Nein, hier geht es nicht um an der Wand hängende Blumentöpfe mit Moos aus Südamerika oder handgewebte Öko-Schurwoll-Teppichböden aus der flauschigen Wolle der asiatischen Kaschmirziege.
Um was dann? Um erstaunliche Dinge, die uns tagtäglich begegnen, aber in Sachen Sinnhaftigkeit doch an uns vorbeigehen. Um Phänomene aus der Natur, die nicht nur das Design (im Sinne der Form- und Farbgestaltung) beeinflussen, sondern noch viel mehr. Schaut doch mal – denn auch die Neugierde ist „designed by nature“.

Gut in Form: Wo die Natur federführend war

Auch heute kennt ihn noch jeder: den Käfer von VW. Formgebung und Aussehen des von Ferdinand Porsche in den 1920er Jahren entwickelten und 1935 erstmals vorgestellten VW Käfers (der damals noch nicht so hieß) haben wohl mehrere natürliche Gründe: Neben der vermeintlichen günstigen Aerodynamik (mit einem mittelprächtigen Cw-Wert von 0,46) ist auch die gute Wiedererkennbarkeit (durch die rundlich-buckelige Form) und nette Frontansicht (inklusive Kindchenschema) zu nennen. Der Name „Käfer“ geht wahrscheinlich auf einen Korrespondenten der New York Times zurück, der den Ur-Volkswagen aus „little shiny bug“, also „kleiner, glänzender Käfer“ bezeichnete. Zum Glück hat sich dieser englische Begriff nicht für den späten Nachfolger etabliert: Denn dann würde der Beetle bzw. Bug mit „Ungeziefer“ (und sonstigen Bugs) assoziiert.

Eine andere natürlichen Form, die läuft und läuft, ist das Sechseck. Denn ein Hexagon finden wir nicht nur in der Ausbildung vieler Kristalle (z. B. Eis), sondern ist eine der wichtigsten Grundstrukturen organischer Moleküle (z. B. der Benzolring mit sechs Kohlenstoffatomen). Erstaunlich ist aber, dass gerade das bekannteste Vorkommen, die Bienenwabe, einen anderen Baumeister als die Biene hat. Die sechseckige Form entsteht so: Die Bienen bauen weitgehend runde Zylinder aus dünnem Wachs, die bei Erwärmung die energetisch sparsamste Form einnehmen. Eigentlicher Urheber der sechseckigen Waben ist also nicht die Biene, sondern die Natur mit ihren physikalischen Prinzipien.

Auch ein Konstrukt der Natur: geniale Bauverfahren

Bäume passen die Dicke ihre Äste bei Bedarf an.

Stammgast bei genialem Wachstum: Bäume passen die Dicke ihre Äste bei Bedarf an.

Ein großartiges Beispiel dafür, dass die Natur der beste Baumeister ist, sind Bäume. Abgesehen von ihrer Fähigkeit, Sauerstoff zu produzieren und Schatten zu spenden, leisten sie im Verborgenen Geniales: Jeder Baum kann lokale Spannungskonzentrationen registrieren und ist in der Lage, das Wachstum an diesen (z. B. durch veränderte Umweltbedingungen veränderten) Stellen zu forcieren. Die gleiche Eigenschaft haben übrigens auch (unsere) Knochen: Sie können Material an Stellen anbringen, die höheren Belastungen ausgesetzt sind. Aber ebenso können sich Knochen an unterbelasteten Stellen „verjüngen“, d. h. es wird von so genannten Fresszellen automatisch Material abgebaut. Der so erreichte leichtere Knochenbau kommt einem effizienteren Energiehaushalt zugute. Gut so, denn schließlich schleppen wir auch so schon genug mit uns herum.

Alles andere als oberflächlich: vorbildliche Natur-Materialien

Tropfen auf Lotusblatt

Fehlende Bodenhaftung: Der Tropfen gleitet auf winzigen Wachsstäbchen vom Lotus-Blatt

Bis in die 90er Jahre hatten Techniker bei der Entwicklung leicht zu reinigender Oberflächen doch glatt etwas übersehen: Es ist nicht die Glätte einer Oberfläche, die sie wasser- und schmutzabweisend macht, sondern das Gegenteil. Klingt paradox, ist es irgendwie ja auch. Die Größe der Entdeckung des Lotus-Effektes liegt in der Miniatur der Erhebungen. Denn auf diesen Papillen im Nanobereich kann sich weder Schmutz noch Wasser halten – und jeder abperlende Tropfen nimmt Schmutzpartikel, Pilzsporen, Bakterien und Algen gleich mit. Im Alltag begegnen wir diesem Schutzmechanismus der Lotuspflanze in Form von Fassadenfarben, Markisenbeschichtungen und einem Honiglöffel, an dem kein Honig (aus Hexagon-Waben) kleben bleibt.

Im wahrsten Sinne spannend ist ein anderes Phänomen, dass die Energieversorgung weltweit revolutionieren könnte: Niederländische Forscher experimentieren erfolgreich an einer Methode, mit Pflanzen Strom zu erzeugen. Und das geht so: Das organische Material, das als Abfallprodukt bei der Photosynthese entsteht, entsorgt der Baum über seine Wurzeln in den Boden. Dort machen sich Bakterien darüber her und produzieren dabei – genau: Elektronen und Protonen. Jetzt braucht man nur noch eine Elektrode und eine Membran, um die Elektronen einzufangen, damit man es „Strom“ nennen kann. Auch gegenüber militanten Baumschützern können die Erfinder auf den Busch klopfen: Im Gegensatz zu anderen Verfahren schadet diese (wirklich) grüne Energieerzeugung den Bäumen nicht.

Federleicht und flüssig: natürliche Bewegungsabläufe

SmartBird der Firma Festo

Nicht Hollywood, sondern Schwaben: der SmartBird (Quelle: Festo)

Während wir viele Bewegungen nicht wahrnehmen, weil sie im Innern unseres Körpers stattfinden (wie z. B. die gewaltigen, filmreifen Truppenaufmärsche und Schlachten unseres Immunsystems gegen Viren und Bakterien), sind andere doch offensichtlich – ohne Beachtung zu finden. Habt ihr schon einmal am Strand gelegen und euch gefragt, wie die Möwe es eigentlich anstellt, so „leichtfüßig“ zu fliegen? Seht ihr: Das haben sich die Ingenieure der Firma Festo aus dem schwäbischen Esslingen auch gedacht und den SmartBird konstruiert – und gebaut. Die ultraleichte Silbermöwen-Kopie schwebt (ohne zusätzlichen Antrieb) mit einem aerodynamischen Wirkungsgrad von 80 % durch die Lüfte, dass man meint, sie sei echt und lässt gleich einen „weißen Gruß“ fallen. In der Praxis schwingen sich die Ingenieure auf, dieses Wissen um den Vogelflug für Einsatzgebiete wie Hubflügelgeneratoren zur Energiegewinnung bis hin zu Stellantrieben in der Prozessautomation einzusetzen.

Mustergültiges Chaos: die Struktur der Natur

Pilzgeflecht England

Großbritannien mit (Pilz-)Kultur: Simulation des perfekten Versorgungs-Netzwerks (Quelle: WDR).

Erstaunlich, dass wir bei den Themen Struktur und Netzwerk meistens an etwas Regelmäßiges denken. Eben wie eine Tapete aus den Siebzigern oder ein Fischernetz. Dabei ist es die Abweichung von der gleichmäßigen Ordnung, die in der Natur und in unserem Leben optimal funktioniert. Denn wir sind nicht perfekt und austauschbar – warum sollten es die uns umgebende Strukturen sein? Um zu testen, was „die Natur“ anders macht (oder gemacht hätte), haben englische Wissenschaftler Kulturen des (ziemlich eklig aussehenden) Schleimpilzes Physarum auf einer Glasplatte genau dort platziert, wo sich die größten britischen Städte befinden. Sinn und Zweck der Fungi-Platte: Als nahezu perfekte Netzwerkingenieure erschließen sich die Pilze mit ihren unterirdischen Versorgungsadern jeden Lebensraum und knüpfen das optimale Netz. Im konkreten Fall ähnelte das in nur 48 Stunden gewachsene Pilzgeflecht dem Eisenbahnnetz, an dem Generationen von Ingenieuren gearbeitet haben. Es gab aber einen entscheidenden Unterschied: Der Pilz hatte das bessere Netz, denn es war flexibler und besser auf plötzlich auftretende Störungen vorbereitet.