Mit Positive Design zu besseren Produkten und neuen Business Opportunities – Unsere Besitztümer wachsen uns buchstäblich über den Kopf. Das zeigt sich unter anderem im Boom sogenannter Self Storage-Spaces. Allein in Berlin sind in den letzten Jahren dutzende solcher Lagerhäuser entstanden, in denen das überschüssige Hab und Gut Tausender darauf wartet, doch noch einmal gebraucht zu werden. Spätestens die monatliche Abrechnung der Lagerkosten macht klar: Einfach nur „mehr“ zu haben, ist weder gut für unser Konto, noch für die Umwelt oder unser Wohlbefinden.
Aufgabe von Design muss daher sein, Dinge zu gestalten, die einen echten Mehrwert für die KonsumentInnen schaffen. Dinge, an denen die Menschen lange Freude haben, die ihnen wichtig sind. Dinge, die ihre körperliche wie geistige Zufriedenheit steigern und ihnen helfen, ein gutes Leben zu führen. Dies ist das zentrale Designziel von Positive Design: Design, das glücklich macht.
Design als Glücksforschung
Der britische Verhaltensforscher Paul Dolan bezeichnet Glück als „experiences of pleasure and purpose over time“. 1
Anhand dieser Definition lassen sich drei übergreifende Gestaltungsprinzipien für Positive Design illustrieren, die verdeutlichen, wie sich Positive Design von anderen Gestaltungsansätzen unterscheidet. Erstens: Erlebnisse stehen im Mittelpunkt. Diese sollen durch Design unterstützt werden. Zweitens: Es geht hierbei nicht nur um praktische oder freudvolle Interaktionen und Erlebnisse, sondern auch um persönlich bedeutsame. Und Drittens: Kurzfristige Wow-Effekte sind zwar schön und gut. Wer für Wohlbefinden gestalten will, muss jedoch nachhaltige Effekte erzielen. Wie also schafft man solche Produkte?
Dinge, die unser Wohlbefinden steigern, unterstützen psychologische Faktoren wie Verbundenheit, Selbstbestimmtheit und Kompetenz auf mindestens eine der folgenden vier Arten2).
- Produkte werden zur Quelle unseres Wohlbefindens. Sie verkörpern eine besondere Ästhetik oder laden zu spielerischer Interaktion ein. Diese Rolle können zum Beispiel ein besonderes Möbelstück oder auch das geliebte Fahrrad einnehmen. Der Glücks-Effekt ist jedoch von eher geringem Umfang und kurzer Dauer zu erwarten.
- Produkte als Symbole. Das Souvenir aus dem Marokko-Urlaub oder das besondere Geschenk der besten Freundin können in diese Kategorie fallen. Der materielle Wert eines Gegenstandes steht dabei nicht im Vordergrund.
- Produkte als Coaches. Manche Dinge helfen uns dabei, das Leben zu führen, das wir führen wollen. Beispielsweise motivieren uns Meditations-Apps oder Fitnessarmbänder, unsere körperliche und geistige Gesundheit zu verbessern.
- Produkte als Befähiger. Dinge können positive Erlebnisse überhaupt erst ermöglichen – ohne Surfbrett kann man nicht surfen.
Es sind insbesondere Produkte der letzten drei Kategorien, die das größte Wohlbefindens-Potenzial versprechen – Dinge als Ressourcen für Glück. Denn für Produkte gilt, was auch für Geld wahr ist: Allein durch ihren Besitz wird man nicht dauerhaft glücklich. Wenn man sie hingegen als Mittel für wertvolle Erlebnisse einsetzt, können sie eine besondere Bedeutung für den Einzelnen erlangen.
Positive Design als zukunftsfähiger Innovationstreiber
Produkte, die nach dem Positive Design-Ansatz gestaltet sind, haben aufgrund ihrer individuellen Rolle für den Besitzer oder die Besitzerin eine höhere Nutzungsdauer als Dinge, die lediglich der kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung dienen. Auf den ersten Blick steht das im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Interessen gewinnorientierter Unternehmen. Auf den zweiten Blick bietet Positive Design einen nicht zu unterschätzenden, auch ökonomischen, Vorteil: Es ermöglicht echte Innovationen und damit echte Differenzierung.
Produkt- und Interaktionsdesign waren in der Vergangenheit primär darauf ausgerichtet, Nutzerprobleme zu lösen. Innovationsprozesse starten standardmäßig mit der Problemdefinition. Und hier liegt eine entscheidende Schwachstelle des Vorgehens. Es lässt häufig nur sehr inkrementelle Verbesserungen zu. Den ganz großen Wurf schafft man durch die Behebung von kleineren funktionalen oder technichen Fehlern in aller Regel nicht.
Der Positive Design-Ansatz wagt einen Perspektivwechsel. Statt auf direktem Weg zu versuchen, etwaige Nutzerprobleme zu lösen, sucht der Ansatz nach Möglichkeiten, durch Produkte positive Erlebnisse zu gestalten, die einzelnen NutzerInnen und der Gesellschaft einen bedeutsamen Mehrwert schaffen. Es geht darum, für Emotionen, Ziele, Werte, ja sogar Tugenden zu gestalten 3). Dadurch ergeben sich ganz neue Lösungsräume für Innovation.
Der technologische Fortschritt ist rasant. Produkt-bezogene Anforderungen von NutzerInnen werden sich folglich ebenfalls stetig verändern. So kann es schwierig sein, die Zukunft zu prognostizieren und für sie zu gestalten. Was sich jedoch weniger schnell (falls überhaupt) verändern wird sind grundlegende, menschliche Bedürfnisse. Diese als Fundament eines Designprozesses zu verstehen kann eine nachhaltigere Strategie sein, auch für ungewisse Zukunfts-Szenarien zu gestalten.
Nutzen über die Nutzung hinaus
Produkte und Dienstleistungen müssen nicht perfekt sein, um unser Wohlbefinden dauerhaft zu steigern. Im Optimalfall verzeihen KundInnen sogar Fehler, wenn sie mit einem Produkt positive Erlebnisse verbinden.
Nehmen wir etwa Microsoft Teams. Ein Tool, dass Millionen Menschen im vergangenen Jahr besonders zu schätzen gelernt haben – trotz stockender Videoübertragungen und teils wackliger Audioqualität. Teams ist ein gutes Beispiel dafür, dass es bei Innovationen nicht ausschließlich um technische Perfektion gehen muss und kann. So kann etwa Microsoft das Problem der mangelhaften Verbindungsqualität nicht lösen, weil es in der Regel in der Internetverbindung der NutzerInnen begründet liegt. Stattdessen hat man nach Möglichkeiten gesucht, die Nutzung von Teams zu einem besseren Erlebnis zu machen. Mit dem Ergebnis, dass künftig Funktionen in die Anwendung integriert werden, die das ‚Digital Wellbeing‘ erhöhen sollen. NutzerInnen können sich dann etwa mit ExpertInnen für Meditation und Entspannung vernetzen oder einen virtuellen Arbeitsweg planen.
Die systematische Suche nach Glück
Innovationsprozesse beschäftigen sich viel zu oft mit dem Lösen von Scheinproblemen. Positive Design rückt stattdessen menschliche Erlebnisse in den Fokus. Dieser Ansatz beschreibt folglich eine neue Art, Innovationsprozesse systematisch zu beschreiten und Menschen langfristig glücklicher zu machen.
Quelle:
1) Happiness by Design, Dolan, 2014
2) Design for Hapiness, Pohlmeyer 2012
3) From Good to the Greater Good, Pohlmeyer & Desmet, 2017
Über die Autorin
Dr. Anna Pohlmeyer ist Senior Experience Researcherin bei diffferent und eine der PionierInnen und führenden Wissenschaftsstimmen im Bereich Positive Design. Sie fungierte acht Jahre lang als Ko-Direktorin des Delft Institute of Positive Design an der TU Delft und ist Board Member der Design Research Society Special Interest Group on Design for Wellbeing, Happiness and Health.
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