Nicht nur im kriegszerstörten Berlin stellte man sich nach 1945 die Frage: „Wie werden wir wohnen?“ Die Ausstellung ‘gern modern?’ stellt Ideen und Konzepte für ein Wohnen in der Zeit des Wiederaufbaus vor, die von Gestaltern des Deutschen Werkbundes in der kriegszerstörten Stadt entwickelt wurden. Objekte und Dokumente aus den Werkbund-Sammlungen und zahlreiche Leihgaben zeichnen ein facettenreiches Bild der Werkbund-Initiativen zum Wohnen bis Ende der Fünfziger Jahre. Architekturmodelle und Möbel, Plakate, Pläne und Zeichnungen, historische Fotos und Filme, die sogenannten ‘Schulkisten’ mit Möbelmodellen und ein Baukasten aus der Berliner Wohnberatungsstelle sind zu sehen.
Die Ausstellung ‘gern modern?’ sondiert die deutsche Nachkriegsmoderne und stellt Fragen nach der Bedeutung des Themas ‘Wohnen’ für die Gegenwart. Ein Programm der Plattform ‘D.I.Y. Wohnberatungsstelle’ lässt die Besucher aktiv teilhaben.
Nach dem verlorenen Krieg sah der Werkbund seine Mission im Anregen eines ästhetischen und gesellschaftlichen Neuanfanges. Dass historische Stadtviertel weitgehend zerstört waren, wurde vom Werkbund als Chance zur Umsetzung von schon in den 20er Jahren entwickelten Ideen zum Neuen Bauen und zur Neuen Wohnung begriffen. Die Werkbund-Gestalterin und Mies van der Rohe-Kollegin Lilly Reich nannte es einen „günstigen Augenblick, einer wirklich kulturell hochstehenden Wohnform den Weg zu bereiten.“
In allen Berliner Sektoren bestand enormer Bedarf an Wohnraum, Mobiliar und Alltagsdingen der schnell mittels Normung, Typisierung und Standardisierung in Entwurf und Produktion befriedigt werden musste.
Die „Arbeitsgruppe Innenausbau“ des Berliner Werkbundes hatte zu diesem Zweck neue Möbeltypen entwickelt. Erstmals sind frühe Entwürfe der Bauhaus-Schüler Eduard Ludwig und Herbert Hirche zu sehen.
Im Rahmen der im Sommer 1946 im Berliner Stadtschloss eröffneten Ausstellung “Berlin plant. Erster Bericht” hatte ein Planungskollektiv um den Architekten Hans Scharoun radikale Visionen für ein neues, modernes Berlin präsentiert. Fünf komplett eingerichtete Miniaturmodelle von Montagehäusern aus neuen Kunststoffen, entwickelt von einem Internationalen Komitee für Wohnungswesen aus Vertretern der Alliierten und Mitgliedern der Berliner Werkbundgruppe, erregten großes Aufsehen. Die Häusermodelle trugen Züge der Wohngewohnheiten der Alliierten wie auch Deutschlands und sollten laut Scharoun „zum friedlichen Aufbau der Welt“ beitragen. Das Modellhaus ‘Typ Deutschland’ ist als Nachbau im Originalmaßstab 1:5 zu sehen.
Für ‘Berlin plant. Erster Bericht’ hatte Berliner Magistrat einen Ideenwettbewerb veranstaltet, für den die Berliner aufgefordert wurden, die Zukunft ihrer Stadt mitzugestalten.
Anfang der Fünfziger drifteten die östlichen und westlichen Narrative zum Wohnen ideologisch bedingt auseinander. Wohnausstellungen und Propagandafilme warben für die jeweils gültigen Formeln eines ‘besseren Lebens’. Wie politisch aufgeladen ‘Modernes Wohnen’ damals war, davon zeugen bis heute die an den in Konkurrenz zur Ostberliner Stalinallee errichteten Wohnhochhäuser am Kottbusser Tor und im neuen Hansaviertel, das 1957 als ‘Internationale Bauausstellung’ eröffnet wurde.
Die Musterwohnungen der ‘Interbau’ mit angeschlossener Wohn-und Freizeitberatungsstelle waren ein Höhepunkt der heute fast schon autoritär wirkenden Werkbund-Wohnberatung: Neben Ausstellungen zur ‘Guten Form’ wirkte der Werkbund mit Ratgeberbücher, Lehrmittelkisten für Schulen und kostenlosen „Wohnberatungsstellen“ in mehreren Städten auf die Bürger der jungen Republik ein. Diese Erziehung zu ‘gutem Geschmack’ und ‘richtigem Wohnen’ sollte den Weg zu einer geordneten Lebensgestaltung ebnen.
Die so propagierten ästhetischen-gesellschaftspolitischen Leitbilder wirken bis heute nach, auch wenn der Werkbund sie Ende Sechziger Jahre selbst kritisch hinterfragte.
Aktuell ist die Wohnungsfrage wieder Thema für öffentliche Diskussionen.
Die Workshops, Talkrunden und Vorträge der Plattform D.I.Y. Wohnberatungsstelle bieten dazu ein umfangreiches Begleitprogramm.
Eine Reihe von Projekten adressiert besonders junge Bewohner aus der Nachbarschaft des Museums am Kottbusser Tor: Wie lebt es sich in den Häusern, die mal symbolisch für ein ‘besseres Leben’ standen, sich dann aber zu einem der sozialen Brennpunkte Berlins entwickelten und heute Gegenstand der Gentrifizierung von Kreuzberg und Neukölln sind?
‘gern modern?’ zeigt umfangreiches Material aus eigenen Sammlungen, zahlreiche Leihgaben, u.a. der Akademie der Künste Berlin, der Klassik Stiftung Weimar, den Staatlichen Museen zu Berlin – Kunstbibliothek und Kunstgewerbemuseum sowie aus privaten Sammlungen.
Museum der Dinge ‘gern modern?’ Wohnkonzepte für Berlin nach 1945 noch bis 26. Juni 2017
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