Diese fast vier Kilo wiegende Gesamtschau von sieben Dekaden des angewandten zweidimensionalen Gestaltens reicht vom späten 19. Jahrhundert bis zum Beginn des Wirtschaftswunders.
Die Ursprünge des Grafik Designs liegen im Zusammenführen von druckbaren Bildern und dem Schriftsatz mit losen Lettern. Beide Techniken erfuhren seit ihrer Erfindung bzw. Verbreitung um 1450 umwälzende Entwicklungen. Die sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts dynamisierende Industrialisierung ließ den Bedarf an gewerblichen ‘Akzidenz’-Druckprodukten anwachsen. Der, indes viel zeitaufwendiger produzierende Kupferstecher konnte für aufwendiger gestaltete Druckaufträge seine frei gestaltbaren illustrativen oder zierenden Elemente beisteuern. Dass um 1815 eine Londoner Schriftgießerei großformatige, teils verspielt gestaltete Stencils vorstellte, sollte der Gestaltung von Plakaten einen kreativen Schwung verleihen. Entscheidende kreative Impulse gingen von Nordamerika aus, wo man sich anders als in Europa, nicht von der Tradition einschränken ließ.
In den ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa aufkommenden Kunstakademien etablierte sich neben der kunstgewerblichen Produktgestaltung auch die Druckkunst.
Der beeindruckende Wälzer präsentiert auf fast 500 durchgehend vierfarbigen Seiten die Entwicklung des Metiers von frühen Plakatgestaltungen über die ersten Werbeanwendungen, Firmen- und Markenzeichen, Verpackungen bis hin zum Editorial Design. In einem einleitenden Essay zur ‘Vorgeschichte des Grafik Designs’ analysiert der Grafikprofessor und Typograf David Jury die Ursprünge des Berufes und die Entwicklung der Drucktechnik. Die Technik der Lithografie, als Vorläuferin des Offsetdruckes erlaubte die vielfarbige Vervielfältigung der aufblühenden Kunst der Illustration. Die Kompetenzen der Vervielfältigung von Bildern und Text integrierten sich zusehends im Druckgewerbe und wurden von der sich schnell entwickelnden Werbeindustrie aufgegriffen und zur Promotion der explodierenden Warenproduktion in Zeitungen, auf Plakaten und Verpackungen genutzt. Der verkaufsentscheidende Beitrag des Grafik Designers ließ sich schließlich so überzeugend verkaufen, dass sich ein eigenständiges Berufsbild emanzipieren konnte.
In chronologischer Reihenfolge flutet das Buch den Leser mit mehr als 2.500 ikonischen grafischen Arbeiten aus aller Welt, von denen 71 detailliert untersucht werden. 61 Grafiker, darunter die Jugendstil-Ikone Alfons Mucha, der für das Grafische Erscheinungsbild der Londoner ‘Tube’ verantwortliche Edward Johnston, der konstruktivistische Architekt, Maler und Typograf El Lissitzky, der durch seine Fotomontagen bekannt gewordene Schweizer Herbert Matter, Saul Bass mit seiner markanten Formensprache und der Art Déco-Plakatkünstler A. M. Cassandre werden vorgestellt.
Zu jeder Dekade werden auch die jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen dargestellt vor deren Hintergrund sich die Stile, Arbeitsweisen und Anwendungen entstehen konnten und entwickelt haben.
Jens Müller kuratiert zwischen den Kapiteln eingestreute Themenschwerpunkte wie “Plakate aus dem Zweiten Weltkrieg” oder “Humor in der Grafik”.
Ein zweiter Band des ambitionierten Nachschlagewerkes, auf dem man schon gespannt sein darf, soll von 1960 bis ins Heute reichen.
Geschichte des Grafikdesigns. Band 1, 1890–1959
Hardcover, 24,6 x 37,2 cm, 480 Seiten
50,-€
ISBN 978-3-8365-6307-9
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
ISBN 978-3-8365-7081-7
Mehrsprachige Ausgabe: Englisch, Italienisch, Spanisch
1 Kommentare
kinogucker
Grade ist Band 2 erschienen: https://meinkunstbuch.wordpress.com/2018/10/31/geschichte-des-grafikdesigns-band-2-1960-bis-heute/