Mit der Interviewserie „Designer fragt Designer“ möchten wir auf ganz konkrete Fragen zum Alltag von Designern eingehen. Interviews und Erfolgsgeschichten mit Agenturleitern und Design-Koryphäen sind immer sehr schön zu lesen, doch spiegeln sie in der Regel nicht den Alltag der breiten Design-Masse wider. Daher geht unser freier DESIGNBOTE Redakteur Julien Fincker auf ganz normale Designer zu, die täglich die gleichen Erfolge feiern und die gleichen Kämpfe austragen, wie wir alle.
Als Gemeinschaft ist es wichtig, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Ganz unter dem Motto „Sharing is caring“ haben wir also Designer zu ganz bestimmten Themen und Situationen befragt und nachgehakt, wie sie mit diesen bestimmten Themen und Situationen im Alltag umgehen.
Ein Buch zu gestalten ist für jeden Designer ein Traum. Satzspiegel und Raster definieren, Schriften, Bilder und Papier recherchieren, vielleicht noch eine schöne Veredelung auf dem Titel … herrlich, was gibt es Schöneres. Sich jedoch von Grund auf in ein Thema einzuarbeiten, zu recherchieren und die Inhalte selbst zu erarbeiten, ist aber nochmal eine ganz andere Hausnummer, an die sich nicht jeder herantraut. Moritz Kleinsorge aus Kempen hat sich getraut. Zu seinem Masterabschluss Kommunikationsdesign an der Peter Behrens School of Art Düsseldorf hat sich der Type- & Grafik-Designer in die Welt der Schriftcharakteristik eingearbeitet und anhand von Corporate Typefaces deutscher Unternehmen umfangreich analysiert. Vor der Gestaltung stand also viel Theorie und Wissenschaftliches auf dem Programm. Doch wie geht man da am besten vor? Ich wollte wissen wie das geht, und genau deshalb habe ich ein paar Fragen an ihn.
Du hast diesen Sommer Deinen Master (mit Bestnote) abgeschlossen und Dich für Deine Masterarbeit gleich einem ganzen Buch gewidmet. Worum geht es und wie bist Du darauf gekommen?
Mein Buch heißt „Schrift spricht – Schriftcharakteristiken und Corporate Typefaces deutscher Unternehmen“. Ich untersuchte, inwieweit die eigens für das Unternehmen gestalteten Schriften zu ihrer Marke / Philosophie / Außendarstellung passen. Neben der reinen Information überträgt die Schrift nämlich auch einen Charakter an den Leser, der natürlich bestmöglichst zum jeweiligen Unternehmen passen sollte.
Auf die Idee bin ich – wie könnte es anders sein – über verschiedene Umwege gekommen. Mir war klar, dass ich mit meiner Masterarbeit ein Thema behandeln möchte, dass mich persönlich in meinem Beruf weiterbringt. Da ich mit der Schriftgestaltung bereits nach dem Bachelorstudium meine Berufung gefunden hatte, war das Themenfeld „Typografie“ dementsprechend bereits gegeben.
Als Masterarbeit hatte ich zuerst den Plan, die Frage zu behandeln, wieso wir bestimmte Schriften als freundlich, modern, elegant, etc. ansehen und andere nicht. Wieso wirken die Formen und Proportionen auf uns so, wie sie es tun. Diese Thematik wurde aber immer umfangreicher und abstrakter, sodass ich mich etwas umorientieren und mir einen konkreteren Schwerpunkt setzen wollte. Das Thema Corporate Typefaces wollte ich bereits in einem Unterpunkt im Themenkomplex „Anwendung“ behandeln, aber natürlich mit einem viel kleineren Fokus.
Ein Buch zu machen ist inhaltlich wie gestalterisch sehr anspruchsvoll. Wie bist Du dabei vorgegangen?
Ich habe mir ganz klar vorgenommen, den Inhalt und die Gestaltung voneinander zu trennen. Alle Texte habe ich in TextEdit in einer Monospace-Schrift geschrieben. Dort gibt es die Funktion „In reinen Text umwandeln“. Dieser bietet keine Gestaltungsmöglichkeiten, nicht einmal Unterstreichungen, kursive oder fette Schrift. Diese Einschränkung half mir, mich besser auf die Inhalte zu fokussieren. So konnte ich mir nicht sofort die üblichen Gedanken machen, wie „Welche Schrift benutze ich?“, „Wie ist die Zeilenbreite?“, etc. Indesign habe ich das erste Mal ca. einen Monat vor der Abgabe des Buches zur Druckerei öffnen wollen, aber in einer Phase, in der ich mit dem Schreiben nicht gut voran kam, habe ich dann doch schon mal mit der Gestaltung des Buches begonnen. Grundsätzlich habe ich aber bis zuletzt meine Texte in Textedit geschrieben und sie erst zum Schluss in Indesign kopiert.
Gab es Schwierigkeiten zu meistern, mit denen Du im Vorfeld nicht gerechnet hast?
Mein Thema setzte die Kooperation der beteiligten Unternehmen voraus. Blauäugig wie ich war, dachte ich, dass mich jedes Unternehmen gerne in meiner Masterarbeit unterstützt. Dies war leider nicht so. Von den ersten beiden angeschriebenen Unternehmen bekam ich schnell eine Absage, sodass ich zu Anfang kurz Angst hatte, dass keinerlei Unternehmen kooperieren würden und ich die Masterarbeit vergessen könne. Mit teilweise etwas Überzeugungsarbeit konnte ich dann aber doch mehrere Ansprechpartner in den Unternehmen dazu bringen, mir ihre Schriftdateien zu schicken. Teilweise habe ich den Unternehmen aber auch Indesign-Dateien geschickt, deren Text die Grafiker dann in die richtige Unternehmensschrift umwandelten und mir die Datei als PDF zurückschickten. So konnte ich mit der Schrift arbeiten, ohne sie wirklich zu “besitzen”. Dies war glücklicherweise die einzige Schwierigkeit, die ich hatte.
Hattest Du während des Prozesses nur Kontakt zu den Unternehmen, oder auch zu Schriftgestaltern oder Agenturen direkt?
Ich hatte wenig Kontakt zu Schriftgestaltern oder Agenturen, der größte Teil der Kommunikation lief direkt über die Unternehmen. Trotzdem gab es Ausnahmen: Durch mein Interview mit Martin Wenzel von supertype hatte ich direkten Kontakt mit einem der Gestalter der Schriften für die Bundesregierung, den DFB und von Media Markt. Zusätzlich hatte ich noch Kontakt zu Jeremy Mickel , dem Gestalter der adidas Schriften. Ihn habe ich auf der AtypI 20018 in Antwerpen kennengelernt, er präsentierte dort die Schriften von adidas. Da ich Probleme mit der Beschaffung dieser Schriften hatte, bat ich ihn um Hilfe. Auch hatte ich mit Elsner + Flake Kontakt, welche mir die Schriften von RWE zur Verfügung stellte.
Warum ist es für Unternehmen wichtig eine eigene Hausschrift zu haben?
Grundsätzlich ist es ja so, dass fast jedes Unternehmen und mittlerweile jede Behörde ein Corporate Design besitzt. So geben Unternehmen ein einheitliches Bild nach außen ab und erreichen damit beim Kunden eine Wiedererkennung. Ob die im Corporate Design festgelegte Schrift nun ein normaler Retailfont, der von jedem lizenziert werden kann, oder eine eigens für das Unternehmen/Behörde gestaltete Schrift ist, ist im ersten Schritt egal. Die Hauptsache ist, dass das gesamte Corporate Design stringent umgesetzt wird.
Die Gründe für eine eigens gestaltete Schrift sind dagegen unterschiedlich. Das für mich wichtigste und stärkste Argument ist die Einzigartigkeit der neuen Schrift. Kein anderes Unternehmen – und damit auch die Konkurrenz – wird diese Schrift je benutzen können. Vor allem im Vergleich zu anderen Unternehmen (bzw. der Konkurrenz) ist es wichtig, dass ein Unternehmen auch typografisch aus der Masse hervorsticht. Außerdem überträgt die Schrift nicht nur Informationen, sondern auch den Charakter des Unternehmens. Dies macht die Schrift zu einem enorm wichtigen Element im Corporate Design. Je nach Größe des Unternehmens reicht vielleicht auch schon das finanzielle Argument aus, eine Schrift in Auftrag zu geben. Wenn ein Unternehmen eine Schrift lizenzieren möchte, so werden pro Arbeitsplatz Lizenzen fällig. Dazu kommt dann noch ein Webfont, eine Server-Lizenz, möglicherweise noch App Lizenzen, OEM Lizenzen, etc. Allein diese aufzubringende finanzielle Summe kann ein Argument für die Benutzung einer eigenen Schrift sein.
Aus den Beispielen in Deinem Buch, welchen Corporate Font hältst Du für besonders gut gelungen, und warum?
Schwierige Frage. Es gibt viele Schriften, bei denen ein kleines Detail den Unterschied macht. Am besten gefällt mir aber die Schrift von Media Markt, weil sie einfach anders ist. Lange ist es mir aber nicht gelungen, den Bogen zwischen der Schrift und dem Unternehmen zu spannen. Wieso sieht die Schrift so aus? Als Händler für elektronische Produkte habe ich eine Schrift mit technischer Anmutung erwartet, doch die Schrift ist eher organisch und handschriftlich geprägt. Dies hat mich im ersten Moment verwirrt und führte dazu, dass ich die Schrift als Corporate Type eher schlecht fand. Dann aber schaute ich mir die Selbstdarstellung von Media Markt an und bemerkte, dass sie sich stets laut und frech präsentieren. Dies kann man schon im Bildelement des Logos erkennen. Der Wirbel steht laut Media Markt dafür, dass „dauerhaft tiefe Preise und die prägnante Werbung die Branche unablässig aufwirbeln“. Selbstbewusst. Hinzu kommen Slogans wie „Ich bin doch nicht blöd“, „Wir können nur billig“ oder „Lasst Euch nicht verarschen!“ und ein öffentliches Bild ist geschaffen.
Passend zur Werbung musste nun auch die Schrift markant und prägnant sein, und dies ist sie ohne Frage. Sie hat Ecken und Kanten, spitze Punzen, sowie weiche Rundungen, sie ist dynamisch, kraftvoll, auffällig und extrovertiert. Überall entdeckt man etwas Neues; die Schrift strahlt eine große Lebendigkeit aus, die schwer in Worte zu fassen ist. Und dies deckt sich mit der Darstellung von Media Markt und macht die Schrift in meinen Augen zu einem sehr gelungenen Corporate Typeface.
Wird das Buch erhältlich sein?
Die spätere Veröffentlichung war von Anfang an der Plan. Ich wollte ein Buch schreiben, das später auch veröffentlicht wird und nicht nur mein Regal füllt. Ich bin aktuell in Kontakt mit einem Verleger, der das Buch gerne im Herbst nächsten Jahres veröffentlichen möchte. Leider kam aber vor Kurzem ein Buch mit einem ähnlichen Thema auf den Markt, sodass wir nun schauen müssen, inwieweit wir neue/andere Inhalte aufgreifen wollen. Auch die Finanzierung ist noch nicht final abgeklärt, sodass die Buchveröffentlichung noch nicht in Stein gemeißelt ist. Ich bin aber sehr optimistisch, dass dies klappen wird.
Aktuell arbeite ich daran, das Buch ins Englische zu übersetzen, sodass die Zielgruppe wächst. Deswegen wird auch der Fokus nicht mehr ausschließlich auf deutschen Unternehmen liegen, es kommen (hoffentlich) ein paar bekannte internationale Unternehmen dazu.
Wenn wider Erwartens die Veröffentlichung über einen Verlag schief läuft, so werde ich die Inhalte fürs Web aufbereiten und über ein Portal über Corporate Typefaces einrichten.
Wie geht es nach dem Masterabschluss für Dich weiter? Was können wir von Dir erwarten?
Schriften. Ganz klar. Aktuell arbeite ich an einem größeren Schriftsystem, das aktuell aus einer Grotesk und einer Antiqua besteht. Beide Schriften besitzen dieselbe x-Höhe, Versalhöhe sowie denselben Grauwert. Dadurch kann man die beiden Schriften sehr gut miteinander kombinieren ohne noch manuelle Anpassungen machen zu müssen. Neben den beiden genannten Schriften möchte ich in Zukunft noch weitere Schriften gestalten, die in dieses System passen. Mit einem Inscription Font habe ich bereits begonnen, vielleicht kommt noch eine Schrift im Stile der American Typewriter dazu, darauf habe ich Lust.
Mein Ziel ist es, eines Tages von der Schriftgestaltung leben zu können. Leider ist dies aktuell noch nicht der Fall, sodass ich mich demnächst nochmal in der Agentur-Szene umgucken werde.
Vielen Dank für das Interview, Moritz. Wir wünschen Dir viel Erfolg für die Veröffentlichung des Buches und freuen uns auf Deine nächsten Schriften!
Und abschließend ein Gruß an Düsseldorfer Agenturen. Ihr habt es gelesen, Moritz ist noch frei. Also lasst Euch diesen Typografie Experten nicht entgehen. 😉
Weitere Informationen zu Moritz Kleinsorge findet man unter:
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