“Lieber Denkfabrik statt Reparaturbetrieb” lautet der Appell des Designwissenschaftlers Ulrich Kern und des Zukunftsforschers Klaus Kofler. In der Podcast-Reihe “Servant Politics”, moderiert von Claudia Lutschewitz, beschreiben sie ihr Unbehagen an der aktuellen Politik und fordern: Unsere Gesellschaft braucht ein Zukunftsdesign, das Menschen wieder für demokratische Mitgestaltung begeistert.
Grau in Grau: die derzeitige Verfasstheit
Es stand schon mal besser um unsere Gesellschaft als heute. In dem Punkt waren sich die Diskutanten schnell einig. Wachsende Kluft zwischen Reich und Arm, Mangelverwaltung in den Kommunen, ein auf spätere Generationen vertagter Klimaschutz, stockende Transformation und in Summe mehr politisches Gegeneinander statt eines gemeinsamen Zukunftsbildes. Als eine “Hinterhofwerkstatt ohne Plan” beschrieb Ulrich Kern das derzeitige politische Handeln. Etwas milder formulierte es Klaus Kofler, als er von einem “Erhaltungsbetrieb ohne Visionen” sprach. Die Gefahr: Die Politik verliert sich im Kleinklein und verspielt wichtige Chancen, Menschen in eine motivierende Zukunft mitzunehmen. Stattdessen verstärkt sich oft das Verlangen nach scheinbar einfachen Lösungen für Probleme, deren Komplexität vielen Angst macht. Vielleicht liegt hier auch der Grund für die “motzige Kommunikationskultur”, die inzwischen in vielen Debatten festzustellen ist, wie die Moderatorin Claudia Lutschewitz anmerkte.
Gestaltung mit Emotio und Ratio
Wo könnte ein Zukunftsdesign ansetzen? Taugt Design als kreativer Problemlöser auch für gesellschaftliche Fragen? Jedenfalls geht es um ein Design, das nach Ulrich Kerns Verständnis seine Prozesskompetenz auch auf politische Gestaltungsaufgaben ausdehnt. Der Designprofessor und Outside-the-box-thinker unterstrich die Bedeutung der Aufgabe, Menschen als komplexe Ganzheit mit Emotio und Ratio anzusprechen. Dabei müssten sich ZukunftsdesignerInnen ihrer besonderen Verantwortung bewusst sein. Fundiertes Wissen müsse Meinung begründen, Vertrauen sei schrittweise zu erarbeiten und Komplexität müsse konstruktiv bearbeitet werden. Kreative Problemlösungsstrategien im Sinne einer Denkfabrik seien das Ziel, aber nicht nur als rationales Kopfprodukt, sondern auch als begeisternde Vision einer demokratischen Mitgestaltung. Demokratie sei schließlich kein “Konsumprodukt”, das den Menschen fertig konfektioniert angeliefert wird, sondern Ausgangspunkt und Ziel gemeinsamer Zukunftsgestaltung.
Ach ja, die Zukunft … Que sera, sera?
Kommt Zukunft nicht sowieso? Irgendwie von allein? Mitnichten, meint Klaus Kofler. Wir müssen sie vordenken und vor allem vom Denken ins Tun kommen. Sonst verspielen wir die Chance, für die großen Herausforderungen der Zukunft Antworten zu finden, die Demokratie und gesellschaftliche Resilienz stärken. Die “alten Gewinngeschichten” unserer Gesellschaft sind daher zu ersetzen. Wir brauchen weder “Fünf-vor-Zwölf-Geschichten”, die Angst und Druck erzeugen, noch “Heldengeschichten” von einmaligen Ausnahmetalenten. Was wir brauchen, so der Zukunftsforscher, sind neue positive Zukunftsbilder einer gemeinschaftlich gestalteten Demokratie, die auf Menschen attraktiv wirken und einen Sog ausüben: Gemeinsame große Ziele statt “privatisierter Zukünfte”. Eine Politik ist gefordert, die Menschen inspiriert, ihnen mit Empathie begegnet und sie auf eine Reise ins Utopia mitnimmt. Wichtig sind daher die “drei großen V: Vertrauen, Verantwortung, Verbindlichkeit”. Denn “Demokratie ist Gestaltungsakt, kein Selbstläufer.”
Politik neu denken
Dass Politik neu gedacht werden müsse, betonte abschließend Claudia Lutschewitz. Die Moderatorin des Podcasts hob hervor, wie überholt der vermeintliche Dualismus von hohen AmtsträgerInnen auf dem politischen Platz einerseits und den politischen Zuschauern am Spielfeldrand andererseits sei. Eine demokratische Debattenkultur der vielen Stimmen sei genauso wichtig wie die politische Mitwirkung vieler Akteure – gerade im Sinne eines inspirierenden Zukunftsdesigns.
“Servant Politics” ist der “Podcast für politische Reflexionsimpulse”. Zu Wort kommen ExpertInnen, die ein Schlaglicht auf unterschiedliche politisch-gesellschaftliche Problembereiche werfen. Initiatorin und Interviewerin Claudia Lutschewitz blickt inzwischen auf 300 Ausgaben der Podcast-Reihe seit September 2021 zurück.
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