Der Aufschrei war so facettenreich wie das neue Erscheinungsbild des Chemie- und Pharmakonzerns Merck. Das Darmstädter Traditionsunternehmen hat vor wenigen Tagen sein neues Corporate Design der Öffentlichkeit vorgestellt – und bei Mitmenschen und Fachleuten unterschiedlichster Couleur vor allem eines hervorgerufen: ein Fragezeichen.
Gute Leitidee, schrille Umsetzung
Bei aller Häme für das bunte Rebranding des Pharma-Riesen sollte man aber Folgendes unter die Lupe nehmen: Die Grundidee, also sich von der unbekannten Welt unter einem Mikroskop inspirieren zu lassen, ist gut: Nur wird man den Eindruck nicht los, dass irgendwie die Chemie nicht stimmte. Denn die Agentur Future Brand setzte den Auftrag, ein unverwechselbares Corporate Design zu schaffen, einfach so um, dass man ein ständig wechselndes CD kreierte. Klar, dass so etwas in der Branche niemand hat. Viele werden sagen, zu Recht.
Konsistent variabel
Das eigentliche, offizielle Logo wirkt gegen die ausgearbeiteten Varianten des „M“ fast schon bieder. Schließlich werden hier die zehn neuen Branding-Farben kunterbunt durcheinander gemischt und in verschiedene Formen gegossen. Das Problem ist dabei aber wohl: Es ist eben nicht mehr das „M“, das der eigentliche Eyecatcher ist, sondern die vielen konkurrierenden Elemente des sich ständig transformierenden Letters. Man kann spontan den Eindruck haben, dass sich jeder seinen Favoriten aussuchen soll. Nur zu:
Vorsicht: B2B-Zielgruppe
Vergessen darf man hier aber nicht, dass Merck nicht mit Endkunden spricht, also die Kommunikation (auch die der neuen Wort-Bild-Marke) nicht für „den Laien“ geeignet sein muss. Im Gegenteil: Wenn der Experte in den verschiedenen Formen und Farben des Erkennungszeichens seinen speziellen Fachbereich oder beispielsweise typische chemische Strukturen wiedererkennt (und ihm das auch noch hilft), ist das okay. Der springende (Farb-)Punkt ist aber die bunte Gestaltung: Es darf bezweifelt werden, ob sich das Fachpublikum gern in diese bunte, neue Welt von Merck entführen lässt. Hinzu kommt, dass der (bei Merck selbst gezogene) Vergleich mit Google und Apple unangebracht ist: Denn beide Weltunternehmen kommunizieren mit einer klaren, eindeutigen Formen- und Farbensprache. Obendrein: Das berühmte Apple-Logo, sämtliche Produkt-Icons und -Schriftzüge kommen monochrom daher – mit einem schwarzen M.
13 Kommentare
Jo Pabst
Ganz große Klasse! Eine wunderbar klare, stimmige Idee und eine genauso mutige und moderne Form für Merck. Diese CI Arbeit beweist, wie stark und werthaltig das Design für Unternehmen sein kann. Wie trist und falsch würden wir ohne dieses neue Design über Merck denken?
In der Fachwelt darf jeder auch anderer Meinung sein. Der Artikel beweist jedenfalls wieviele (im Sinne des Unternehmensverständnisses) zielführende Gedanken dieses neue Design auszulösen vermag. Chapeau!
Kritzelkopf
Irgendwie eine tolle Idee und ich respektiere den Mut. Viel zu viele Unternehmen trauen sich nicht in Sachen Gestaltung mal was zu riskieren und orientieren sich dann lieber bei anderen, wie Apple, anstatt was eigenes zu kreieren.
Aber warum hat man nicht einfach eine vernünftige Schrift genommen? Wenn das “Innenleben” des Ms schon so unruhig ist, hätte man doch wenigstens bei der Typo klarere Linien finden können.
christian pk
Da ist ein weiterer Ausbruch aus den doch so schön klaren CI-Regeln – zig Farben und Formen unter einem CI-Dach? Ich glaube hier eine Entwicklung zu erkennen: In den vergangenen Jahren ist vom kleinen Handwerker bis zum Industriedesigner das CI-Denken eingeschraubt worden. Bis zum gewissen Grad natürlich absolut richtig. Aber oft wirken sich CI-Regeln eher als Korsett aus, als das sie die grafische Kommunikation besonders in Betracht auf die Kreativität bereichern. Firmengesichter bei Automarken zum Beispiel halte ich ebenfalls für absolut überbewertet. Bei VW zum Beispiel kann ich die Modelle von vorne bereits heute nicht mehr unterscheiden – Bravo!
Ich empfinde die Entwicklung bei Merck also als durchaus positiv, auch wenn sie den Firmen-CI Hüter wahrscheinlich Fieberschübe bereitet. Aber davon mal ab – wirklich schön ist auch anders – ähnlich wie mein Vorredner empfinde ich die sehr wilde Typo mit der ebenso verrückten Füllung für etwas zu viel des Guten – wohlgemerkt des “Guten”.
Sascha
Sorry.
Einen derartigen Griff ins Designerklo für einen Weltkonzern hab ich noch nicht erlebt.
Leitidee prima, da hätte man ein feines feines Bildkonzept draus machen können – aber das hier ist “Corporate Identity Thema verfehlt´”.
Ich hoffe mein ehemaliger Darmstädter Design-Professor bekommt darüber keinen Herzinfarkt…
Marion
Eine Mischung aus Barbapapa und Milka-Kuh?
GODFEELSBAD
Zur Diskussion steht nicht das Konzept als solches, sondern die visuelle Umsetzung. Es erfordert Mut aus seinem CI auszubrechen und sich einer Revolution zu unterziehen.
Was wir hier sehen ist leider eine in sich unharmonische Typografie des Logos und eine Überladung der Anforderungen daran. Befreit man die Farben und Formen aus dem Logo und formt daraus ein flexibles und dynamisches Logosystem, schafft man die nötige Freiheit in Kreation und Umsetzung des Konzeptes. Wer sagt, dass dynamische Logosysteme keinen Wiedererkennungswert schaffen. So hätte eine Evolution der Typografie gereicht, um eine perfekte Mischung aus Tradition und Fortschritt zu schaffen.
Annie
Mutig, klar, harmonisch, innovativ, flexibel, stark? Mag sein, aber es ist einfach grusselig hässlich!
Uta
Das Hauptlogo hat was von Waldorf-Font gekreuzt mit Amöbe. Echt schäbig!
Amino
Tolle Idee, mutige Umsetzung! Ich kann Merck zu seinem Mut nur gratulieren…Geh’ Deinen eigenen Weg. In kurzer Zeit werden andere Dir folgen.
Amino
“… der (bei Merck selbst gezogene) Vergleich mit Google und Apple unangebracht ist…”
Völliger Unsinn. Was heute bei den Logos von Google und Apple ganz üblich und selbstverständlich ist, war ihrerzeit ein Bruch von der Norm. Aber da diese Umgestaltung von einem deutschen Unternehmen kommt, war die Kritik zu erwarten. Hätte ein Pfizer oder GSK Ähnliches unternommen, wären sie von denselben gelobt gewesen worden.
Peter Menzel
Hallo Amino, aus meiner Sicht gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Merck auf der einen Seite und Google und Apple auf der anderen Seite. Und zwar bei der Zielgruppe. Bei Merck dürfte der Fokus klar bei Geschäftskunden liegen, während Google und Apple in erster Linie mit dem Endkunden kommunizieren. “Coolness” und “Poppigkeit” der Marke sind aus der Sicht vieler nicht gerade die Attribute, die ein B2B-getriebener Chemie- und Pharmakonzern haben möchte.
Außerdem hat meiner Meinung nach hat das Ganze gar nichts damit zu tun, dass Merck ein deutsches Unternehmen ist. Warum sollte es? Der Entwurf der Londoner Werber schießt eben in vielerlei Hinsicht übers Ziel hinaus. Man schaue sich nur die vielen Farben und besonders die unleserlichen Schriften an. Wie auch immer, verschiedener Meinung zu sein, macht Gespräche und die Zukunft doch erst spannend.
In diesem Sinne viele Grüße
Peter Menzel
Markus Horn
CI im Unternehmen angekommen.
Leider wird nicht gezeigt, wie alt die Kommentare hier sind. Ich war diesen Monat bei Merck und kann sagen, dass das CI von den Menschen, die dort arbeiten gelebt wird. Fast jeder hat “sein” Merck – M in irgendeiner Form dabei.
Klassische CI-Lehrmeinung oder Mitarbeiter, die sich mit dem Logo identifizieren? Was ist da wichtiger für das Unternehmen?
Con Genial
Ich finde das Logo super.
Etwas erstaunlich ist, dass es der nicht-rechtwinkligen Tradition von Waldorf/Rudolph Steiner, also Weleda stark ähnelt.
Offenbar sollte es auf garkeinen Fall irgendwie medizinisch und sachlich aussehen.
Wie dem auch sei, es ist modern- und das auch noch heute, 2024
Bravo