Die Multiples des bebrillten Genies mit der Blondhaarperücke sind ins kollektive Gedächtnis eingebrannt: großformatige Siebdrucke von Waschpulvertrommeln, Suppendosen, die legendäre Banane und ungezählte Konterfeis von prominenten Zeitgenossen prangen in Museen und Sammlungen rund um den Globus und werden bis heute schier endlos vervielfältigt. Das Vexierspiel mit der künstlerischen Massenproduktion konterkarierte augenzwinkernd die Individualität und Unwiederholbarkeit als Alleinstellungsmerkmal von Kunst.

Andy Warhols Engagement als Impresario und Verwerter der Band ‘Velvet Underground’ und der raffinierte Einsatz der gesanglich talentfreien ‘Nico’ Päffgen als Marketingtool sorgten für die nötige Aufmerksamkeit Mitte der Sechziger im noch gemächlichen, analogen Medienzirkus. Sein, dem Medienphilosophen McLuhan entlehntes (sic!) Postulat, dass praktisch jeder irgendwann in seinem Leben für fünf Minuten berühmt sein könnte, brachte die subversive Philosophie des Erfinders der Pop Art auf den Punkt.

Als Kind schwächlich und häufig krank, lebte der kleine Andrew zurückgezogen und übte sich in wenig jungenhaften Fertigkeiten. Nach einer Lehre als Schaufenstergestalter studierte er von 1945 bis 1949 am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh Gestaltung, Kunstgeschichte, Soziologie und Psychologie. 1949 zieht er nach New York, und nennt sich fortan Andy Warhol. Ab 1962 produziert er in der ‘Factory’ mit Freunden und Hilfskräften seine Version von ‘Kunst’, die keinen Unterschied zwischen Bildender und Angewandter Kunst machte.

Das frühe Schaffen des als Andrew Warhola 1928 in Pittsburgh, Pennsylvania  geborenen Kindes slowakischer Auswanderer hingegen ist weitgehend unbekannt.

Ein opulent ausgestattetes Buch, das eigentlich sieben Bücher sind, öffnet das Fenster zu Warhols Schaffen vor dem Durchbruch einen Spalt weit. Warhol hatte die Gewohnheit, Freunde und Geschäftspartner mit kleinen Heften zu beschenken, die er ‘Promotionals’ nannte. Sie gestatten einen Blick auf höchst individuelle, warmherzige Arbeiten eines talentierten Zeichners, Illustrators und Handletterers aus der Periode 1952 bis 1959.

Das gut fünf Kilo schwere Werk liegt in Gestalt eines 47,5 x 34 cm großen und 5,5 cm starken ‘Buches’ auf dem Tisch des Rezensenten. Beim Auspacken und Aufklappen des Folianten offenbart sich der Inhalt: fein säuberlich in (viel zu knapp) ausgestanzten Aussparungen liegen die ‘Seven Illustrated Books’. Für praktischen Mehrwert sorgt das schmucke Beiheft mit einer Einleitung und Erläuterungen zu den sieben Büchern aus der Feder der Kunsthistorikerin und Kuratorin Nina Schleif (der wir übrigens ein interessantes Werk zur ‘Schaufensterkunst’ verdanken) auf englisch, deutsch und französisch.

Von zahlreichen entworfenen Promotionals wurden nur acht* auch tatsächlich gedruckt. Sie entstanden meist in Kooperation mit anderen Künstlern, wie z.B. Autoren und Fotografen, die Motive als Vorlagen lieferten. Einer von ihnen, der Dichter Ralph Thomas (a.k.a. Corkie) wirkte bei zwei Büchern mit.

Die so charmanten, brüchigen Konturen verdanken sich der angewandten Abklatschtechnik. Warhol zeichnete dazu die Motive vor und druckte die noch feuchte Tintenzeichnung auf ein anderes Blatt Papier ab. Die fertigen ‘blots’ wurden reproduziert und im Offsetdruck vervielfältigt. Freunde und Bekannte überredete er, ihm beim Ausmalen der Multiples zu helfen und ihnen so Unikatcharakter zu verleihen. Alle Büchlein wurden in Auflagen von 100 Exemplaren gedruckt, mit Ausnahme von ’25 Cats’, das 200 Mal vervielfältigt wurde.

Die Bände ‘Love Is a Pink ake’, A Is An Alphabeth und À la Recherche blieben ungebundene lose Blattsammlungen. Warhol manipulierte bisweilen raffiniert den Wert der einzelnen Exemplare indem er handschriftlich fiktive, niedrigere Auflagennummern eintrug.

Love Is a Pink Cake (1952)

25 hellblaue, lose Seiten mit teils erotisch konnotierten Versen von Andy Ward zu 11 berühmten Liebespaaren. Der ungelenke Duktus und die (absichtlichen) Schreibfehler sorgen für naiven Charme.

A Is an Alphabeth (1953)

Ein aufgeklebtes Etikett ‘by corkie & andy’ verrät die Kollaboration mit Andy Ward. In Anlehnung an ABC-Bücher für Erstklässler werden in Tieranalogien durchaus erwachsene Themen durchdekliniert. Jede Seite widmet sich einem Buchstaben und zeigt ein bis zwei Köpfe als zarte Konturen.

25 Cats Name[d] Sam and One Blue Pussy (1954)

Inspiriert von einem Fotoband ‘Sam’ (und den vielen Katzen in der mütterlichen Wohnung), erstmals handnumeriert und signiert mit festem Einband. Je einer (der indes nur 18) Katzenillustrationen ist eine Seite gewidmet. Der Titel nennt Charles Lisanby als Autor, der aber wohl nur den Titel stiftete. Angeblich stammt die verschlungene Handschrift von Warhols Mutter.

A La Recherche du Shoe Perdu (1955)

Vielleicht war der erfolgreiche Job für Schuhanzeigen der Grund für den Schuhtick, der ab 1955 festzustellen ist. Lose Einzelblätter laden zur Bewunderung individueller Schuh-Illustrationen quer durch die Stilepochen ein, die Warhols Stammcafé damals gerahmt zum Verkauf angeboten hatte. Der Titel ist ein augenzwinkernder Verweis auf Marcel Prousts ‘À la recherche du temps perdu’ und Aschenputtels verlorenen Pantoffel. Wortspiele und Redensarten spielen mit dem Thema ‘Schuhe’.

In The Bottom of My Garden (ca. 1956)

Der Titel dieses unbetexteten Buches spielt auf Warhols Lieblingssong ‘There Are Fairies at The Bottom of Our Garden’ an. Figuren aus dem Lied treten auf und kleine Putten treiben erotischen Schabernack miteinander. Die ‘Fairies’ des Originalsongs ironisieren den Typus des feminin auftretenden Schwulen dieser Epoche. Fleischrosa dominiert die Kolorierung. Die prallen Putten sollten auch Warhols gewagte Schaufenstergestaltung für Parfums auf der 5th Avenue bevölkern.

A Gold Book (1957)

Laut Warhol-Intimus Charles Lisanby hatte ein Zwischenstop in Thailand den goldenen Look inspiriert. Mit eingelegten hellgelben, magentafarbenen und grünen Seiten zeigt das güldene Buch Zweige, Blüten, Obst, junge Männer und Kinder in zartbröckeligen, äußerst sparsamen Konturen. Den jugendlichen Raucher wie auch eine Reihe anderer Motive entlehnte Warhol Fotos seines Spezis Edward Wallowitch. Das einzige Soloprojekt in der Reihe hatte Warhol kurz vor Weihnachten in der Bodley Gallery präsentiert und gut verkauft. Im Original ist es eines der begehrtesten ‘Promotionals’. Man achte auf die eigensinnige Schreibweise ‘Gold’ statt ‘Golden’.

Wild Raspberries (1959)

Auf das in den prosperierenden Nachkriegs-USA erwachte Interesse an Kulinarik reagierte Warhol mit dieser Kooperation mit seiner Freundin Suzie Frankfurt. Die anspielungsreiche Kochbuch-Parodie zielte auf ein breites Publikum und sollte evtl. einen Verlag begeistern. Der rosa Einband birgt eine Reihe abenteuerlicher Rezepte und von Abbildungen in teuren französischen Kochbüchern inspirierte, naive Illustrationen. Warhol imitiert die Handschrift seiner Mutter um den Look handschriftlicher Notizen einer Hausfrau zu erreichen.

Wer immer noch ein Weihnachtsgeschenk für eine(n) exzentrische Freund(in) sucht, sollte bei dieser Präziose zugreifen.

Andy Warhol. Seven Illustrated Books. 1952 – 1959
Nina Schleif
TASCHEN, 2017

47,5 x 34 cm (mit sieben einzelnen, integrierten Büchern ), Begleitheft (47,5 x 34cm)
336 Seiten
150,-€

Andy Warhol

Andy Warhol

Andy Warhol