus auf das Farbsymbol für Deutschland verweist.

Gerhard Richter

Abstraktion

Im Kontext einer Buchvorstellung darf ich gestehen, dass ich kein Liebhaber abstrakter Malerei bin. Auch Richters nicht gegenständliche Werke beunruhigen, ja nerven mich. Was mich eventuell beruhigen könnte, ist indes die Vermutung, dass sie im großen biografischen Kontext dieses Künstlers Exkursionen in Gefühlswelten und Versuche in Techniken darstellen, derer Richter so viele erkundet hat. Teilweise erscheinen die Übergänge zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion fließend. Seine Graubilder zum Beispiel evozieren immer auch Gegenständlichkeit oder zumindest Ahnungen davon. Seine Übermalungen von Farbfotografien wie ‚Firenze‘ erzeugen beunruhigende Überlagerungen zweier Wahrnehmungswelten. ‚Stadtbild Paris‘ bildet für mich das hybride, quasi realistische Image einer verschwimmenden Idee von Urbanität, wie man es in einem Traum erleben könnte.

Für Diskussionen sorgte sein Glasfenster für den Kölner Dom (2007). Es löst sich von jeder Gegenständlichkeit, die man bei dieser Anwendung erwarten würde und bezieht seine durchaus erbauliche Wirkung aus der raffinierten und keineswegs zufälligen Organisation der farbigen Gläser über die gesamte Fläche von ca. 21 x 9 Metern. Das Fenster wirkt seltsamerweise nicht wie ein Fremdkörper in dem gotischen Bauwerk.

Wer sich das Werk von Gerhard Richter in kompakter Form erschließen will, bekommt viel Wissenswertes im angenehm lesbaren Stil vermittelt und sollte bei diesem reich illustrierten und fein gedruckten Band zum volkstümlichen Preis zugreifen.

Gerhard Richter
Klaus Honnef

TASCHEN
Hardcover, 21 x 26 cm, 96 Seiten
€ 10 | CHF 14
ISBN 978-3-8365-7526-3 (Deutsch)

taschen.com