Dennis Dünnwald studierte an der Hochschule Niederrhein in Krefeld, bevor er nach Stationen bei namhaften Agenturen im Jahr 2015 Creative Director bei oddity wurde. 2020 wurde er dann zum Executive Creative Director für das auf Consumer-Marketing spezialisierte Team innerhalb der oddity group. Das 50-köpfige Team entwickelt in Berlin und Köln Kreativkampagnen, neue Branding-Strategien und innovative Commerce-Konzepte. Was ihn inspiriert und was ihn bei der Arbeit tagtäglich antreibt, erzählt er hier.

dennis dünnwald

Credits: oddity, Farzam Hamsayegan

Wie bist Du zur Kreation gekommen?

Tatsächlich habe ich meine Aufgaben schon immer kreativ gelöst, früh viel gezeichnet und es als große Bereicherung empfunden, neue Dinge zu lernen. Während meiner Arbeit in klassischen Agenturen habe ich gemerkt, dass ich den Spielraum innerhalb der Projekte anders behandle als meine Kollegen. Ich habe herkömmliche Prinzipien aufgebrochen, sie erweitert und mit Gedanken oder Konzepten die aus der digitalen Welt stammen, verbunden. Es war schon immer spannend für mich, mit beiden Welten zu spielen und sie übereinanderzulegen. Rückblickend habe ich sie auch oft etwas zu sehr gestresst. Aber Neues entsteht eben nicht, wenn man anfängt, Altbewährtes etwas wilder zu streichen. Ich hatte Spaß daran, mein Wissen und meine Wahrnehmungen mithilfe von kreativen Ideen zu verknüpfen. Das ist es auch, was mich bis heute antreibt. Ich ziehe viel Kraft daraus, unterschiedliche Welten zu verbinden. Theorien der Physik wurden zum Beispiel nicht ausschließlich dazu entwickelt, um Fragestellungen innerhalb der Physik zu beantworten. Warum nicht für kreative Prozesse nutzen? Relativität spielt in der Kommunikation genauso eine große Rolle wie bei dem Versuch, auf dem Mars zu landen. Wissen ist wichtig. So verhält es sich mit allem — auch mit der Kreativität.

Auf welches Projekt bist Du besonders stolz?

Für mich waren es immer die Projekte, die es geschafft haben, einen bestimmten Mehrwert zu liefern oder ernst gemeint etwas bewegen wollten. Das ist nicht einfach, aber gerade deshalb werden sie zu etwas Besonderem. Empathie in der Kreation ist aus meiner Sicht ein Kunststück, das noch häufig fehlt. Aber darauf kommt es aus meiner Sicht immer mehr an: eine starke Idee, die eine relevante und glaubwürdige Geschichte erzählt. Ein Beispiel dafür ist unsere Neupositionierung von Ulla Popken — einem führenden Hersteller von Bekleidung in Übergrößen. Die große Fragestellung war damals, wie sich die Marke stärker vom Wettbewerb differenzieren und über den eigenen Markt hinaus Relevanz aufbauen kann.

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Credits: Fotograf: Jasmin Arbes und Enno Gellner für Ulla Popken

Unsere Antwort: indem wir Frauen stolz machen. Es geht in erster Linie, um die Frauen und den Mut ein neues Selbstbewusstsein zu schöpfen – egal was die Waage, die gesellschaftlichen Standards oder irgendwer sonst sagt. Die Marke wurde so zum Mut machenden Begleiter im Leben vieler Frauen.

Wir haben der Zielgruppe sehr aufmerksam zugehört, um die Sensibilität des Themas wirklich zu verstehen. Deshalb haben wir uns von austauschbaren und generalistischen Aussagen oder Claims getrennt. Es gab stattdessen unzählige „Claims“, die wir „Stolzmacher“ genannt haben. Diese haben wir so oft und individuell wie möglich in den Alltag der Frauen integriert — denn es reicht einfach nicht, lediglich eine Aussage stupide zu wiederholen, wenn die innere Stimme etwas anderes sagt. Auch die Bildwelt wurde echter, was aus meiner Sicht ein sehr wichtiger Schritt war, um als Marke zu signalisieren, dass man versteht, wie reale Bedingungen im Alltag der Frauen aussehen. Zusätzlich erarbeiteten wir ein flexibles Corporate-Design-Modell, das je nach Kanal und Kontext variierte und es der Marke möglich mache, auf eine sich ständig verändernde Welt schnell und flexibel zu reagieren. Das Ergebnis: Unsere Zielgruppe wurde stolzer und konnte sich selbst in den Kampagnen wiedererkennen.

Credits: Fotografin: Sophie Hemels für Ulla Popken

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Credits: Fotograf: Jasmin Arbes und Enno Gellner für Ulla Popken

Was war die schmerzhafteste Niederlage und Deine Erkenntnisse daraus?

Ich glaube, da gab es so einige. Kreation hat für sehr viele Menschen damit zu tun, sich selbst Ausdruck zu verleihen und sich auf eine bestimmte Weise zu verwirklichen. Kreativität ist also oft ein Werkzeug, mit dem man dazu in der Lage ist, seine eigenen Überzeugungen und Begeisterung auszudrücken — sie sogar greifbar zu machen. Das Ganze fängt eigentlich immer spielerisch an. Meine Erfahrung hat aber gezeigt, dass sich dieser Aspekt oft dann verändert, wenn man andere Menschen führen muss. Sprich, wenn man nicht mehr selbst den Stift zum Zeichnen ansetzt, sondern über „Umwege“ ein zufriedenstellendes Ergebnis erreichen soll. Für mich persönlich war es zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn eine schmerzhafte Erkenntnis zu sehen, dass es oft sehr schnell unfair wurde, wenn man den exakten Erwartungshaltungen nicht entsprach. Warum? Weil es doch gerade in kreativen Berufen unzählige Wege gibt, ein Ziel treffsicher zu erreichen.

Ich habe oft erlebt, wie schnell sich ein Ego aufbäumen kann, weil nicht genügend kommuniziert wurde oder persönliche kommunikative Grenzen erreicht wurden. Und ich frage mich teilweise bis heute, was die Gründe dafür waren? Ich persönlich denke nämlich, dass diese Art der Führung vielleicht kurzfristig zielführender, aber überhaupt nicht nachhaltig ist. Und mir ist heute klar, wie schwer es ist, kreative Leute zu führen. Es braucht unbedingte Klarheit. Aber das bedeutet nicht, dass man es nicht fair lösen kann. Es geht darum, mentale Modelle aufzubauen und Entwicklung möglich zu machen. Menschen zu verstehen und sie zu begeistern. Sich gemeinsam zu entwickeln und möglichst viel zu kommunizieren.

Wie stark beeinflusst die Corona-Pandemie Deine kreative Arbeit?

Tatsächlich nicht ganz so stark. Flexibles Arbeiten war schon Jahre vor der Pandemie eine Möglichkeit bei oddity. Die Grundlagen waren also da. Aber es gibt natürlich Dinge, die komplexer werden, wie zum Beispiel, dass das Digitale mehr Hürden auf zwischenmenschlichen Ebenen mit sich bringt. Privates und Berufliches verschmilzt und benötigt andere Lösungen, um bewusster zu trennen oder zu verbinden. Kreativität ist nämlich extrem eng mit dem eigenen oder dem Stimmungsbild des Teams verzahnt. Hier muss man agil mit den Gegebenheiten umgehen, versuchen positiv zu bleiben und Rituale zu entwickeln, die einem helfen den Fokus zu halten. Prozesse laufen einfach anders ab. Ich finde das spannend. Aus meiner Sicht gilt mehr als je zuvor: Umbauen, machen, anpassen, probieren … Denn es ist nun einmal, wie es ist. Wenn man sich das bewusst macht und versucht, den Status quo mit allen neuen Komponenten anders zu betrachten, entsteht Neues — das uns hoffentlich sogar stärker oder zumindest facettenreicher aus der Pandemie rausgehen lässt als zuvor.

Woran arbeitest Du derzeit?

Ich arbeite gerade an Lösungsansätzen, wie Kreativität der heutigen Schnelligkeit aufgrund der Globalisierung noch standhalten kann. Ich habe nämlich das Gefühl, dass wir auf eine Krise zulaufen, die aktuell keiner wahrhaben möchte. Kreative schützen ihre altbewährten Muster, während der wirtschaftliche und auch gesellschaftliche Druck stetig steigt. On-Demand ist aus meiner Sicht kein Modewort mehr, das Marketing von Unternehmen aufpeppt. Es ist Teil und Anspruch unserer Kultur geworden. Unsere Zeit ist mit der Industrialisierung zu einer Art Gegenstand geworden, der gefüllt werden will. Die Digitalisierung hat dies noch einmal befeuert, denn Zeiträume wurden durch vielschichtige Bedürfnisse und unzählige Möglichkeiten in der Kommunikation noch mehr gestrafft. Sechs Monate, um an einem Thema zu arbeiten, macht somit keinen Sinn mehr. Relevanz kann so nicht mehr erreicht werden. Die Welt dreht sich einfach zu schnell. Darauf müssen wir als Kreative progressive Antworten finden, ohne dabei im Alten zu verharren.

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Credits: oddity, Farzam Hamsayegan

Kreative Vorbilder – Hast Du eins?

Eigentlich nicht. Es gibt viele gute Kreative und, ebenso wichtig für mich, sehr viele gute Leader. Diese inspirieren mich natürlich. Allerdings beschränken sich meine Inspirationsquellen nicht ausschließlich auf kreative Personen. Ich habe schon von allen möglichen Menschen stark inspirative Impulse bekommen. Oft muss man einfach nur genau hinhören. Für mich ist es tatsächlich eher ein Lernen und Neuinterpretieren davon, was andere bereits erlebt haben. Wichtig dabei: Never copy others! Die Lösungsansätze müssen immer mit den eigenen Gedanken oder Ansichten verbunden werden — und wer will schon eine Kopie von jemand anderem sein?

Inspiration – Wie kommst Du auf neue Gedanken?

Meistens durch Kommunikation. Oft aber auch in völliger Ruhe. Zunächst einmal finde ich es sehr wichtig viel zu lesen. Das braucht Zeit. Aber die nehme ich mir jeden Tag. Denn es geht mir darum, in die Breite zu lesen — angefangen in der Politik, über gesellschaftliche Bewegungen, Biografien, Fachartikel oder sogar Physik-, Psychologie- oder Philosophie-Fachbücher. Zusätzlich entstehen bei mir viel Gedanken im Austausch mit anderen Menschen. All das muss man schlussendlich natürlich neu interpretieren und kreativ verbinden. Ich bin allerdings der Überzeugung, dass unterschiedliche Wissensquellen automatisch dazu führen, dass man neue Gedanken formt. Es entsteht viel Kraft, wenn man ein Interesse an unterschiedlichen Sichtweisen und dem Wissen anderer hat. Ein tolles Beispiel dafür ist das Vorgehen des Physikers Michio Kaku, der nach dem Vorbild von Jules Verne oder Leonardo da Vinci 300 Forscher interviewt hat, um valide technologische Vorhersagen für die nächsten 100 Jahre zu machen — kein Hokuspokus, sondern die Verbindung des Wissens und der Einschätzungen führender Wissenschaftler. Am Ende ist bei mir wahrscheinlich eine natürliche Neugierde in Verbindung mit Begeisterungsfähigkeit, die bewusst immer wieder Themen außerhalb meiner eigentlichen Komfortzone einschließt.

Welche Rolle soll aus Deiner Sicht Kommunikation und Design in der Gesellschaft einnehmen?

Gute Frage. Ich denke, dass sich das Zentrum unserer gesellschaftlichen Entwicklung immer weiter von der industriellen Herstellung wegbewegt hat und heute durch sich immer stärker verdichtende Kommunikation ersetzt wird. Das liegt unter anderem an einem extrem hohen Informationsfluss, der über dauerhafte und klare Kommunikation zugänglich gemacht werden muss. Ohne Kommunikation geht es schlichtweg nicht. Man könnte sogar sagen, sie ist Grundvoraussetzung unseres Zusammenlebens. Das hat die Corona-Pandemie aus meiner Sicht sehr klar und spürbar gemacht. Es gab eine erzwungene Verschiebung. Vorher hat sich vieles über physisch erlebbare Formaten abgespielt. Kommunikation musste sich somit noch viel stärker in die digitale Welt bewegen. Ich denke, dass wir uns deshalb so stark wie nie zuvor in einem gesellschaftlichen Dauerdialog befinden. Das hat Vor- und Nachteile. Es lässt sich aber klar sagen, dass Kommunikation heute viel mehr mitdenken und gleichzeitig schneller auf den Punkt kommen muss. Sie muss aufklärend und aufrichtig sein. Haltung haben und gleichzeitig Offenheit ausstrahlen. Alles andere funktioniert in einer immer kritischer werdenden Gesellschaft nicht mehr. Und das ist auch gut so! Gutes Design kann jetzt umso mehr als Verstärker für mehr Klarheit dienen.

Was ist aus Deiner Sicht besonders spannend an Deinem Beruf und welchen Rat gibst Du jungen Menschen mit auf den Weg?

Tatsächlich immer noch, dass jeder Tag anders ist — auch noch nach über 10 Jahren.

Mein Rat: Tut nichts, weil „man“ es halt so macht. Bleibt kritisch, aber fair und habt Spaß an dem, was ihr macht. Stolpern gehört dazu. Aufstehen, daraus lernen, weiter geht‘s. Lest viel! Informiert euch. Seht das Positive in der Zukunft und bleibt neugierig.

Auf was wird es künftig im Branding und Design noch ankommen?

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass wir agiler, flexibler und offener denken müssen. Dazu müssen wir lernen, mit heutigen Werkzeugen wie zum Beispiel Daten auch innerhalb kreativer Prozesse zu arbeiten. Es wird mehr und mehr darum gehen, individuelle Erlebnisse für echte Menschen zu schaffen. Bedürfnisse wollen passend erfüllt werden, nicht irgendwie. Und das ist nur möglich, wenn man sich schon früh im Prozess mit Daten befasst. Auch ein hohes Maß an Flexibilität gehört zu künftigen Brandings und Designs dazu. Große Unternehmen wie Google oder Uber haben verstanden, dass sie nicht mehr über ihr Logo definiert werden. Sie denken nutzerzentriert. Das Design wird deshalb vermutlich individueller und facettenreicher sein müssen. Starre Guidelines funktionieren auch heute schon nicht mehr wirklich. Stringenz in der Visualität steht nicht mehr an erster Stelle.

Aber was soll dann dafür sorgen, dass man sich an eine Marke erinnert? Ganz simpel. Eine gute Geschichte. Sie stellt heute die Verbindung, den Kleber­ zwischen Menschen und Marken dar. Sie sorgt dafür, eine Marke zu emotionalisieren oder mit den Menschen zu verbinden. Wenn die Geschichte es schafft, echte Bedürfnisse anzusprechen und diese auch erfüllt — also stark genug und ehrlich ist — können die Produkte Teil des Lebens der Menschen werden und darum wird es gehen.

Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, findet hier noch weitere Gedanken von Dennis Dünnwald: DESIGNBOTE – New Branding: Warum wir endlich vergessen müssen, was wir zu wissen glauben

Credits Header: Fotografin: Sophie Hemels für Ulla Popken – www.ullapopken.de