Wer mit seinen digitalen Anwendungen und Produkten aus der Masse herausstechen will, setzt in UX und UI auf spannende, technologieversierte Design-Trends. Und beherzigt gleichzeitig die Customer Experience.

ux und ui

Mike Zeiler, UX/UI Lead Designer bei ARTUS interactive

Wirft man einen Blick auf das Design und die Optik von Onlineshops, Produkt-Websites oder Buchungsportalen, wird schnell klar, dass sich zumindest an der Spitze der Trends in den letzten Jahren nicht viel getan hat: Fette Headlines, minimalistische Layouts und viel Weißraum waren, sind und bleiben hip. Schaut man etwas genauer hin, lassen sich jedoch einige vielversprechende Neuerungen erahnen, die sowohl die User Experience als auch das User Interface Design betreffen. Innovative Technologien, die damit verbundenen Möglichkeiten und der Einsatz von UI Design-Trends mischen den Gestaltungskonsens regelrecht auf und brechen mit gängigen Standards.

Um sich von der Konkurrenz abzuheben, sollten vor allem Online-Händler und Websitebetreiber, die die gleichen Produkte oder einen vergleichbaren Service bieten, sehr ähnlich funktionieren und anmuten, ein besonderes Augenmerk auf UX und UI haben.

Daten und Technologie machen die Musik

Nutzer beurteilen Websites, Apps und Onlineshops meist zunächst nach einer funktionalen und nutzwertigen User Experience. Aber auch das visuelle Erscheinungsbild, das User Interface Design, spielt für das digitale Erlebnis eine entscheidende Rolle.

Als Paradebeispiel für eine gute App-Experience gilt schon seit Jahren Spotify. Aber auch abseits seiner App weiß der Musik-Streaminganbieter zu begeistern, wie er jährlich mit seinem personalisierten Jahresrückblick beweist. Unterhaltsam aufbereitete Spotify-Daten der User laden dazu ein, das musikalische Jahr audiovisuell Revue passieren zu lassen. Neben diesen Rückblicken entstehen unter Einsatz moderner Technologie und in Zusammenarbeit mit Musikern auf diese Art auch immer wieder kleine visuelle Highlights.

Die neueste Microsite für den R&B-Künstler ‚The Weeknd‘ etwa, generiert mithilfe von Deep Learning und den Spotify-Daten der User personalisierte Nutzererlebnisse. Das schlichte Design, angelehnt an das vom Musiker zuletzt veröffentlichte Album ‚After Hours’, besticht vor allem durch den 3D-Avater von The Weeknd und die zufallsgenerierten Mouse-Hover. Durch diese Verzerrungseffekte – realisiert mittels WebGL und three.js – kann der User sogar mit dem personalisierten Video interagieren. Eine creepy und ganz besondere Art von User Experience, die die Fans von The Weeknd sowie technikinteressierte Kreative begeistert. Und beweist, dass UX und UI in Kombination nicht immer linear und funktional sein muss. Keine Frage: Es ist u.a. den immer leistungsstärkeren Endgeräten zu verdanken, dass sich WebGL als Standard etabliert hat und so beeindruckende 3D-Grafiken und Effekte ermöglicht, die im Browser gerendert werden und gleichzeitig neue Chancen eröffnen.

Auch hinsichtlich der Optik und Usability von technologisch aufwändigen Produktkonfiguratoren hat sich in den letzten Jahren viel getan. Als gutes Beispiel hierfür gilt der sogenannte TMA-2 Builder des dänischen Kopfhörer-Herstellers AIAIAI. Dabei stellt der User seine Headphones individuell zusammen während seine Kopfhörer-Konfiguration sich in Echtzeit optisch anpasst. Gleichzeitig erhält der Nutzer sofort alle nötigen Informationen zu den einzelnen, verbauten Teilen. Weiterhin visualisiert das Tool, wie sich seine Einstellungen auf den Frequenzbereich der Kopfhörer auswirken. Mein Urteil: Trotz der großen Menge an Informationen ein rundum perfekt gestalteter und übersichtlicher Konfigurator, der auf allen Endgeräten gut zu bedienen ist und damit für eine nachhaltige Customer Experience sorgt.

Von Brutalismus zu Minimalismus

Dass AIAIAI nicht nur in punkto Technologie am Puls der Zeit ist, zeigt auch das User Interface Design der Website jenseits des Konfigurators. ‚Bolde‘ Typografie, ein großzügig angelegtes Layout, das nicht vor überdimensional dargestellten Content zurückschreckt, bilden im Zusammenspiel mit einer klaren Navigationsstruktur sowie gezielt gesetzten Animationen und Microinteractions ein simples aber eindrucksvollen Nutzererlebnis, bei dem Informationen dennoch klar im Vordergrund stehen. Und veranschaulicht gleichzeitig, dass der Brutalismus im Webdesign inzwischen auch im kommerziellen Bereich und damit im E-Commerce Einzug hält. Der Brutalismus-Stil, der sich vor allem bei Freelancer-Portfolios und Webauftritten aus Kunst und Kultur großer Beliebtheit erfreut, bricht ganz bewusst mit den gängigen Webdesign-Standards im E-Commerce.

Apropos Standards: Neben dem Brutalismus nimmt auch der Minimalismus einen festen Platz auf der Webdesign-Trendliste ein. Die Website des französischen Modelabels Balenciaga beweist in Perfektion, mit wie wenig Mitteln man im User Interface Design tatsächlich auskommen kann: Zwei Farben und ein Schriftschnitt genügen, um dem User nur die allernötigsten Funktionen und Informationen zu präsentieren. Das Design des Webauftritts erinnert an Wireframes im frühen Designprozess einer Website. Eben diese Ästhetik begeistert und bildet einen starken Kontrast zur Mode des Labels: Produktbilder gibt es für den User tatsächlich erst im dritten Schritt der User Journey zu sehen. Während jeder eCommerce-Spezialist ob dieser Entscheidung sofort Alarm schlagen würde, ist diese aus Kreativperspektive durchaus zu begrüßen, da man sich hierdurch gezielt von der Masse absetzt. Immerhin der BIN-Button hat dann doch noch ein bisschen Farbe spendiert bekommen. Auf wirklich alle gängigen eCommerce-Standards wollten die Betreiber offensichtlich nicht verzichten.

Schlägt die Convenience die Optik?

Obgleich spannende und mutige Layouts, die sich über gelernte Regeln hinwegsetzen und neue Wege gehen, aus Designsicht sicherlich die interessanteren sind, setzen große, erfolgreiche Plattformanbieter wie Deutsche Bahn, DHL oder Otto lieber auf eine intuitive User Experience mit einem klaren, aufgeräumten Design. Zu Recht: Einfache und leicht nachvollziehbare Vorgänge, die schnell zum Erfolg führen (müssen), überzeugen den gemeinen Anwender – schließlich legt nicht jeder Wert auf Design. Unnötige Spielereien und das blinde Setzen von Trends nur um der Optik Willen sind hingegen kontraproduktiv – speziell im eCommerce-Segment. Gerade die ‚Convenience‘ ist entscheidend, damit ein User einen Vorgang zu Ende führt – und bestenfalls den Shop bei der nächsten Kaufabsicht erneut besucht.

Letztlich steht bei digitalen Anwendungen die Customer Experience im Vordergrund. Dabei gilt: Gelingt es, mithilfe von Designtrends und innovativer Technologie sowie im Zusammenspiel zwischen UX und UI den Bedürfnissen der User gerecht zu werden, haben Website-Anbieter und eShop-Betreiber alles richtig gemacht – und gleichzeitig Mut bewiesen.

Mike Zeiler, UX und UI Lead Designer bei ARTUS interactive, entwickelt gemeinsam mit seinem Team digitale Produkte. Angefangen bei der Konzeption über Design bis hin zum High Fidelity-Prototype. Sein persönlicher Fokus liegt auf aktuellen Trends und deren Adaption in das digitale Umfeld.

Bildcredit: ARTUS interactive