Schon zum Mäusemelken, wenn man morgens aus der Haustür tritt und feststellt, dass irgendwer die Hauswand vollgesprüht hat und die Haustür vor lauter Tags nicht mehr als solche zu erkennen ist. Sehr ärgerlich. Es sei denn, das Graffito würde ganz klar als das Werk eines gewissen Banksy identifiziert, der 1997 in Bristol erstmals mit dem schablonierten Wandbild ‘The Mild Mild West’ von sich reden machte. Dann würde es sich nämlich lohnen, es von fachkundiger Hand aus der Fassade meißeln zu lassen und schleunigst zu versilbern. Auf dem Kunstmarkt werden echte Arbeiten von genau diesem Künstler Banksy mit ihren typischen pazifistischen-, antikapitalistischen und Antiestablishment-Botschaften zu astronomischen Preisen gehandelt. Manche Stadtverwaltungen und Hausbesitzer haben die Schablonenarbeiten schon unter Denkmalschutz gestellt, weil sie beliebte Kulissen für Touristen-Selfies sind. Prominente wie zum Beispiel Brad Pitt und Angelina Jolie oder Christina Aguilera dekorieren mit ihnen ihre Luxushütten. Er selbst wurde 2007 von der Stadt Briton (wo ihn als jungen Sprayer die Polizei gejagt hatte) mit dem Preis ‘Greatest Living Briton’ dekoriert, hat ihn aber lieber nicht persönlich abgeholt.
“We can’t do anything to change the world until capitalism crumbles. In the meantime we should all go shopping to console ourselves. —Banksy”
Der Künstler Banksy ist scheu wie ein Reh. Soweit man weiß, war er noch nie im Fernsehen oder auf einem Foto zu sehen und nicht mal die ausgebufftesten Paparazzi haben einen blassen Schimmer, wer er sein könnte. Er ist GB’s berühmtester Graffiti-Artist, aber für seinen Anwalt auch der ‘meistgefälschte lebende Künstler’, der wegen der zahllosen Bootlegs seiner Motive bestimmt keinen Urheberrechtsstreit anfängt. Für Banksy ist Anonymität lebenswichtig, weil Graffiti sprayen nun mal illegal ist. An dem Tag, wo seine Identität bekannt würde, wäre Banksys Karriere zu Ende.
Seine schwarz-weißen Schablonenbilder sind gekonnt, witzig und subversiv: Sie zeigen Polizisten mit Smiley-Gesichtern, Ratten mit Presslufthämmern, Affen mit Massenvernichtungswaffen, kleine Mädchen die mit Raketen kuscheln, Polizisten, die flauschige Königspudel ausführen, Samuel Jackson und John Travolta, die mit Bananen ballern, einen Beefeater, der ‘Anarchy’ an die Wand schreibt, mit einer fetten Signatur. Der Autor der ironischen Wortspiele, Statements und Aufrufe betätigt sich auch als Buchautor, Maler oder Regisseur und gestaltet auch mal Plattencover, wie z.B. das des Blur Albums ‘Think Tank’. Aber auch als Geldfälscher: 2004 verteilte er beim Notting Hill Carnival 10-Pfund-Blüten mit dem Aufdruck “Banksy of England, auf denen statt der Queen, das Konterfei von Lady Diana prangte.
Der Autor dieser Zeilen fand Hinweise auf ein Interview, das Banksy 2003 dem Guardian gegeben hatte. Darin schreibt der Redakteur Simon Hattenstone: “Bansky ist weiß, 28, trägt etwas nachlässige Freizeitkleidung – Jeans, T-Shirt, mit einem Silberzahn, Silberkette und silbernem Ohrring.” Banksy müsste also jetzt, 2019, etwa 47 sein.
Kunst im Schredder
Wenn jetzt immer noch nicht der Groschen fällt. Erinnert Euch an 2018, als bei der Auktion das Gemälde ‘Girl with Balloon’ im Moment des Zuschlags seinen Rahmen als geschredderte Streifen verließ und fortan – denn es war ja jetzt zu etwas Neuem geworden – den Titel ‘Love is in the Bin’ trug. Dabei dürfte sich, so Experten, sein Wiederverkaufswert multipliziert haben, auch wenn ein Teil der ironischen Arbeit jetzt im Papierkorb lag. Alex Branczik, Sotheby’s Zuständiger für zeitgenössische Kunst in Europa, kommentierte den Vorgang trocken: “It appears we just got banksy-ed.” Für 1.9 Millionen Dollar … Vielleicht hat Banksy mit dem ferngesteuerten Schreddern gegen den Criminal Damage Act of 1971 verstoßen, angesichts des dramatisch gestiegenen Verkaufswertes dürfte die neue Besitzerin aber mindestens ein Auge zugedrückt haben. Im nachhinein wurde geraunt, dass der weltberühmte Guerrilla-Künstler an jenem Samstag leibhaftig im Auktionssal gesessen haben könnte.
Beim Auktionshaus Sotheby’s fand das vier Meter breite, dem Künstler Banksy zugeschriebene Gemälde ‘Devolved Parliament’ (2009) im Oktober 2019 für 12 Millionen Dollar einen neuen Besitzer. Es zeigt das britische Parlament, in dem Schimpansen wild diskutieren und war auf maximal 2 Millionen £ taxiert worden. Der letzte Höchstpreis für einen Banksy lag bis dahin bei 1,9 Millionen US-Dollar für das Wandbild “Keep it Spotless” im Jahr 2008.
2017 kam das Gerücht auf, hinter dem Pseudonym Banksy könnte vielleicht Robert Del Naja alias „3D“, der Sänger der britischen Triphop-Ikonen Massive Attack stecken. DJ Goldie, früher auch mal Sprayer, hatte in einem Podcast-Interview von Banksy gesprochen und dabei war ihm der Name ‘Robert’ entglitten. Ein Investigativjournalist namens Craig Williams hatte die steile Theorie, dass Del Naja – in den Eighties selbst ein passionierter Sprayer – vielleicht der ominöse Künstler Banksy sein könnte, der seit den frühen Neunziger Jahren die Kunstszene narrt. Laut Williams wären nämlich überall wo Massive Attack aufgetreten waren – in Kanada, den USA und Großbritannien – fast gleichzeitig auch Banksy-Graffiti aufgetaucht. Del Naja sagte einer britischen Zeitung, dass er 1983 und 1986 einmal verhaftet worden sei und ihm das gereicht hätte.
Was aber, wenn Banksy gar keine Einzelperson, sondern eine Gruppe von Sprayern wäre? Der (oder die?) große Unbekannte identifiziert sich nämlich nicht vorwiegend durch unverkennbare Linienführung oder Handschrift, sondern arbeitet mit kunstvoll geschnittenen Schablonen. Diese Technik würde es prinzipiell auch erlauben, dass ein Kind die Schablone anlegt und mal kurz drüber sprüht. Das Ergebnis wäre immer noch 100% Banksy. Damit hätte also theoretisch auch eine, zum Beispiel von Massive Attack, angeheuerte Truppe während oder vor der Tour die stilistisch so typischen, gesellschaftskritischen Graffiti sprühen können.
Kaum einer kennt Banksy’s streng gehütete wahre Identität, aber viele vermuten, dass der in Bristol lebende Robin Gunningham, ein Absolvent der ziemlich teuren Bristol Cathedral School, der Gesellschaftskritiker hinter dem anonymen Straßenkünstler ist. Als ein Druck einer Zeichnung von Gunningham bei der Online-Kunstvermittlung My Art Broker versteigert wird, setzen Spekulanten 4.000 £ (5.242 $) auf den Namen, in der Hoffnung, einen originalen Banksy in die Finger zu bekommen. Weil Banksy selbst die Gunningham-Gerüchte leugnet, bleibt ein Gebot auf den Druck riskant, könnte sich aber auszahlen, sollte der schwer fassbare Künstler jemals enttarnt werden. Die Chancen stehen vielleicht gar nicht so schlecht, wie es scheint. Im Oktober 2016 schätzte nämlich der Street Art-Experte Carlo McCormick gegenüber artnet News, dass eine 75-prozentige Chance besteht, dass Gunningham tatsächlich der Mann hinter Banksy sein könnte. Auch Geo-Profiler fanden 2016 Hinweise darauf, dass Gunningham der Künstler Banksy sein könnte.
Angeblich soll Gunningham mal mit dem Künstler Luke Egan zusammengewohnt haben, der später auch mit Banksy ausgestellt hatte. Egan stritt zunächst ab, Gunningham zu kennen, gab aber später zu, mit ihm eine Wohnung geteilt zu haben.
Andere Gerüchte legen nahe, dass dieser geheimnisvolle Künstler Banksy auch Robin Banks heißen könnte, auch aus Bristol, und dass dessen Eltern in dem Glauben lebten, dass ihr Robin Anstreicher und Raumausstatter wäre.
Um 2000, als Banksy angeblich nach London umgezogen war, zog auch Gunningham in ein Loft in Hackney. Und schon tauchten ein paar von Banksy’s heute berühmtesten Arbeiten in dem Viertel auf. Damals wohnte Gunningham mit einem gewissen Jamie Eastman zusammen, einem Mitarbeiter des ‘Hombre’-Plattenlabels, das gerne Banksy-Illustrationen für Coverartworks genutzt hatte. Gunningham’s Eltern leugneten dass der Künstler ihr Sohn sei … Obwohl … Als man seiner Mutter Pamela ein Bild aus der Sonntagszeitung ‘Mail on Sunday’ aus dem Jahr 2012 zeigte, leugnete sie sogar dass sie überhaupt einen Sohn hätte und schon gar keinen, der Robin hieße – so die Zeitung.
2017 war im Magazin NEON zu lesen, dass man vielleicht im Westjordanland Banksy’s wahre Identität kennen könnte. Dort hatte nämlich Mister Nobody sein Projekt “The Walled Off Hotel” realisiert, eine schicke, mit Banksy-Kunst dekorierte Boutique-Herberge. Hoteldirektor Wisam T. Salsaa behauptet in NEON, dass er “seit zwölf Jahren” mit Banksy befreundet sei, mit dem er auch das Hotel realisiert hätte. Spricht auch er von Massive Attack’s Robert Del Naja? Laut NEON will eine gewisse Maha Saca aus Bethlehem, deren Hauswand das dem Künstler Banksy zugeschriebene Wandbild der Friedenstaube in kugelsicherer Weste schmückt, Robert Del Naja auf einem Foto nicht als den Sprayer wiedererkannt haben.
Ist mein Banksy echt?
Wer Zweifel an der Authentizität eines dem Künstler Banksy zugeschriebenen Werks hat, kann die Website Pestcontrol (Etwa: ‘Kammerjäger’) konsultieren. Lustigerweise verweist die Rattenfängerassoziation auf ein mögliches Vorbild, den französischen Streetartist Blek Le Rat, der ebenfalls mit Schablonen arbeitet.
Da ist u.a. zu lesen, dass “Bitte beachten Sie, dass der Authentifizierungsprozess sehr zeitaufwendig und aufwändig sein kann, da viele Banksy-Stücke in einem fortgeschrittenen Rauschzustand erstellt werden.”
Auch erfährt man, dass der Künstler aktuell von keiner Galerie vertreten wird und Anfragen deshalb nur an diese Mailadresse gerichtet werden können: customerservices@pestcontroloffice.com
Irgendwie hat es doch was, wenn der möglicherweise berühmteste und teuerste gehandelte zeitgenössische Künstler immer noch sorgsam sein als jugendliches Mitglied der DryBreadZ Crew erworbenes Underdog-Image pflegt und regelmäßig mit augenzwinkernd ‘illegalen’ Aktionen auffällt.
Buchtipp:
Titel: Wall and Piece
Autor: Banksy, Robin Banksy
ISBN: 1844137872
EAN: 9781844137879
Illustrationen, meist farbig
240 Seiten
Sprache: Englisch
20, 9 cm / 25, 9 cm / 2, 0 cm
Random House UK Ltd
1. November 2006 – kartoniert –
Videos:
Doku: (83 Min,) “Exit Through The Gift Shop” (2010, Thierry Guetta)
Doku: ‘Banksy Does New York’ (2014, Chris Moukarbel)
Auch interessant: DESIGNBOTE – Fenstergraffiti vom Berliner Frontend-Designer Maksymilian Ustarbowski
Stock Photos:
Tauben/Titel: photogeoff / Shutterstock.com
Ratte: BasPhoto / Shutterstock.com
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Mona Lisa Bazooka: chrisdorney / Shutterstock.com
Mild Mild West: 1000 Words / Shutterstock.com
Cash Machine Girl: chrisdorney / Shutterstock.com
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