Im Marketing ist aktuell eine interessante Entwicklung zu beobachten: weg von Teilstrategien und dem starren Fokus auf die Kampagne und hin zu einem eher ganzheitlichen (holistischen) Denken in Markenwelten- und -erlebnissen.
Einzigartige, unterhaltsame, und unvergessliche Erfahrungen rund um eine Marke heben diese über die Masse der konkurrierenden Marken hinaus und lassen sie für den Kunden oder Nutzer wichtiger erscheinen.
Der Begriff „Markenerlebnis“ beschreibt alle Erfahrungen, die ein Kunde im Zusammenhang mit einer Marke macht. Die Summe dieser Erlebnisse prägt sein persönliches Markenbild.
Dazu können vor dem Kauf bei sinnlichen Kontakten mit einer Marke gemachte Erlebnisse, (z. B. Ads, Website, Callcenter) ebenso zählen wie Erfahrungen, die im Verlauf eines des Kaufvorganges (z.B. gespeist vom Erlebnis der Lage und Gestaltung einer Filiale, dem Mitarbeiterkontakt, der Produktauswahl) oder auch nach dem Kauf (z. B. die Qualitäten des Produktes/der Leistung, Kundenbetreuung bei Nachfragen oder Problemen) gemacht werden.
An jedem einzelnen solcher Brand Touchpoints im Verlaufe einer Kundenreise (Customer Journey), einem Instrument, das die einzelnen Zyklen, die ein Kunde während eines Entscheidungsprozesses durchläuft detailliert beschreibt, können positive oder auch negative Markenerlebnisse stattfinden.
In gesättigten Märkten, so behauptete die Unternehmerin und Designstrategin Julia Peglow in einem Gastbeitrag auf der TYPO Berlin, müsse die Marke zum Kunden kommen. “Die Werbung in Zeiten selbstfahrender Autos wird radikal anders sein: Dein Lieblings-Sushi-Restaurant lässt dich abholen und zahlt die Fahrt.” Damit kann also die ‘Experience’ selbst zur Marke werden oder ist zumindest auf dem Weg dorthin.
Diese Brand Touchpoints – derer ein Großstadtbewohner an nur einem Tag über 3000 erlebt, wovon aber nur maximal sechs erinnert werden – könnte man als Fenster zur sinnlichen Wahrnehmung der Leistungen und Botschaften einer Marke bezeichnen. Dank dieser typischen Markenfeatures wird erst die Wertschätzung und damit auch die Wertschöpfung aus einer Marke möglich.
Das Markenerlebnis ist sozusagen die Summe der vielgestaltigen Reaktionen des Konsumenten, die durch die von einer Marke ausgehenden Stimuli ausgelöst und mit der Marke assoziiert werden. Solche mit der Marke assoziierten Sinneseindrücke können zum Beispiel für die Marke typische Farben, Formen, Schriftarten, Claims oder sogar Düfte und Geschmäcker sein. Solchermaßen empathisch aufgeladen, werden sie intensiver erinnert als ‘nackte’ Botschaften.
Seine größte Rolle spielt das Markenerlebnis weniger in der Markenstrategie, sondern erst in der ihr nachgelagerten, aus ihr resultierenden Markenimplementierung, Erst nachdem mittels einer Strategie geklärt wurde, für was die Marke und was für die Marke steht, wird das Management der Markenkontaktpunkte und damit das Ermöglichen des Erlebnisses zur wichtigsten Aufgabe. Jetzt gilt es, die Marke nicht mehr nur zu kommunizieren, sondern vor allem positive Markenerlebnisse zu schaffen. Manche Experten zählen Mitarbeiter, Kataloge und Produkttests zu den wichtigsten Kontaktpunkten mit der Marke.
Ein solcher Augenblick an einem Brand Touchpoint wird auch „Moment of Truth“ genannt, weil genau dort der Kunde oder Nutzer darüber urteilt, ob ein Markenversprechen erfüllt oder etwa gebrochen wurde. Jeder dieser Kontaktpunkte kann – bisweilen auch unbewusst – sowohl positiv, wie auch negativ erinnert werden. Weil jeder Brand Touchpoint die Idee eines Kunden von einer Marke verändern kann, sollten die Planung und Gestaltung der Touchpoints sehr bewusst erfolgen.
Eine Marke ist „ein Nutzenbündel mit spezifischen Merkmalen, die dafür sorgen, dass sich dieses Nutzenbündel gegenüber anderen Nutzenbündeln, welche dieselben Basisbedürfnisse erfüllen, aus Sicht relevanter Zielgruppen nachhaltig differenziert“ (Burmann/Meffert/Koers 2005, S. 7).
Das Serviceerlebnis wird als immer wichtiger gesehen, ist es doch ein ausschlaggebendes Element des Nutzenbündels, das der Konsument einkauft. Viele Anbieter von Dienstleistungen sehen dieses Erlebnis inzwischen als Kernelement ihrer Aktivitäten und sprechen von „Experience-centric Services“.
Beispiel: Sie bringen ihr Auto zur Inspektion, werden freundlich nach den Schlüsseln gefragt, sollen eventuelle Probleme benennen und sodann mit einem Kaffee verwöhnt. Sie warten in einer kuschligen Lounge bei angenehmer Musik auf das geliebte Fahrzeug oder werden sogar von einem reizenden Mitarbeiter zur Arbeit gebracht. Pünktlich zu vereinbarter Zeit werden Sie wieder abgeholt und steigen zufrieden in ihr gewartetes und selbstverständlich innen und außen gereinigte Auto wieder. Damit war Ihre Customer Journey ein rundum angenehmes Erlebnis mit einem ganzen Strauß positiver Kontakte rund um Ihre Automobilmarke.
Ein anderer Approach ist die so genannte Gamification:
Allenthalben im Alltag kommen wir mit Marken in Kontakt. Bei diesen Kontakten bieten sich vielerlei Möglichkeiten mittels Gamifizierung alltäglicher Tätigkeiten für Abwechslung zu sorgen, öde Routinen angenehmer gestalten und die natürliche menschliche Sehnsucht nach Erfolgen, Belohnung und Glücksgefühlen zu befriedigen.
Beispiel: Ein schwedischer Vergnügungspark versüßt seinen Besuchern das langweilige Warten in der Schlange mit einer kostenlosen Spiele-App. Während sie warten, können sie gegeneinander spielen– und triumphierend an der Schlange vorbeigehen, wenn sie gegen andere Spieler gewinnen.
Die Kundenreise oder auch Customer Journey erlaubt es, an den einzelnen Markenkontaktpunkten die Markenerlebnisse zu bewerten. So genannte ‘Pain Points’ – negative Erfahrungen wie z.B. die Warteschlange vor der Achterbahn – bzw. ‘Gain Points’ – also Momente und Orte an denen die Marke positiv erlebt wird – liefern Indizien, wie die Marke an einem definierten Kontaktpunkt erlebt wird. Das Verhältnis von Gain- zu Pain-Points erlaubt damit interessante Rückschlüsse auf die Qualität eines Markenerlebnisses.
Ein Erlebnis darf dann als gelungen gelten, wenn der Kunde sich noch lange und nachhaltig als etwas Einzigartiges und Unvergessliches daran erinnert. Er wird es deshalb gerne wiederholen wollen und in seinem sozialen Umfeld begeistert davon erzählen. Dieses wirkmächtige „Word of Mouth” nannte man früher Mundpropaganda. ;8)
Als spurstabilisierende ‘Schienen’ zur markenkonformen Optimierung der Kontaktpunkte im Sinne eines positiven Markenerlebnisses, dienen die Markenregeln. Sie stellen u.a. auch sicher, dass die Marke und ihr Markenversprechen an jedem Kontaktpunkt positiv erlebt werden, sodass ein begeisterndes Markenerlebnis entstehen kann.
Erfolgsstories
Netflix
Die in 140 Ländern verfügbare Video-Streaming-Plattform Netflix ist ein Paradebeispiel für eine ganzheitliche Brand Experience, die sich strikt vom wissensbasierten Kunden-Nutzen bzw. seinem Verhalten leiten lässt. Als Brand Promise ist festgeschrieben: „We promise our customers stellar service (…) which means we are continuously improving the customer experience, with a focus on expanding our streaming content, enhancing our user interface and extending our streaming service to even more Internet-connected devices.“ Netflix löst sein Marken-Versprechen mit anhand eigenem Research selbst produzierten Serien, großer Nutzerfreundlichkeit und geräteübergreifender Nutzbarkeit seiner Streamingdienste. All diese Features werden fortwährend auf Basis eigener Daten und Erfahrungen mit den Nutzern optimiert und erweitert. Netflix nutzt diese kontinuierlich gewonnenen Erkenntnisse zur Optimierung des Produkt- / Marken-Erlebnisses und zur immer weiteren Vertiefung der Beziehung zwischen der Marke Netflix und ihrer Nutzerschaft.
Apple
Der legendäre Hard- und Softwareanbieter aus Cupertino begeistert seine Kunden bei jedem Kontakt mit der Marke: in seinen stylishen Apple Stores, mit den prestigeträchtigen Produkten oder via seine Websites. An all diesen Touchpoints wird die Marke mit dem Apfel mit ihren Core Values Usability, Simplicity, Design und Innovation für den Kunden positiv erlebbar. Damit entsteht Apple für eine dauerhaft und nachhaltig erlebte positive Markenwahrnehmung, über die die Nutzer gerne sprechen.
Was ist zu tun?
Strategen, Agenturen und Unternehmen – können das Ihre zu einem ganzheitlichen Markenerlebnis/ Holistic Brand Experience beitragen:
Strategie-Berater: Rollenbild erweitern und lernen
- fundierte Consumer Journeys entwickeln,
- adäquate Multichannel-Konzepte erarbeiten
- state of the art Media-Know-how erschließen.
Unternehmen: neues Wissen erwerben und Strukturen integrieren
- Ein Marketingverständnis entwickeln, das über die bloße Kommunikation hinaus weist;
- Hermetisches Abteilungsdenken und überkommene Hierarchien entflechten
- Gezielte Führung der Menschen durch die gesamte Marken-Erlebniswelt statt losgelöster Maßnahmen-Bausteine
- Nutzer und Kunden geplant durch das komplette Markenerlebnis steuern (statt inkonsistenter Einzelaktionen)
Agenturen, die auch zukünftig eine Rolle spielen wollen: Interne Strukturen optimieren und investieren:
- alle Kanäle noch tiefer verstehen
- konsistent erlebbare App-, Service- und Produkt-Design-Konzepte entwickeln
- integrierte Strategie-, Kreations- und Entwickler-Teams rekrutieren, die ihre konzeptionellen, digitalen und kreativen Potentiale auf die Entwicklung holistischer Plattform- und Markenerlebnisse verwenden
Fazit
Manche Stimmen sagen, dass nach einer Hochkonjunktur der ‘Berater’ und angesichts der gestiegenen Wertschätzung des Markenerlebnisses zukünftig dem Rat holistisch denkender Agenturen größeres Gewicht beigemessen werden könnte.
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