Der Berliner Font-Technologie-Treff etabliert sich als jährlicher Industrie-Taktgeber. Komplette Schriftfamilien in einer einzigen Font-Datei und neue Tools für die Font-Produktion. Google Chrome unterstützt als erster Browser Variable-Font-Standard.
Der letzte Vortrag war gleichzeitig der Höhepunkt der dreitägigen Font-Entwickler-Konferenz TYPO Labs in Berlin: Der Google-Manager Dominik Röttsches, im Chrome-Team verantwortlich für Layout und Text, gab eine Entwickler-Version des Browsers (Canary) zum Download frei, die das neue variable Font-Format OT 1.8 auf allen Plattformen unterstützt. Es erlaubt die Kombination von Schriftmerkmalen wie Strichstärke, Buchstabenbreite oder optische Größe stufenlos in einer einzigen Font-Datei abzulegen und zu regeln.
In den zwei Tagen zuvor haben Type-Designer und Entwickler in über 20 Vorträgen ihre Experimente und Produktideen für das neue Font-Format vorgestellt, darunter Vertreter von Adobe, Font Bureau, Microsoft, Monotype, Glyphs, URW und Fontlab. Alle waren sich einig darin, dass variable Schriften vor allem die digitale Kommunikation voranbringen werden. Es wurden Beispiele gezeigt, in denen ein Text auf das Gesicht des Betrachters reagierte oder auf Musik. Denkbar sind auch E-Book-Reader, deren Textdarstellung nicht nur auf hell/dunkel reagiert, sondern auch auf Leseabstand, Lesetempo oder Aufmerksamkeit des Lesers.
Die Entwickler des holländischen Schriftenhauses Underware haderten zunächst mit der ungeheuren Zahl von 64.000 Achsen, die ein OpenType-Font in sich tragen kann, wo doch eigentlich ein Dutzend Achsen ausreichen würden, um die Herausforderungen der seit Jahrhunderten gepflegten Typografie abzudecken. Dann packte sie die Experimentierfreude. Sie entwickelten so lange Superslider und Fonträume, bis sie ihre gesamte Schriftenbibliothek in einer einzigen multidimensionalen Fontdatei untergebracht hatten. Damit nicht genug: »Eigentlich enthält ein solcher Raum auch alle Schriften, die wir in Zukunft noch machen wollten«, scherzte Bas Jacobs auf der TYPO-Labs-Bühne.
Es gab also durchaus unterhaltsame Momente, in einer ansonsten von Ingenieuren und Nerds geprägten Veranstaltung. Und diese Mischung war ganz im Sinne der Erfinder: »Die TYPO Labs bringen zwei Industriegruppen ins Gespräch, deren Austausch bisher nur sporadisch stattfand: Font-Entwickler und die grafische Industrie. Es hat fast 10 Jahre gedauert, bis sich Webfonts durchsetzen konnten. Das darf mit den neuen, faszinierenden variablen Fonts nicht wieder passieren«, betont Jürgen Siebert, Programmdirektor der TYPO Labs.
Auch die Ankündigung von Google auf den TYPO Labs gibt ihm Recht. »Wir wollen der jährliche Taktgeber sein für die grafische – und die Font-Industrie, wie das andere Wirtschaftszweige auch mit ihren Messen praktizieren. Und so sind wir sicher, dass im April 2018, auf den 3. TYPO Labs, die ersten Anwendungen auf der Bühne und in Gesprächen dazwischen zu sehen sein werden«, lautet Sieberts Ausblick auf die nächsten TYPO Labs.
Alle Vorträge sind auch online anzusehen: httpv://www.youtube.com/playlist?list=PLec3NyaPgImzEi11tVWbbgRogfVN0KcjV
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