Heute sind digitale Produkte und Services nachhaltig und zugleich optimal im Hinblick auf die Nutzererfahrung zu gestalten. Sustainable User Experience (SUX) ist der Schlüssel zum Erfolg.
Was haben Carsharing-Anbieter wie Share Now und Flinkster oder Secondhand Online-Shops wie Vinted und Back Market gemeinsam? Sie alle basieren auf Geschäftsmodellen, die Nachhaltigkeit und Digitalisierung parallel realisieren und dabei auf eine optimale User Experience setzen. Sie zeigen uns, dass digitale und nachhaltige Lösungen viel Potenzial haben – im besten Fall für Menschen gemacht, dabei umweltschonend und aus ökonomischer Sicht sinnvoll, effizient und lohnend.
Doch es müssen nicht immer die großen Sprünge und innovative Geschäftsmodelle sein: Auch bei der Gestaltung digitaler Produkte und Services lässt sich der CO2-Fußabdruck reduzieren. Und zwar mit Sustainable User Experience, kurz SUX.
Weniger ist oft mehr, wenn es um die Umwelt geht
Es ist kein Geheimnis, dass eine Webseite schneller lädt, wenn die Datenmenge gering ist. Doch gerade Bilder, Videos und Animationen im Web oder Ansätze des Spatial Computing verbrauchen aufgrund ihrer Dateigröße viele Ressourcen, die wiederum CO2-Emissionen verursachen. So erzeugt etwa die Webpräsenz des Ökostromanbieters Lichtblick laut CO2 Emissionsrechner für Websites nur 0,27 Gramm CO2 pro Besuch. Im Vergleich dazu kommt die Homepage des Konkurrenten RWE auf ein Vielfaches. Oft sind es vermeintliche Kleinigkeiten wie klare visuelle Texthierarchien, grafische Strukturierungen von Inhalten und der Einsatz von Bildern, die den Unterschied ausmachen.
Keine Frage: Immersive Erlebnisse, Videos, 3D – digitale Produkte und Services lassen sich im Sinne der CX aufladen, personalisieren und bis ins kleinste Detail optimieren. Dann erfordern sie aber rechenintensive Prozesse. Einerseits streben wir eine menschenzentrierte Digitalisierung an, also eine Human Experience, mit einer optimalen, individuellen CX. Andererseits besteht die Herausforderung darin, dass diese nicht im Widerspruch zu einer nachhaltigen UX steht. Es gilt, ein Maß an Medieneinsatz, Personalisierung und Individualisierung von Erlebnissen und Services zu finden, das unsere Gesellschaft und die Umwelt schont.
Während früher eine möglichst lange Verweildauer als Metrik für eine gute CX entscheidend war, muss heute – im Sinne einer optimalen SUX – theoretisch gelten: Je schneller ein/e User:in die gesuchten Inhalte findet und somit kürzer auf der Seite ist, umso besser. Dafür gilt es im Hinblick auf das Nachhaltigkeitsmanagement auf Unternehmensseite neue Parameter sowie KPIs zu definieren, was eine gute SUX ausmacht. Nachhaltigkeit muss also bereits auf Projektebene integriert werden. Doch welche Designparameter und Faktoren, die ein adäquates Nutzererlebnis gewährleisten, spielen bei SUX eine Rolle?
Green Nudgets: Nachhaltigkeitsverhalten anregen
Um Menschen nicht zu überfordern, können Anstöße – so genannte Green Nudgets – helfen, die ein bestimmtes, nachhaltiges Verhalten zu fördern. Nudges sind Gestaltungselemente, die Nutzer:innen bei Entscheidungen unaufdringlich in eine bestimmte Richtung lenken. Dabei geht es nicht darum, Menschen zu bevormunden, sondern ihnen die Entscheidung schmackhaft zu machen. Die Suchmaschine Ecosia beispielsweise pflanzt für jede Suchanfrage einen Baum und hebt nachhaltige Suchergebnisse mit einem Blatt-Symbol hervor. Auch viele Onlineshops setzen auf Green Nudgets: Bei Avocadostore beispielsweise können Nutzer:innen aus vielen nachhaltigen Kriterien und Labels auswählen und danach gezielt filtern. Richtig eingesetzt regen Green Nudges Nutzer:innen zu besseren Entscheidungen an, z.B. indem nachhaltige Optionen per Default angeboten werden.
Nachhaltigkeitsfeatures im UI-Design
Bei der Gestaltung digitaler Produkte gilt es heute, vorausschauend zu planen und – zum Beispiel durch den Einsatz von Designsystemen – modularer zu gestalten, so dass sie auch nach Jahren noch ohne großen Zusatzaufwand erweitert werden können.
Energieintensive Bildformate wie PNGs und Videoformate oder überflüssige Features wie Infinite Scrolling und Autoplay sind zu vermeiden. Wenn möglich, sollten Bilddateigrößen reduziert und stattdessen Vektorgrafiken verwendet werden.
Auch bei der Wahl der Schriftart kann Energie gespart werden. Systemschriften laden in der Regel schneller als individuelle Schriften. Es gilt also abzuwägen, ob es im Sinne des Markenerlebnisses eine individuelle Schrift sein muss oder ob es auch eine nachhaltigere Systemschrift sein kann.
Dark Mode oder tendenziell dunklere Designs gelten als energieeffizient. OLED-Bildschirme benötigen weniger Energie, um Inhalte darzustellen, und erwärmen sich nicht so stark, da weniger Pixel beleuchtet werden. Außerdem ist der Dark Mode schonender für die Augen.
In Summe gilt es, die Sitearchitektur nicht nur aus Performance-Perspektive, sondern auch vor dem Hintergrund des notwendigen Ressourceneinsatzes zu denken und zu gestalten. Dabei können zugleich moderne Ansätze der Webarchitektur eine wichtige Rolle spielen.
Inklusive KI als Sustainable User Experience-Treiber
KI kann viel Zeit sparen, automatisieren und Kreative effizienter machen. Schließlich werden Standardtätigkeiten von UX-Designer:innen künftig von performanten KI-Tools übernommen. Aber: KI verbraucht auch sehr viel Energie – vor allem Strom und Frischwasser.
Unternehmen müssen daher einen Weg finden, die Vorteile von KI so einzusetzen, dass sie zur Verbesserung der Nachhaltigkeit beitragen. Dabei spielt auch die Dimension der sozialen Nachhaltigkeit eine Rolle. Bei der „inklusiven KI“ geht es darum, digitale Inhalte einem breiten Publikum zugänglich zu machen, indem Sprach- und Zugangsbarrieren überwunden werden. Damit entsteht ein nahtloses Erlebnis für Nutzer:innen mit unterschiedlichen Bedürfnissen.
Technologie, Nachhaltigkeit und Nutzerzentrierung stehen folglich nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sorgen für einen optimalen Einklang – in jeder Nachhaltigkeitsdimension. Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit zu einer strategischen Notwendigkeit für Unternehmen. Dies erkennen auch Unternehmenslenker:innen, deren Geschäftsmodell nicht per se auf Nachhaltigkeit basiert und die noch am Anfang ihrer Nachhaltigkeitsbemühungen stehen.
Jan Portz ist Executive Creative Director bei Triplesense Reply.
Gemeinsam mit Dr. Oliver Bohl, der die Geschäfte von Triplesense Reply führt, gestaltet er innovative digitale Produkte und Services, die eine holistische und nachhaltige Customer Experience gewährleisten.
Bildquelle: Triplesense Reply
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