Haben Sie sich schon mal über die unzähligen Tools geärgert, mit denen man mit nur wenigen Klicks Visuals erstellen kann? Programme für Bildbearbeitung und Gestaltung, die es in Windeseile auch Laien ermöglichen, mehr oder weniger ansprechende Marketing-Materialien zu erstellen? Datenbanken, die ihnen vorhersagen, wie und wann sie in den sozialen Medien posten müssen, um gesehen zu werden? Ich auf jeden Fall, denn auf den ersten Blick sieht es aus, als ob die Expertise und langjährige Erfahrung von Designer:innen ersetzbar geworden wäre. Templates, die dem Zeitgeist entsprechen, reproduzieren x-fach genau die Gestaltungsformen, die gerade en vogue sind. An der Berufsehre gepackt fühlt sich das ziemlich enttäuschend an. Waren die langen Jahre des Ausprobierens und Erfahrung Sammelns umsonst? Sicher nicht.
Und deshalb möchte ich gerne einen Schritt zurücktreten und reflektieren, was es mit den Daten in der Markenkommunikation eigentlich auf sich hat, welchen Einfluss sie auf die Ästhetik haben und an welcher Stelle sie sogar Potenziale freisetzen.
Was ist „gutes Design“?
Wenn wir von Design sprechen, dann ist ein wesentlicher Aspekt, den alle Designer:innen bis in die Haarspitzen verinnerlicht haben, die Zweckmäßigkeit. Design ist dann gut, wenn es losgelöst von subjektiven Ansichten funktioniert und den angedachten Zweck erfüllt. Besonders deutlich wird das im Fall von Markenkommunikation auf Social Media: Die Aufmerksamkeitsspanne ist extrem kurz, weshalb das oberste Ziel ist, das Weiterscrollen für einen Moment zu unterbrechen. Sicherlich ist es nicht nur die Visualität, die das Interesse weckt, gerade hier sind Inhalt und Gestaltung sehr eng miteinander verknüpft. Die beiden Elemente müssen gemeinsam gedacht werden, denn der beste Inhalt hat keine Chance auf Erfolg, wenn die Gestaltung schon verhindert, dass Aufmerksamkeit entsteht.
Wir bewegen uns also in einem sehr objektiven Umfeld, das die Unterscheidung zwischen „erfolgreich“ und „nicht erfolgreich“ einfach macht und das somit tatsächlich prädestiniert ist für einen dateninspirierten Design-Ansatz. Durch gezielte Recherche und den Blick auf Datenbanken, wird der Erfahrungsschatz der Designer:innen angereichert, die Daten liefern dann die Inspiration für die späteren Kreationen. Schließlich können dann die dateninspirierten Designs in A/B/C-Tests nach der jeweils besten Performanz untersucht und weiter optimiert werden, beispielsweise durch das gezielte Monitoring aller relevanten Parameter wie Farbwahl, Typografie oder Bildsprache. Dabei kommt es manchmal auf die kleinsten Unterschiede an. Beispielsweise eine kleine Veränderung der Farbfläche bzw. der Farbwahl, den Austausch des Fonts oder eine Änderung der Gewichtung im Text-Bild-Verhältnis. Ein wertvoller Tipp für Designer:innen: Weniger ist mehr. Die zuverlässigsten Ergebnisse entstehen, wenn statt aller Parameter auf einmal nur einzelne Unterschiede getestet werden. Zusätzliche Insights lassen sich dann durch weitere Testszenarien besser abbilden. In diesem Zusammenhang können auch Trends durch die Datenanalyse besser beobachtet und ausgewertet werden. Das Digitale ermöglicht eine besonders schnelle Anpassung der Designs, entweder entlang der Trends oder auch bewusst in entgegengesetzter Richtung. Hier lohnt es sich, virtuelle Spielräume zu erkunden. Oder auch das ständige Nachjustieren, um Trends gerecht zu werden und schnell zu reagieren, wenn sich die Ästhetik verändert.
Was ist gerade „schön”?
Stichwort Ästhetik. Auch an dieser Stelle sind die sozialen Medien ein gutes Beispiel, ja sogar Ursache und Folge zugleich. Durch die enorme Bilderflut ist die Ästhetik schnelllebiger geworden. Trends, ausgelöst durch die ständig erneuerten technischen Features der sozialen Netzwerke, entstehen in kurzer Zeit, entfalten eine zum Teil durchschlagende Wirkung und sind dann möglicherweise schon einen Moment später nicht mehr relevant. Tatsächliche Trendsetter lassen sich im Dickicht der neuen, auch internationalen Einflüsse, nur noch schwer ausmachen. Die Masse nähert sich – auch durch die Eingangs erwähnten Tools und Anwendungen – schnell aneinander an, aus der Gleichförmigkeit resultiert eine gewisse Langeweile. Das ist aber auch eine Chance, denn aktuell werden wenig Experimente gemacht. Und das, obwohl sie sich ganz besonders lohnen würden! Denn gerade weil die Masse so homogen ist und trotz des Stroms an Neuem keine Besonderheiten bietet, zahlen sich mutige Schritte aus. Wer die Gestaltung bewusst entgegen der aktuell vorherrschenden Trends anlegt, kann Sichtbarkeiten durch die Andersartigkeit ganz erheblich erhöhen.
Und hier kommen wieder die Daten und der Erfahrungsschatz der Designer:innen ins Spiel: Wer in der Lage ist, mit Likes und Shares, Datenbanken und Tabellen umzugehen und diesen zusätzlichen Input in die Gestaltung einfließen zu lassen, der ist durch kein Tool dieser Welt ersetzbar. Kreativität wird durch die solide und nachweisbare Basis von Grundannahmen nicht verhindert, sondern auf ein höheres Niveau gehoben. Statt nur auf Bauchentscheidungen und möglicherweise persönlichen Präferenzen, fußt die Gestaltung dann auf Fakten, die angereichert werden können.
Was entsteht, ist einerseits gutes Design im Sinne der Wirksamkeit und andererseits ein Design, das alle verfügbaren Informationsquellen in die Kreation mit einbezieht und somit von den richtigen Menschen als ansprechend empfunden wird.
Und jetzt?
Ich traue mich deshalb zu sagen, dass gute Designer:innen durch die Nutzung von Daten noch besser werden. Sie können ihre Kreationen schnell testen und so sehen, welche Posts besonders performant sind. Selbstverständlich können sie auch Templates nutzen und sich einen Vorsprung verschaffen. Diese also weiterentwickeln, darauf aufbauen und Zeit sparen. Nun stellt sich die Frage, ob auch schlechte Designs besser werden, wenn sie dateninspiriert entstehen. Ich sage: Ja, aber. Wenn die Designs beispielsweise nicht der Zielgruppe entsprechen oder nicht die richtige Typografie nutzen, dann sind sie im Sinne der Funktionalität schlecht, weil sie nicht die gewünschte Wirkung haben. Diese Entwürfe dann gegeneinander zu testen und den sprichwörtlich „Einäugigen unter den Blinden“ zu finden, führt natürlich zu einem per se besseren Ergebnis. Doch trotzdem bleibt die Kreativleistung, die eben auch Analyse, Recherche, Herleitung und noch so viel mehr beinhaltet, offen.
Ich will deshalb alle Designer:innen dazu ermutigen, keine Angst vor den Risiken und Nebenwirkungen unseres immer digitaler werdenden Arbeitsumfelds zu haben. Tools und Daten beschneiden in gewissen Teilen die Arbeit von Designer:innen. Je leistungsfähiger diese Anwendungen werden, desto größer wird der Einfluss. Wenn wir die Möglichkeiten aber für uns nutzen und sie richtig einsetzen, werden Designer:innen ihre Expertise noch besser einsetzen können, noch treffendere Kreationen entstehen lassen und schließlich unersetzbar sein.
Zu Anna-Laura Schiller
Anna-Laura Schiller ist passionierte Art-Direktorin und hat 15 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Markenidentitäten, Kommunikationskonzepten, Kampagnenentwicklung und Social Storytelling.
Bis 2018 war sie bei Glossybox als Global Creative Director verantwortlich für die weltweite visuelle Kommunikation und Ausrichtung der Marke.
Als Art-Direktor hat sie für Marken wie Hugo Boss, Joop, Bugatti Fashion, Mercedes Benz und den Axel-Springer-Verlag visuelle Konzepte und Kampagnen entwickelt. Anna-Laura unterstützt zahlreiche Start-ups im Aufbau und in der Entwicklung ihrer Markenidentitäten. Zu den Bereichen zählen 360-Grad-Kampagnen, Corporate-Design-Entwicklung, Editorial-Design, Packaging Design, Produktdesign, sowie Social-Storytelling-Design.
2020 gründete Anna-Laura zusammen mit Kerstin Schiefelbein Cobranded Studio. Eine Agentur für dateninspiriertes Social Storytelling Social Media Marketing. Das Team entwickelt reichweitenstarke Social Branding Konzepte für namhafte Kunden.
Im Vordergrund ihrer Arbeit steht immer ein ganzheitlich gedachtes Konzept, das visuell perfekt auf die Zielgruppe abgestimmt ist. Anna-Laura legt großen Wert auf eine ansprechende, ästhetische Umsetzung ihrer Projekte. Dabei treten persönliche Vorlieben und Geschmack in den Hintergrund – wichtig ist die gute Performance einer Gestaltung.
Bilder Cobranded Studio
1 Kommentare
Rainer Mauch
Dear Anna-Laura,
i like Design, yes of course.
One thing should be clear in my opinion: Design should be more than “Media Design”.
I’ am an outstanding, so called “Designer”.
A Challenge:
How can we design to create a world of media, objects an so on,
with the tools you mentioned, to create a surrounding which is worth to use ?
— Our Master & benchmark here should be “Nature”.
RaMa