Weltweit leiden etwa 35 Millionen Menschen an Demenz, aufgrund des demographischen Trends einer vor allem in den westlichen Zivilisationen alternden Gesellschaft, mit steigender Tendenz. Damit entwickelt sich das Thema Demenz unter anderem wegen der zu erwartenden Kostensteigerungen zu einem kritischen Faktor für das Gesundheits- und Pflegesystem. Die seit 2014 gültige Gesetzgebung, nach der die ambulante und häusliche der stationären Pflege stets vorzuziehen ist versucht man sich dieser gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Herausforderung zu stellen. Pflegende Angehörige entlasten damit zwar das Pflegesystem, brauchen aber für diese Aufgabe unbedingt Unterstützung. Die aber ist schwer zu finden.

Die Kölner Studentin Simone Fahrenhorst hat in ausführlichen Untersuchungen die Diagnostik der Demenz dokumentiert und die Bedürfnisse aller beteiligten Akteure kartiert. In enger Kooperation mit von Demenz Betroffenen und Angehörigen, Ärzten und Pflegern hat sie Möglichkeiten erarbeitet, wie bestehende Unterstützungsangebote verknüpft und für die pflegenden Angehörigen erschlossen werden können. Die Ergebnisse dieser Zusammenarbeit mündeten in ‘ProMemo’. Als serviceorientierter Demenzbegleiter unterstützt ‘ProMemo’ pflegende Angehörige und soll helfen, die neue Lebensphase zu akzeptieren. Das Programm will durch eine positive Gestaltung der Tabuisierung entgegenwirken und stellt erste praktische Anwendungen zur Bewältigung des Alltags zur Verfügung.

Im aktuellen Entwicklungsstadium ist ‘ProMemo’ als mehrfach getesteter Prototyp zu sehen, der von Probandinnen und Probanden in Pflegesituationen schon sehr positiv aufgenommen wurde. Um diesen vielversprechenden Ansatz weiter zu verfolgen und ProMemo zur Marktreife zu entwickeln, wird ‘ProMemo’ weiterhin getestet, evaluiert und überarbeitet, bevor er als analoger als  auch digitaler Demenzbegleiter verfügbar gemacht werden soll.

Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen und DESIGNBOTE hat nicht vergessen nachzufragen:

Frau Fahrenhorst, Sie wurden für ProMemo mit dem Kölner Designpreis 2015 ausgezeichnet. Was ist ProMemo in drei Sätzen?

“ProMemo ist der analoge Prototyp eines Services für Angehörige von Menschen mit Demenz. Er unterstützt Angehörige dabei die neue Situation zu verstehen, Herausforderungen anzunehmen und vermittelt dabei hilfreiche und praxisnahe Tipps sowie Unterstützung im direkten Umfeld.”

Die Bevorzugung der ambulanten Pflege von Demenzkranken im häuslichen Umfeld entlastet zwar Staat und Versicherer, überfordert aber auch, so ist zu vermuten (bzw. weiß ich aus eigener Erfahrung), die pflegenden Angehörigen. Fürwahr genug Fallhöhe für Forschung und Design zu diesem Thema. Was waren Ihre Motive, sich mit dem Thema Demenz zu befassen?

“Meine beiden Großväter sind an Demenz erkrankt und ich habe miterlebt, wie meine Großmütter unter der zunehmenden Belastung gelitten haben. Demenz ist nach wie vor ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, früher noch mehr als heute. Ich möchte mit ProMemo darauf aufmerksam machen, wie schwierig der Alltag für viele Familien ist, in denen ein Familienmitglied erkrankt ist. Und ich möchte denjenigen, die Pflege leisten Hoffnung machen: Es gibt Unterstützung und Umgangsformen mit noch so ausweglos scheinenden Momenten. Leider sind die Informationen über entsprechende Hilfsangebote für die Angehörigen überhaupt nicht zugänglich – das möchte ProMemo unter anderem ändern.”

Was war die Datenbasis für den Gestaltungsjob und mit wem haben Sie fachlich kooperiert?

“Für die Gestaltung habe ich hauptsächlich qualitative Recherche unternommen. Der Vorteil von qualitativer Forschung ist, dass man das »Warum« hinter möglicherweise quantitativ erhobenen Daten versteht. Dafür habe ich Kongresse und Konferenzen besucht, mit Fachärzten gesprochen, Angebote für Angehörige verschiedener Institutionen besucht, in einem Altenheim auf der Demenz-Station mitarbeiten dürfen und schließlich in Co-Kreation mit Angehörigen von Demenzerkrankten ProMemo entwickelt.”

Welche Zielsetzungen (z.B. mit Blick auf Gestaltung, Medizin, Pflege, sozialen Zusammenhalt etc.) hatten Sie damals für sich
definiert und wie haben Sie diese zu ProMemo werden lassen?

“Meine Arbeit war von Beginn an ergebnisoffen. Zunächst war es wichtig, die verdeckten Bedürfnisse von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen zu verstehen. Nutzerzentrierte Gestaltung beginnt mit einer tiefen Recherche und dem Eintauchen in den Alltag der entsprechenden Nutzergruppen. Daher habe ich selbst keine Vorstellungen gehabt, was am Ende der Gestaltung stehen würde und habe mich von den Menschen, mit denen ich gesprochen habe, leiten lassen. Sie sind schließlich die Experten in diesem Bereich, als Gestalter ist man nur der Mentor am Rande, der dabei hilft die losen Enden zusammenzuführen.”

In welcher Form hilft ProMemo den pflegenden Angehörigen und den von der Krankheit des Vergessens Betroffenen? Haben Sie seinerzeit den Prototypen schon für die Betroffenen verfügbar gemacht?

“Ja klar, der Prototyp ist sogar schon in seiner ersten Ausführung mit pflegenden Angehörigen getestet und iteriert worden. Das Feedback der Angehörigen war elementar um ihn auf den Stand zu bringen, auf dem er heute ist.

ProMemo besteht aus unterschiedlichen Elementen. Zunächst vermittelt ProMemo den Angehörigen wichtiges Wissen über z.B. die verschiedenen Phasen der Erkrankung und hilft ihnen dabei einzuschätzen, wo sie gerade stehen. Viele Angehörige fragen sich, ob es »normal« ist, was bei ihnen zu Hause passiert. ProMemo will hier Angst und Unsicherheit nehmen, indem offen und unverblümt aber dennoch behutsam auf verschiedene Aspekte der Erkrankung eingegangen wird.

Zudem hält ProMemo hilfreiche Tipps und Tricks bereit und unterstützt die Angehörigen ihren Alltag an die neue Situation anzupassen – und das können sowohl Veränderungen in z.B. der Wohnung als auch in der Kommunikation miteinander sein.

Und zu guter Letzt vermittelt ProMemo regionale Unterstützungsangebote und hilft den Angehörigen dabei das Schweigen zu durchbrechen und sich Unterstützung zu holen. Es gibt schließlich bereits einige gute Angebote und Institutionen, an die man sich wenden kann.”

ProMemo sollte, so war der Plan, in Kooperation mit dem ‘Interdisziplinären Demenzzentrum der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Köln’ zur Marktreife entwickelt werden. Wie steht das Projekt heute?

“Nach meiner Abschlussarbeit habe ich sehr schnell eine Stelle als Service Designerin bei IXDS GmbH in München angeboten bekommen – ein Angebot das ich damals nicht ausschlagen konnte bzw. wollte. Daher habe ich mich mit voller Leidenschaft den Projekten dort gewidmet, ProMemo ist dabei leider ein bisschen unter den Tisch gefallen und hat sich daher nicht viel weiter entwickelt. Es steht aber nach wie vor auf meiner Agenda. Immer wieder bekomme ich Anfragen von Privatleuten oder Institutionen – für mich ein Zeichen, dass das Thema nach wie vor eine super hohe Relevanz hat und sowohl Forschung als auch Design sich viel intensiver mit unserem Gesundheits- und Pflegesystem auseinander setzen sollten!”

Letzte Frage: Was macht Simone Fahrenhorst jetzt? Welche/n Gestalter/in sollte designbote.com unbedingt im Auge behalten?

“Ich arbeite in München als Service Designerin und betreibe dafür weiterhin viel qualitative Recherche um Produkt- und Servicekonzepte zu entwickeln, die einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft haben und echte Nutzerbedürfnisse adressieren. Eine der inspirierendsten Gestalterinnen in meinem Umfeld ist Frieda Bellmann aus Berlin; sie ist gerade mit dem German Design Award ausgezeichnet worden für ihre Berliner Pyramide – es lohnt sich auf jeden Fall, Frieda im Auge zu behalten (http://www.friedabellmann.com).”

http://simonefahrenhorst.com/About

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Simone Fahrenhorst

Danke Frau Fahrenhorst, dass Sie Zeit für uns hatten.

Mit Simone Fahrenhorst sprach unser DESIGNBOTE Redakteur Wolfgang Linneweber.