Raoul Ernesto Baumgärtner – Der kreative Allrounder startete seine Karriere direkt nach dem Studium bei Panama. Danach folgten verschiedenen Stationen in Deutschlands Kreativszene. Nach über sechs Jahren zog es ihn zurück zu seinen Wurzeln, um als EDC erneut bei der Stuttgarter Kreativagentur durchzustarten. Mit DESIGNBOTE hat der gebürtige Peruaner seine Erfahrung geteilt.
Wie bist Du zur Kreation gekommen?
Das habe ich einer guten Freundin von mir zu verdanken. Danke, liebe Corinna <3. Ich war 17 und am Beginn meiner beruflichen Karriere. Mir erging es wie vielen anderen und ich wusste gar nicht recht, was ich überhaupt machen will. Corinna hat sich damals in einer staatlichen Schule für Grafik Design (Shoutout an das Kolping Berufskolleg für Grafik Design in Heilbronn) beworben. Ihre Worte habe ich heute noch im Ohr: „Stell dir vor, als Grafik Designer kannst du doch tatsächlich mit deinen Ideen Geld verdienen. Leider ist nächste Woche aber schon Mappenabgabe und man braucht 15 Arbeitsproben aus den verschiedensten Bereichen. Hast du was, Raoul?“
Ich hatte selbstverständlich nichts. Außer jede Menge Ideen, die Energie und Frische eines jungen kreativen Geistes sowie kein Problem mit der Aussicht auf durchzumachende Nächte. Mein Mindset war also bestens vorbereitet, doch dass die Ausbildung Geld kostet und mein alleinerziehender Vater sich das nicht leisten konnte, war ein anderes Thema.
Auf welches Projekt bist Du besonders stolz?
Besonders stolz bin ich auf unsere Kampagne zur Weiterbildung in Baden-Württemberg, die wir gemeinsam mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus umgesetzt haben. Klingt sperrig, ist am Ende aber super menschlich. Denn es geht darum, den Menschen klarzumachen, welche Potenziale sich jedem einzelnen bei uns durch Weiterbildung eröffnen. Diesen einfachen, aber inspirierenden Gedanken haben wir unter der Leitidee: THE CHÄNCE vereint.
Als der erste meiner Familie mit Studienabschluss, weiß ich aus eigener Erfahrung, wie weit und steinig der Weg ist, aber auch, dass die „CHÄNCE“ mit Weiterbildung real ist. Das damit Träume wahr werden können.
Es geht hier also nicht nur darum ein nettes Produkt besonders schick an den Mann/ die Frau zu bringen, sondern hier eröffnet sich die Möglichkeit für ein gutes Thema zu werben und vielleicht tatsächlich dafür zu sorgen, dass all unsere Mitmenschen hier in Baden-Württemberg das aus sich machen können, was sie schon immer sein wollten.
Was war die schmerzhafteste Niederlage und Deine Erkenntnisse daraus?
Es gab wahrscheinlich nicht die eine schmerzhafteste Niederlage und wir müssen hier eher von der Summe sprechen, denn Erkenntnisse und somit Erfahrung, entsteht aus vielen Niederlagen. Zu diesen gehören natürlich die üblichen Szenarien, bei denen mutige Ideen festgefahrenen Strukturen und individueller Angst zum Opfer fielen. Wenn man das oft genug erlebt hat, kann man damit ganz gut umgehen und vor allem auch loslassen. Mit einer kreativen Idee präsentiert man ja auch immer sein eigenes Werk und die Ablehnung einer Idee, aus welchen Gründen auch immer, trifft einen dann auch oftmals persönlich. Ganz ehrlich, um da hinzukommen war es aber ein langer Prozess. Vor allem wenn in jeder Idee viel Herzblut steckt.
Aber es geht auch noch schmerzhafter.
Dazu zählen für mich persönlich all‘ jene Niederlagen, in denen Diversität an engstirniger Weltanschauung gescheitert ist oder auch einfach nur als tokenism genutzt wird. Solche Enttäuschungen habe ich in der Vergangenheit leider einfach sehr viele erlebt.
Aber ich habe daraus nicht nur Enttäuschung mitgenommen. Dem gegenüber stehen nämlich auch viele Erfolgserlebnisse, in denen Kund*innen extrem dankbar dafür waren Stereotypen aufzubrechen. Ich habe also auch gelernt, dass es sich lohnt für die eigene Überzeugung zu kämpfen. Außerdem bin ich einfach super happy, zu sehen, dass es dafür in der Gesellschaft inzwischen ein immer größeres Bewusstsein gibt.
Wie gestaltest Du kreative Prozesse?
Die Frage ist tricky. Ein Prozess bedingt meistens eine strukturierte Vorgehensweise. Ich bin persönlich aber kein Fan von kreativer Systematik und strengen Methoden. Es geht mir dabei nicht darum, dass ich nicht glaube das ein solches System oder eine Methode für einzelne funktionieren kann. Mein Problem besteht vielmehr darin, dass solche Methodiken und Systeme die Illusion erzeugen, dass man als ambitionierte*r Kreative*r doch lediglich Schritt 1, 2 und 3 getreu der Anleitung zusammenzubauen braucht und fertig ist die preisgekrönte Kreativkampagne.
Sorry to say, aber Kreation ist kein Billy-Regal. Zum Glück, denn sonst könnte die Ai wirklich schnell unseren Job übernehmen. Ich denke, dass der ideale kreative Prozess für jede*n Kreativ*e anders ist und den versuche ich auch genau so zu gestalten. Mein Ansatz ist es, für jede*n Kreative*n einen Raum zu schaffen in dem sie sich voll entfalten können. Vor allem arbeite ich gemeinsam mit ihnen an dem richtigen individuellen kreativen Mindset. Also kurz zusammengefasst: Ich bevorzuge individuelle Herangehensweisen gegenüber einer Methodik, die für alle gleich schlecht funktioniert.
Inwieweit beeinflusst KI deine Arbeit?
Die KI und ich führen schon lange eine Liebesbeziehung.
Aber ich bekomme natürlich auch mit, dass sich viele Kreative Gedanken darüber machen, ob die KI den eigenen Berufsstand gefährdet.
Die größte Gefahr lauert meiner Meinung nach – neben den ungeklärten Rechtsfragen – in der Angst davor, sich mit diesem vermeintlich „gefährlichen“, „komplizierten“ und „Job-vernichtenden“ Tool zu befassen. Sich jetzt die Frage zu stellen, ob sich der Einsatz von KI in der Kreativbranche durchsetzt, ist zu spät. Sie ist nämlich längst da. Und Teil unserer täglichen Arbeit. Ein Beispiel: Der ein oder die andere wird sich vielleicht noch daran erinnern, dass es früher völlig normal war, in Photoshop stundenlang freizustellen und rumzukopieren. Arbeitsschritte, welche inzwischen zum großen Teil die KI macht. Und ganz ehrlich? Ist doch mega. Denn ich persönlich kann mit meiner Zeit auch deutlich besseres anfangen.
Danke dafür, liebe KI. <3
Und inzwischen ist das Ganze sogar noch viel besser geworden, denn die KI unterstützt mich persönlich in ganz vielen Themen und nimmt mir „Fleißarbeiten“ ab. Sei es im Text, Konzept, Bild oder der Strategie. Konkret hilft uns zum Beispiel Midjourney oder Dall-E 2 aktuell immens in der Moodboarderstellung, dem Brainstorming und mit Adobe Firefly sehe ich in der Zukunft auch eine Anwendung im kommerziellen Bildbereich. Und wenn es so weit ist, dann ist es mir wichtig, dass wir als Agentur ready sind und nicht erst dann anfangen uns damit zu befassen.
Woran arbeitest Du derzeit?
Im Moment sehr viel an mir selbst und meiner Arbeitsweise als Führungskraft. Hier gilt es den richtigen Mix aus hohem (eigenem) Anspruch, Begeisterung, always on, Fehlerkultur, Menschlichkeit, individuellen Bedürfnissen und funktionierender Work-Life-Balance zu finden. Ein wie man sieht, breites Feld mit vielen Variablen, aber aus meiner Sicht ist es vor allem faszinierend und mit wahnsinnig viel Potenzial geschmückt.
Kreative Vorbilder – Hast Du eins?
Als POC, der in Peru geboren und in Österreich/Deutschland aufgewachsen ist, fehlt es wie man sich wahrscheinlich vorstellen kann an Vorbildern in der deutschsprachigen Kreativbranche, mit denen ich mich wirklich identifizieren kann. Wenn man aber in die Kunst blickt, dann inspiriert mich Jean Michel Basqiuat, der mit seiner Kunst, die ihre Energie aus der schwarzen Kultur und der Straßenästhetik zog, die direkte Gegenbewegung zum sterilen Kunststil von Andy Warhol begann und der lange vor Black Lifes Matter, in seiner Kunst Stellung bezog. Außerdem bin ich ganz fasziniert von Frida Kahlo, die trotz all ihrer Schicksalsschläge und körperlichen Gebrechen in ihren Werken eine unfassbare Kraft beschwört und sich immer dafür engagiert hat, die Rolle der Frau in Kunst und Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Inspiration – Wie kommst Du auf neue Gedanken?
Die wichtigste Grundlage für neue Gedanken ist eine große Sammlung an Inspiration. Das heißt, der größte Teil meines „auf-neue-Gedanken-kommens“ geschieht bereits vor dem auf neue Gedanken kommen selbst. Das klingt jetzt sicher erstmal verwirrend, aber lasst mich das kurz anhand dem Beispiel einer Bibliothek erläutern.
Ich persönlich brauche, um guten Output zu generieren, zuallererst mal eines: Jede Menge Input. Aus allen Richtungen. Um Gedanken, Bilder, Technologien, Storylines, Sounds, Animationen und Benefits packend miteinander zu kombinieren und neu zu interpretieren, braucht man aus meiner Sicht eine reichhaltige geistige Bibliothek, aus der man sich bedienen kann. Je nachdem mit welchem Thema ich mich gerade befasse, hole ich mir aus den unterschiedlichen Kategorien Informationen, Anregungen und Beispiele. Außerdem hilft auch immer ein Blick in das Regal der aktuellen Topseller und Empfehlungen.
So eine Sammlung muss man aber auch erst einmal aufbauen.
Schon als Kind habe ich es geliebt in meine eigenen Welten abzutauchen. Meine Input-Diet bestand zu Beginn lediglich aus Gameboy, den 70er Jahre Platten meines Vaters, Bibliotheks-Horror-Romanen, für die ich zu jung war und wissenschaftlichen Fachbüchern, die ich genauso faszinierend wie unverständlich fand.
Und so ein bisschen hat sich diese seltsame Mischung bis heute gehalten. Ich interessiere mich noch immer sehr für Bücher jeglicher Art und versuche diese, wenn es mir möglich ist, in einer anderen Sprache als Deutsch zu lesen. Das tut anfangs ordentlich weh, aber irgendwann kitzelt es angenehm in den Gedanken und hilft dabei, die eingefahrenen Muster aufzubrechen. Dazu kommt ein ordentlicher Schwung aus der competetive strategy Gaming Welt, Comics, Graphic Novels, Politik, Podcasts en mase (geht nämlich einfach immer), Kunstausstellungen, Kinofilmen, Serien…
Die Sammlung für eine geistige Bibliothek ist eigentlich nie vollendet und kann nie groß, divers und ausgefallen genug sein.
Welche Rolle soll aus Deiner Sicht Kommunikation und Design in der Gesellschaft einnehmen?
Ganz schön dickes Brett an Frage. Was mir immer wieder begegnet sind zwei Haltungen zu Kommunikation und Design:
- Design/Kommunikation verändert die Welt fundamental.
Dieser Ansatz räumt Kommunikation und Design eine aus meiner Sicht völlig überzogene gesellschaftliche Rolle ein und vermittelt einen mit der Realität unvereinbaren Anspruch. Letztlich bleibt dadurch am Ende nur die große Enttäuschung, dass die neue Web-Banner-Kampagne die Welt doch nicht gerettet hat. Und das kann dann logischerweise nur an mangelnder Kenntnis und Kreativität liegen. Denn so mächtig wie Kommunikation und Design dargestellt werden, kann das ja nicht so schwer sein. - Design/Kommunikation verändert die Welt sicher nicht.
Die Form folgt der Funktion, bitte Design und Kommunikation so schlicht und unaufdringlich wie möglich halten, am besten ist es überhaupt nicht gestaltet und steht nicht im Weg. Helvetica auf Plakat und der Text wird es schon regeln.
Beide Takes finde ich persönlich zu bequem.
Mir wäre es lieber, man würde sich darüber Gedanken machen, welche Rolle man selbst als Creator von Kommunikation und Design in der Gesellschaft einnehmen kann. Welche und wie viel Verantwortung hat, oder will man selbst? Spricht man beispielsweise die sexistische Headline an, den nicht diversen Cast, den Rollstuhlfahrer (AKA. stereotypischen Behinderten) oder die surreal gutaussehende Frau (thx. Photoshop) oder kümmert sich um gut lesbare und barrierefreie Schriften? Welche Rolle Kommunikation und Design in der Gesellschaft einnimmt, das liegt an jedem von uns.
Was ist aus Deiner Sicht besonders spannend an Deinem Beruf und welchen Rat gibst Du jungen Menschen mit auf den Weg?
Ich habe als ECD bei Panama das Privileg mit so vielen, frischen und inspirierenden Kreativen zusammenzuarbeiten, die alles anders angehen als ich. Ich lieb’s einfach. Denn das zaubert einen wunderbaren Stream an Input in meinen Kopf und reichert meine geistige Bibliothek an.
Außerdem ist es einfach genial zu sehen, wie die gemeinsame Arbeit ein echtes Ergebnis erzeugt, das einem in der virtuellen und echten Welt immer wieder über den Weg oder Zeigefinger läuft. Und es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn man es schafft, aus komplexen Themen, ausufernden Briefings und Buzzword-Schlachten, eine einfache und echte Menschen begeisternde Idee zu zwirbeln.
Mein Rat an junge Kreative:
Für mich hat es gut funktioniert nicht nach dem einen perfekten kreativen Job oder Tätigkeitsfeld zu suchen, sondern vielmehr nach einem, dass ich gerade besonders spannend fand. Da habe ich mich dann auch richtig reingehängt.
Daher mein Rat: Arbeitet in dem Tätigkeitsfeld, dass euch gerade interessiert. Saugt alles um euch herum auf und sammelt so viel Inspiration und Erfahrung wie es nur geht. Man könnte sagen, sucht nicht das Ziel, sondern den Weg, aber das ist dann vielleicht doch ein wenig eso.
Fotocredits Panama
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