Wie kann die Branche weibliche Führungskräfte im Design am besten unterstützen? Anlässlich des Weltfrauentags hat sich Marie Boulanger, Design Lead bei Monotype, darüber Gedanken gemacht, wie Designerinnen die Branche bereichern und wie mehr Frauen Führungspositionen erreichen und behalten können.

Marie Boulanger

Marie Boulanger, Design Lead bei Monotype

Mein Weg zum Schriftdesign

Ich wurde mit kreativem Feuer geboren. Als Kind habe ich mit meinem Bruder und unseren Freunden Theaterstücke und Kostüme gebastelt. Wir stellten Marienkäfer- und Terrarien Ausstellungen in unserem Garten zusammen. Auch die Schreibmaschine spielte eine wichtige Rolle. Schon damals fand ich Ruhe in den beruhigenden Bewegungen und Formen der Buchstaben.

Dennoch war mir nicht bewusst, dass ich meine Kreativität auch beruflich nutzen könnte. Manchmal ist es schwer zu erkennen, in welche Richtung es geht. Meine erste Stelle bei Monotype bekam ich auf die langweiligste Art und Weise: Auf meine Bewerbung folgte ein Anruf, und nach einigen Vorstellungsgesprächen hatte ich den Job. Ich bin mir sicher, dass meine Präsenz in den sozialen Medien und mein Auftreten in der Öffentlichkeit den entscheidenden Unterschied zu anderen Bewerbern ausgemacht haben.

Meine neue Position als Design Lead war ein großer Karriereschritt, aber ich habe mich sehr auf Mentoren und Mentorinnen aus der Branche verlassen und bin daran gewachsen. Wir Frauen sollten unsere Zeit und Energie in etwas investieren, das uns glücklich macht.

Warum Vielfalt für gutes Design unverzichtbar ist

Design gestaltet die Welt, und eine Vielfalt von Perspektiven ist für gutes Design unerlässlich. Umweltdesign, Produktdesign, Modedesign – die Art und Weise, wie wir in diesen Bereichen gestalten, baut die Welt, in der wir leben, auf und schränkt sie manchmal ein. Man braucht Leute am Tisch, die anders denken als man selbst, sonst weiß man nie, was man verpasst.

Designerinnen bringen hier eine wichtige Perspektive ein. Aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass es nicht nur eine weibliche Erfahrung gibt. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte, ihre eigene Ausbildung, ihren eigenen kulturellen Hintergrund und ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen. Ihre Herkunft, ihre Sexualität, ob sie Kinder hat oder Kinder plant – all diese Faktoren beeinflussen sich gegenseitig. Es ist notwendig, sich der eigenen Privilegien bewusst zu sein und zu versuchen, die eigene Erfahrung als Frau nicht zu einer universellen Erfahrung zu machen.

Unterstützung finden, wenn man gerade erst anfängt

Für angehende Designerinnen kann es schwierig sein, Fuß zu fassen. Es gehört auch etwas Glück dazu. Aber am Anfang ist es wirklich schwierig, Unterstützung zu finden, weil es dieses Missverständnis gibt, dass Design wettbewerbsorientiert sein muss. Das ist aber nicht der Fall. Man muss es alleine schaffen und darf keine Angst haben, um Hilfe zu bitten. Ich hatte Angst, um Hilfe zu bitten. Heute würde ich es anders machen.

Es ist wichtig, sein eigenes Netzwerk zu nutzen, auch wenn man langsam und klein anfängt. Selbst jemand, der nur eine Stufe über einem steht, wie zum Beispiel ein Kollege eines alten Freundes, kann hilfreich sein.

Viele Frauen haben auch Angst davor, sie selbst zu sein, vor allem in den sozialen Medien, wo man das Gefühl hat, immer dem neuesten Trend hinterherlaufen zu müssen. Aber wenn man eine echte Verbindung zu den Menschen aufbauen will, gibt es keinen besseren Weg, als authentisch zu sein. Jeder kann seine Präsenz in den Online-Medien intelligent gestalten, aber Interaktionen dürfen nicht zu reinen Transaktionen werden.

Entscheiden, wohin der Weg führt

Wenn man noch nicht genau weiß, wohin die Reise geht, sollte man sich das auch eingestehen. Vielleicht muss man erst einmal experimentieren, um herauszufinden, was das Ziel ist. Es ist gut zu wissen, was man tun will. Es hat sich bewährt, mit anderen zu sprechen, die andere Wege gegangen sind. Mit diesen wertvollen Erfahrungen kann man arbeiten. Man sollte aber nicht versuchen, den Traum eines anderen zu leben. Das ist kontraproduktiv.  Viel wesentlicher ist es, zu erkennen, welches Spielfeld vor einem liegt und herauszufinden, was der eigenen Persönlichkeit am besten entspricht.

Beruflich weiterentwickeln

Es ist beruhigend zu wissen, dass jeder die Kontrolle über seine Möglichkeiten hat. Wenn man sein Bestes gibt und es nicht klappt, dann war es nicht richtig. In meinem ersten Jahr bei Monotype habe ich so viel wie möglich über das Unternehmen selbst gelernt. Wenn man in einem komplexen Unternehmen arbeitet, ist es sehr wichtig, Beziehungen zu allen Teams aufzubauen, mit denen man zusammenarbeitet. Im zweiten Jahr habe ich mich selbst herausgefordert und die Grenzen meiner Rolle ausgelotet. Als ich mein drittes Jahr begann, stellte ich eine Liste auf, in der ich meine Ziele und Fortschritte festhielt, mit dem klaren Ziel, in nicht allzu ferner Zukunft eine Führungsposition zu übernehmen. Wer vorankommen will, braucht eine Strategie. Dabei hilft es, das Team auf seiner Seite zu haben. Deshalb sollte das Team in den Prozess einbezogen werden.

Neue Perspektiven gewinnen und führen lernen

Auch ist es von großer Bedeutung, die Menschen zu kennen, mit denen man arbeitet – sowohl als Mitarbeitende als auch als Führungskraft. Man muss nicht mit allen befreundet sein. Aber wenn man Menschen kennen lernt, interessiert man sich mehr für ihre Perspektive und versteht, wie sie Entscheidungen treffen und was sie beeinflusst. Es steckt viel Energie darin, Beziehungen aufzubauen und an ihrem Wachstum und Erfolg zu arbeiten. Ich persönlich versuche, mit Leidenschaft, Selbstvertrauen und harter Arbeit zu führen, aber ich hoffe auch, dass ich weiß, wann ich Raum lassen muss.

Dabei sollte man systembedingten Vorurteile begegnen, denen Menschen ausgesetzt sind. Manchmal ist es schwierig, sich wertgeschätzt und fähig zu fühlen, auch wenn man es ist.  Sichtbarkeit ist nach wie vor wichtig, denn was man sich nicht vorstellen kann, kann man auch nicht erreichen.

Vielfältige und integrative Events schaffen

Oft werden immer wieder dieselben Personen zu Podien, Veranstaltungen und Konferenzen eingeladen. In dieser Situation sollte man sich nicht scheuen, Angebote abzulehnen.

Ich habe mit Leuten darüber gesprochen, meistens mit Männern, die sagen: „Ich organisiere eine Veranstaltung und möchte Frauen als Rednerinnen einladen, aber alle sagen nein“. Und ich sage ihnen immer wieder, dass natürlich alle nein sagen, weil sie fünfzig Einladungen bekommen, um die Alibifrau zu sein! Sie weigern sich nicht nur zu sprechen. Sie haben vielleicht auch andere Dinge zu tun, müssen sich um die Kinderbetreuung kümmern, haben finanzielle Hürden – wenn die Konferenz nicht bezahlt wird, ist es das dann wert?

Organisatoren sollten nicht immer dieselben Leute fragen. Neue Stimmen sind wichtig, damit sich die Branche weiterentwickeln kann. Wir brauchen mehr Vielfalt!

Fazit: Eine bessere Verbündete sein

Für mehr Geschlechtergerechtigkeit sind nicht nur wir Frauen verantwortlich. Wir haben zwar vieles selbst in der Hand und sollten lernen unser Potential zu nutzen. Aber auch die Männer können wichtige Verbündete sein. Wie können Männer bessere Verbündete werden? Am besten, indem man jede Situation individuell betrachtet und sich Fragen stellt. Bin ich hilfreich? Trete ich zurück, wenn ich anderen Platz machen muss? Wirke ich darauf hin, das Selbstvertrauen anderer zu stärken und ihnen Mut zu machen? Wie Frauen die Welt erleben, hängt stark von ihrer Persönlichkeit ab. Mein Tipp: Die eigenen Erfahrungen nicht verallgemeinern. Sondern sich in andere hineinversetzen und sich darauf konzentrieren.

Über Marie Boulanger

Marie Boulanger kam 2021 zu Monotype und arbeitete als Brand Designerin an Schriftkampagnen wie Cotford, Akzidenz-Grotesk und Shorai Sans. Für sie ist die Typografie eine lebenslange Leidenschaft. Seit Ende letzten Jahres leitet sie das Designteam und  und trägt maßgeblich dazu bei, die Kultur und das Talent des Designteams zu fördern und die Diskussion über Design, Trends und neue Technologien voranzutreiben.

Credits Monotype