Wenn unsere Ahnen ihre zugigen Behausungen mit einem wärmenden Feuer etwas behaglicher gestalten wollten, dann brauchten sie in der Regel drei Dinge: Stahl, Feuerstein und Zunder. Letzterer war ein Stück Baumschwamm der Art ‚Fomes fomentarius‘, den der Funke, der beim Schlag mit dem Stahl auf den Feuerstein überspringt zum schwelen bringt. Nach kräftigem Pusten lässt sich mit der dann entstehenden heißen Glut eine Handvoll Stroh entzünden, an der dann erst Holzspähne, dann größere Scheite Feuer fangen.

Unter anderem wird wohl auch der Trend zum Veganismus der Grund dafür sein, dass neuerdings ‚Lederwaren‘ wie zum Beispiel Mützen, Uhrarmbänder, Kappen, Portemonnaies und Gürtel aus allerlei Pflanzenfasern die Regale bevölkern. Pflanzenesser mag es beruhigen, dass für diese Produkte keine Häute der weltweit 1,4 Milliarden für den menschlichen Verzehr geschlachteten Rinder, Ziegen und Schafe gegerbt werden mussten. Dass jetzt sogar Sneakers aus den Fasern von Baumschwamm verfügbar sind, ist dem Spross einer traditionsreichen Schuhmacherdynastie zu verdanken. Der verwandelt das Material von wildlederartiger Optik und angenehm weichem Griff in trendige Treter die auch überzeugten Lederfans gefallen werden.

DESIGNBOTE erfuhr von Sebastian Thies, dem Gründer von nat-2™ ‚bei einem Pilz‘ noch viel mehr Interessantes über das wundersame Material, das man im fernen Transsylvanien schon seit Menschengedenken zu allerlei ‚Lederwaren‘ verarbeitet hat.

Herr Thies, Sie beziehen Ihr Rohmaterial von dem Berliner Start Up ‚Zvnder‘Was hat die Designerin Nina Fabert da genau ‚erfunden‘?

In einem kleinen Studio in Berlin-Lichtenberg wird das handgefertigte Zunderschwamm-Leder aus Rumänien weiterverarbeitet. Die Materialeigenschaften werden den Produktansprüchen angepasst, z.B. um das absorbierende Zunderschwamm-Leder vor Nässe zu schützen und es strapazierfähiger zu machen. Dabei werden neben der Herstellung von Kompositen aus Biotextilien und Pilzleder auch verschiedene Beschichtungen verwendet.

Wie wird denn der Baumschwamm zu Pilzleder?

Das Material wird zunächst einige Monate trocken gelagert bis die Feuchtigkeit entwichen ist. Anschließend wird die holzähnliche Oberrinde geschält und der konisch geformte Pilz in verschiedene dünne Lagen geschnitten. Dann erst wird das Material bei Zvnder weiterverarbeitet. Wir wiederum verarbeiten es nochmals weiter damit es auch für die Schuhe verwendbar ist.

Wo erntet man in Zeiten aufgeräumter Laubwälder noch Baumschwamm in nennenswerten Mengen?

Das Material wird im rumänischen Transsilvanien gesammelt, muss aber tatsächlich gesucht werden, weil der Zunderschwamm nicht gezüchtet wird. Dabei wird auf eine umweltverträgliche und schonende Ernte geachtet. Es werden immer nur Anteile geerntet. Vor Ort werden kleine Teile weiterhin als traditioneller Zunder verwendet oder zu Pulver für medizinische Produkte, Naturkosmetik etc. verarbeitet.

Was macht das altertümliche Naturmaterial heute technisch, ästhetisch und vom Gebrauchswert so interessant?

Aus der Design-Perspektive ist es, abgesehen von der Nachhaltigkeit, natürlich die einzigartige Ästhetik und Haptik. Grundsätzlich aber auch die Tatsache, dass man den geernteten Pilz zu 100% verwenden kann und kaum bis keine Abfälle übrig bleiben.

Die nat-2™ Sneakers sind ein Festival des Cradle-to-Cradle-Gedankens. Es werden neben nachhaltig biologischen auch Recyclingmaterialien verarbeitet.

Als Cradle to Cradle können, wollen und dürfen wir die Schuhe nicht bezeichnen, da sie durch die Beschaffenheit der Sohle und einiger anderer Bestandteile nicht kompostierbar sind. Aber ja, wir tun unser Bestes um möglichst viel nachhaltige Innovation in die Produkte einfließen zu lassen.

Sie lassen in Italien fertigen, darf man fragen warum?

Aus Überzeugung und aufgrund der Tatsache, dass wir dort sensationell kompetente Partner haben, die den gleichen Spirit teilen, ihr Handwerk verstehen und nachhaltig arbeiten. Zudem kommen alle zusätzlich verwendeten Materialien ohnehin aus Italien.

Die Schuhdynastie der Sie entstammen, fertigt seit 1856, in sechster Generation Schuhe. Ihr Haus hat Erfahrungen mit exotischen Materialien … Wie schwer hatten Sie es, Ihre Produktidee im Haus durchzusetzen?

Mein Vater hat in den 90er Jahren bereits den weltweit ersten voll kompostierbaren Schuh entwickelt. Die Marke damals hieß „Clear – We are all natives of this world“. Und auch die anderen Führungsmitglieder der Firma hatten schon immer einen starken Hang zu Nachhaltigkeit und Innovation. Daher war es für uns nie ein Thema ob man diese Ansätze weiter verfolgen soll. Leider ist das allgemeine Verhalten im Handel, in der Industrie und beim Endverbraucher trotz aller Fakten noch längst nicht da wo es in Zukunft sein müsste. Würden heute beispielsweise mehr Menschen in qualitativ hochwertige und zugleich nachhaltige Produkte investieren, dann würden die Preise für solche Produkte auf lange Sicht erschwinglicher und die Innovationsprozesse enorm beschleunigt.

Die nat-2™-Produktlinie besteht schon seit 2007. Wo liegen deren kulturelle Wurzeln? Wie lebt die Tradition in den nat-2™-Produkten weiter?

Wir haben seit jeher futuristische Visionen und Ästhetiken mit unserer Tradition verbunden. Daher gibt es auch die zwei Produktlinien „nat-2™ high-end sneakers“  mit futuristischen, cleanen Sneakers und „nat-2™ Rugged“ mit rustikaleren Designs und innovativen Gummistiefeln. Auch in der Wahrnehmung der Marke spiegelt sich diese Haltung. Die 2 im Logo, eine 4-fache Elipse, steht als Symbol für unsere Beständigkeit. Bei Präsentationen setzen wir auf historische Möbel, Maschinen etc. in Kombination mit unseren zukunftsweisenden Produkten. Das haben wir selbst noch nirgendwo anders so gesehen.

Steht nicht die naturgegebene Knappheit einer größeren Verbreitung des Fungusleders im Wege? Oder anders: Bleiben nat-2-Produkte Must-Haves aus dem Luxussegment?

Die Zunderschwamm-Sneaker werden definitiv aufgrund der Rahmenbedingungen eine Nische bleiben. Unsere veganen, nachhaltigen Holzsneaker hingegen sind problemlos in großen Mengen produzierbar. Mit Preisen ab 299 € sind wir natürlich kein Discounter, liegen aber dank Direktvertrieb und schlanker Organisation weit unter dem Luxussegment und qualitativ auf Augenhöhe mit den grossen Luxusmarken.

Sie bieten auch Schuhwerk aus Holz an. Ich denke da direkt an Hollandse Klompen … Bin ich auf dem Holzweg?

Absolut. Unsere Sneaker aus Holz sind die deutsche Antwort auf die niederländischen Traditionsschuhe. Eine Mischung aus German Engineering und Bauhaus. Der nat-2™ Wooden Cube brown beispielsweise ist vom Eames Chair inspiriert.

Sind Sie bei der Produktentwicklung auch mal in Sackgassen gelandet?

Absolut. Etwa 30-50% unserer Entwicklungen gelangen mangels Machbarkeit, Nachfrage oder Kapital nicht zur Serienreife. Dieser Schnitt ist für die Modebranche dennoch normal, denke Ich. Nur, dass unsere Investitionen, nicht nur monetär sondern auch zeitlich, sicher höher sein dürften.

Wo, außer bei http://www.coilex.com kriege ich mein Paar Zunder-Sneakers in Größe 46?

Momentan, nach Verfügbarkeit nur dort. Der erste Mini-Run ist schon weg und ab August 2018 hoffen wir, je nachdem wie die diesjährige Ernte war, wieder Zunder-Sneakers anbieten zu können.

Herr Thies, vielen Dank für das interessante Gespräch!

Bildquelle: nat-2™