Phil Garnham ist Schriftdesigner mit Erfahrung in der Entwicklung und im Entwurf von Schriften für große Marken weltweit. Durch seine Zusammenarbeit mit Designstudios und Kunden rund um den Globus versteht er die kreativen Ansprüche von Marken und hat den Blick stets über den Tellerrand gerichtet. An seinem Job schätzt der Brite vor allem den kreativen Prozess, der zu neuen Entwürfen führt. Abseits davon interessiert sich der begeisterte Maler, Musiker und Vater für Yoga und Fotografie. Was ihn darüber hinaus inspiriert und was er über seine Arbeit denkt, erzählt er uns hier.
Wie bist Du zur Kreation gekommen?
Als Kind interessierte ich mich sehr für Zeichnen, Gitarren, Subkulturen … Ich schätze, in gewisser Weise wollte ich immer ein kleiner Revoluzzer sein, oder eben der Typ, der den (kreativen) Unterschied macht und Dinge auch mal anders sieht. Zu Schulzeiten hatte ich dann eigentlich vor, Bildende Kunst zu studieren, bin dann aber irgendwie bei Grafikdesign gelandet und das hat mich dann zur Typografie gebracht – als Mittel zum ausdrucksstarken Zeichnen. Ich traf Jason Smith, der in den prägenden Jahren der Schriftschmiede Fontsmith eine One Man Show war. Ich wurde Co-Creative Director und jetzt, 20 Jahre später, treibe ich bei Monotype alles rund um Schrift und Marke voran. Ich schätze, dass mich dieser Revoluzzer-Geist nie wirklich verlassen hat. Er ist mein innerer Antrieb, stärkt meine Kreativität und sorgt für neue innovative Ideen bei der typografischen Visualisierung von Markenbotschaften.
Auf welches Projekt bist Du besonders stolz?
Ich hatte das Glück, an so vielen herausragenden Projekten mit Spitzen-Designern ihres Fachs zusammenzuarbeiten: etwa bei den ikonischen Rebrands der britischen TV-Marken Channel 4 und ITV in den frühen 2000er Jahren, bei der jüngsten Lesbarkeitsstudie von Mind und Mencap für Lernbehinderte, bei der Arbeit mit o2, Duolingo, Amsteldok, einer Schriftart für Buzz Aldrin (!) … Vermutlich ist aber die Einführung der FS Emeric-Schrift der bemerkenswerteste persönliche Meilenstein. Im Jahr 2011 wurde ich Vater, ich stieg in der Branche auf und arbeitete mit meinen Design-Helden zusammen. Studios wie Build, Bibliothéque, Studio Dumbar, Non-Format, NB Studio, Pentagram, Hey in Barcelona … es war mir eine Ehre, mit ihnen zusammenzuarbeiten und etwas zu schaffen. Es fühlte sich an wie eine Sternstunde des Schriftdesigns.
Was war die schmerzhafteste Niederlage und Deine Erkenntnisse daraus?
Um das Jahr 2012 herum wurde mir klar, dass ich nicht wirklich in der Lage war, mit dem Druck einer steigenden Arbeitsbelastung und den Anforderungen der Leitung eines schnell wachsenden Kreativteams umzugehen. Kurz gesagt, ich stürzte hart ab. Ich zerbrach, das Leben sagte “Du musst aufhören”. Es war ein klassisches Burnout. Ein Versäumnis, mir einzugestehen, wie ich mich innerlich fühlte. Also nahm ich mir eine Auszeit, baute mich langsam wieder auf und lernte viel über mich selbst. Jetzt praktiziere ich täglich Yoga, Meditation und Achtsamkeitstechniken, habe eine Ausbildung zum Yogalehrer gemacht und meine Kenntnisse vertieft. Es war eine ziemlich unerwartete aber sehr lohnende Reise.
Wie stark beeinflusst die Corona Pandemie Deine kreative Arbeit?
Das Arbeiten von zuhause aus war ein Augenöffner. Ich glaube, wir alle wollten das schon immer. Aber jetzt bin ich mir nicht sicher, ob es so ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich habe mit Müdigkeit zu kämpfen und musste Grenzen zwischen Arbeit und Familie setzen. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass die Arbeit irgendwie besser wird. Wir haben uns schnell angepasst, zu Hause „Büros“ eingerichtet und sind reaktionsschneller und zupackender als je zuvor. Was ich allerdings vermisse, sind die Momente, in denen man sich austauscht und aus denen sich eine größere Idee entwickelt. Wir haben versucht, das mit Hangouts zu replizieren. Aber offenbar ist das eine physische, unmittelbare Sache, die von zu Hause aus nicht funktioniert. Deshalb stellt sich das Monotype Studio jetzt langfristig auf hybride Arbeitsmodelle ein.
Woran arbeitest Du derzeit?
Gerade passiert sehr viel. Es fühlt sich an, als ob Marken und Unternehmen einen Wachstumsbeschleuniger gezündet haben. Auf meinem Schreibtisch liegen drei Schriftdesign-Projekte: eines für eine globale Getränkemarke, ein weiteres für eine globale Supermarktkette und ein anderes für eine Marke im Gesundheitswesen. Außerdem arbeite ich an zwei Logodesigns und an einem kollaborativen Pitch für ein größeres Rebranding. Ich veranstalte viele Studio-Sessions, Webinare und unterrichte auch ein wenig. Das Arbeitsfeld ist breit gefächert und ich habe das Glück, eine Aufgabe zu haben, die es mir darüber hinaus ermöglicht, alle möglichen Märkte und Kulturen kennenzulernen.
Kreative Vorbilder – Hast Du eins?
Es gibt eine Menge Leute, die tolle Dinge erschaffen haben, die ich liebe. Ich versuche generell zu vermeiden, mir zu viele Schriften anzuschauen. Es gibt so viel davon, und ich bin nicht scharf auf die Vorstellung, dass die Arbeit von jemand anderem meine eigene unterbewusst beeinflussen könnte. Natürlich passiert das jedem von uns, aber es gibt keinen Grund, das aktiv zu befeuern. Ich schaue mir an, was Grafikdesigner, Illustratoren und Fotografen machen. Deshalb versuche ich, an Nebenprojekten mitzuarbeiten und zeichne Porträts, lese Graphic Novels, beschäftige mich mit Straßenfotografie. Ich schätze, meine Vorbilder sind in meinem unmittelbaren Umfeld: meine Familie, meine Teamkollegen – Deb Gonet, Tom Foley, Charles Nix, Akira Kobayashi, Tom Rickner.
Inspiration – Wie kommst Du auf neue Gedanken?
Schriftdesign kann ein iterativer und isolierter Prozess sein, man bleibt leicht in seinem eigenen Kopf stecken. Aber was mich wirklich reizt, sind unterschiedliche Meinungen, das Denken aus einer anderen Perspektive, das Zusammenführen von Themen. Es ist dieser Prozess der gegenseitigen Befruchtung, bei dem neue Formen und Ideen auf natürliche Weise entstehen. Es gibt keinen Ersatz für diese Freiheit. Aber man muss auch experimentieren, andere Aspekte der Konversation einbringen und Buchstabenformen beeinflussen lassen. Man muss auch viel von sich selbst in die Arbeit einbringen. Damit meine ich, dass man seine Energie, seinen Antrieb und seine persönliche Sichtweise integriert. Wenn man dabei nicht an Grenzen stößt, macht man es wahrscheinlich nicht richtig und kommt nicht auf neue Ideen.
Welche Rolle soll aus Deiner Sicht Design in der Gesellschaft einnehmen?
Design, Schrift, Farbe, Fotografie … sie alle schaffen und formen kulturelle Normen, setzen neue Maßstäbe der Akzeptanz und richten Erwartungen neu aus. Design sollte die Kultur weiterentwickeln, beleben und Leben und Optimismus in unsere Welt bringen. Gutes Design ist ein Enabler, es kann Probleme lösen, das Leben erleichtern und sollte nicht im Weg stehen.
Was ist aus Deiner Sicht besonders spannend an Deinem Beruf und welchen Rat gibst Du jungen Menschen mit auf den Weg?
Es mag nicht so aussehen, aber Schriftdesign bewegt sich schnell. Neue Technologien und Trends tauchen schnell auf und ich liebe es, all diese Veränderungen zu verfolgen und zu sehen, wie sie sich auf Marken auswirken. Variable Fonts waren für uns in den letzten Jahren das Größte. Die Möglichkeit, eine riesige Menge an Schriftstilen in einer einzigen Datei zu komprimieren, ist ein großer Gewinn für Marken, die digital gut aufgestellt sein wollen. Insbesondere im Bereich Mobile. Auch die kreativen Möglichkeiten sind riesig. Und wir haben erst an der Oberfläche gekratzt, wie diese variablen Fonts mit Daten, mit sensorischem Input über Kamera, Sound usw. interagieren können. Berufsanfängern würde ich raten, sich bei allem, was sie tun, zuallererst auf das Handwerk zu konzentrieren. Macht die saubersten Linien, balanciert den Raum und den Ton aus und erforscht die Lesbarkeit! Die Animationen und Zaubereien kommen später. Ein gutes Auge zu haben ist immer noch das wichtigste Werkzeug im Schriftdesign.
Auf was wird es künftig im Branding und Design nach ankommen?
Authentizität und Unterscheidung in digitalen Räumen. Marken müssen sich ihren Tonfall zu Eigen machen, die Art und Weise, wie sie mit ihren Kunden sprechen. Schrift hat diese Möglichkeit, unterschwellig Themen und Ideen zu vermitteln und zu thematisieren, sie spricht wirklich. Die Stimme auf den Kern dessen auszurichten, wer man ist, wird immens wichtig für die Differenzierung und das Überleben im digitalen Raum sein.
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