Prof. Johannes Kiessler, Leiter des Studiengangs „Innovation Design Management“ am Potsdamer „UE Innovation Hub“ der University of Europe for Applied Sciences gibt Impulse welchen Beitrag Behavioral Design in politisch-gesellschaftlichen Diskursen leisten kann – zum Beispiel zur Steigerung der Impfbereitschaft.
Herr Prof. Kiessler, McKinsey hat „Design“ einmal so formuliert:
„Design ist der Prozess des Verstehens von Nutzerbedürfnissen durch Erkenntnisgewinnung und Nutzerforschung. Es nutzt iterative Prozesse, um bessere und sinnvollere Produkte, Dienstleistungen und Erfahrungen zu schaffen.“
Wie würden Sie, in eigenen Worten, Behavioral Design beschreiben?
Beim Behavioral Design geht es darum, die Gründe für ein bestimmtes Verhalten (Behavior) von Menschen zunächst zu erforschen und dann durch gezielte Maßnahmen (Design) zu verändern. Dabei gibt es viele Schnittstellen zu den Verhaltenswissenschaften, der Psychologie und den Gesellschaftswissenschaften. Das erste Ziel ist immer, ethisch zu handeln – das bedeutet, Menschen eben nicht zu manipulieren, sondern ihnen Strategien anzubieten, mit ihren Problemen und Ängsten selber fertig zu werden.
Donald Norman, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Designtheorie und sog. „Usability-Spezialist” beschäftigte sich u.a. mit dem Zusammenspiel von Emotionen und Design. Ihm zufolge sei gutes Design schwerer wahrnehmbar als schlechtes Design, da Ersteres so gut zu unseren Bedürfnissen passt, dass es fast unsichtbar sei. Wie sehen Sie das?
Auch Dieter Rams hat mal gesagt, dass Design so gut sein sollte, dass man es erst gar nicht bemerkt. Damit ist vielleicht gemeint, dass es sich nicht aufdrängen, sondern als selbstverständlich wahrgenommen werden soll. Ich finde, er hat recht – wenn mir jemand sagt, ich hätte einen „Designer-Haarschnitt“, mache ich mir Sorgen, denn das ist nicht wirklich als Kompliment gemeint.
Design ist oft „schön“ anzusehen, sollte es auch einen „größeren“ Auftrag erfüllen? Kann Design das überhaupt leisten?
Schönheit ist extrem wichtig für uns Menschen. Mit Design meinen wir ja nicht nur die oberflächliche Dekoration – die gute Gestaltung unseres Lebensraums ist eine schwere und verantwortungsvolle Aufgabe. Dazu gehören unter anderem Produkte, Architektur, Kommunikation, eigentlich alles, was menschengemacht ist. Die negativen Auswirkungen von schlechtem Design kann man sehen, wenn man sich die Kriminalitätsstatistiken in bestimmten Stadtteilen ansieht, die in unseren Großstädten in den Jahren der Nachkriegsmoderne entstanden sind. Für Adriano Olivetti bestand die Hauptaufgabe von Design und Architektur darin, den Konflikt zwischen Industrie und Menschen aufzulösen; das ist natürlich Utopie, aber ich finde es trotzdem ein interessantes Konzept.
Wie kann Design als Methode und als Strategie zur Schaffung von Innovation und besserer Kundenerfahrungen eingesetzt werden?
Unternehmen bleibt heute gar nichts anderes übrig, als innovativ zu sein. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie schnell sie kreativ sein und neues Wissen schaffen können, das für Menschen relevant ist und deren Probleme löst. Sie müssen flexibel und adaptiv sein, wenn sie nicht den Anschluss an die globale Konkurrenz und den Kontakt zu den Menschen verlieren wollen. Innovation Design kann als Methode Unternehmen bei der Suche nach menschengerechter Innovation, dem Wandel hin zu mehr Flexibilität und der Integration von Kreativität unterstützen.
Kann Behavioral Design Verhaltensänderungen herbeiführen und Einfluss auf gesellschaftliche Debatten nehmen?
Davon bin ich überzeugt! Behavioral Design kann die richtigen Forschungsfragen stellen und vielleicht wertvolle Antworten liefern: Was bewegt Menschen dazu, Verschwörungstheorien zu glauben und sich von der Wissenschaft abzuwenden? Woher kommen die Ängste, der viele Hass und die Kultur der Dummheit? Wo haben wir als Gesellschaft zu wenig getan? Wie können wir die Fliehkräfte stoppen, die die Gesellschaft auseinanderreißt? Erst, wenn wir die Menschen besser verstehen, können wir Verhaltensänderungen bewirken und als Gemeinschaft wieder zusammenwachsen.
Wurde Ihrer Meinung nach alles versucht, um die Gründe der Impfskepsis zu verstehen?
Über die Kommunikation der wissenschaftlichen Fakten allein hat es bisher ja nicht geklappt, genug Menschen in Deutschland zum Impfen zu motivieren. Deshalb sollte man jetzt mit Forschungsansätzen aus dem Behavioral Design bzw. Design for Behavioral Change versuchen, die Gründe für die mangelnde Impfbereitschaft zu verstehen und die Menschen zum Umdenken zu bewegen. Man hat in der wichtigsten „Kampagne“ der letzten Jahrzehnte – der Impfkampagne – schlichtweg unterlassen, was seit vielen Jahren weltweit erfolgreich in der designgesteuerten Innovation angewendet wird: eine tiefgreifende, qualitative Nutzer-Recherche.
Das Impfbeispiel steht hier ja nun aktuell stellvertretend für diverse gesellschaftliche Diskurse. Wie genau kann Behavioral Design hier eine konkrete Rolle spielen?
Ich sehe den Wert des Behavioral Designs vor allem in seinem interdisziplinären Ansatz in der Forschung und den daraus resultierenden Möglichkeiten, unsere Gesellschaft für die Herausforderungen der Zukunft fit zu machen. Es gibt ja nicht nur die Pandemie, sondern auch noch den Klimawandel, die Zerstörung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen, die Auswirkung von künstlicher Intelligenz und Technologie auf den Arbeitsmarkt, die Globalisierung, und viele andere Probleme. Wir Menschen müssen uns die entsprechenden Lösungen schon selbst liefern – das nimmt uns niemand ab!
Zur Person:
Prof. Johannes Kiessler lehrt seit 2017 Innovation Design Management am UE Campus in Berlin und Potsdam. Nach seinem Studium Industrial Design und Marketing arbeitete er als Industriedesigner für Michele De Lucchi in Mailand und machte sich mit dem Unternehmen Designkoop selbstständig. Heute berät er Unternehmen hinsichtlich Produktdesign, Designmanagement und Strategie, designt Leuchten und ist Träger zahlreicher Auszeichnungen wie u.a. dem Reddot Award, Award of Excellence, Good Design Award.
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