David Cleaves, Head of Creative bei argodesign am Standort München, vereint in seiner Arbeit seit Jahrzehnten Design und Technik und hat dabei stets die User Experience im Blick. Als Bewunderer der speziell deutschen Verbindung von hochwertigen Industrieprodukten mit datengesteuerten digitalen Erfahrungen unterstützt er nun besonders den deutschen Mittelstand bei seiner digitalen Transformation. Doch nicht nur aus beruflichen Gründen ist David vor knapp 10 Jahren von Texas nach Deutschland gezogen. Bereits in der Schulzeit war er von der deutschen Siedlungsgeschichte im Lone Star State fasziniert und deren Einfluss, der auch heute noch in verschiedenen Bereichen wie der Architektur zu sehen ist.
In den ersten zehn Jahren seiner Karriere arbeitete David Cleaves als User Experience Designer an Websites, Software-Anwendungen, mobilen Apps und digitalen Strategien für Kunden in Nord- und Südamerika, darunter sechs Jahre bei Razorfish. Er zog 2013 nach Europa, um bei frogdesign in dessen deutschem Heimatstudio zu arbeiten. Während seiner Zeit als Executive Creative Director bei frogdesign war er für europäische Unternehmen, vor allem aus der Automobilbranche, zuständig, darunter Porsche, Volkswagen, Audi und Montblanc. Im Anschluss wechselte er zu BMW Group Design, wo er die Abteilung für Advanced User Experience Design leitete.
Wie bist Du zur Kreation gekommen?
Meine Mutter ist Schriftstellerin und Malerin. Als ich ein kleines Kind war, malte sie Szenen aus Herr der Ringe an die Wände meines Zimmers, darunter ein schreckliches Bild von Orks bei Nacht, die mit Fackeln in der Hand eine Klippe hinunterklettern. Wenn die Lichter ausgingen, lag ich im Bett und machte mir große Sorgen um diese Orks.
Als ich fünf Jahre alt war, nahmen sie und mein Vater mich sechs Monate lang mit auf eine Rucksacktour durch Europa, und meine Mutter nahm mich jede Woche mit in Kunstmuseen, wo sie sich lange, ausführliche Geschichten über die Gemälde ausdachte. Wir verbrachten ganze Tage im Prado oder in der Nationalgalerie und gingen von Gemälde zu Gemälde. Diese kraftvolle Kombination aus Bild und Erzählung ist es, die mich bis heute antreibt.
Auf welches Projekt bist Du besonders stolz?
Vor sechs Jahren leitete ich ein großes Connected-Car-Programm für das Data Lab des Volkswagen-Konzerns. Dabei arbeiteten wir mit fünf Marken – Audi, Porsche, Škoda, MAN und Volkswagen – zusammen, um Best Practices für die Nutzung von Telematik zu entwickeln, um nützliche und überzeugende Dienste für unsere Kunden zu schaffen. In intensiver Zusammenarbeit mit den Marken, den Arbeitsteams und dem damaligen CIO, Dr. Martin Hoffman, entwickelten wir eine gemeinsame Plattform und Designmethodik sowie konkrete Konzepte für einzigartige Apps für jede Marke, von denen einige auf den Markt kamen.
Was war die schmerzhafteste Niederlage und Deine Erkenntnisse daraus?
Eine politische Situation in einem großen Unternehmen. Ich kann keine Einzelheiten nennen, aber es hat mich dazu gebracht, alles über mich selbst infrage zu stellen und darüber, warum ich jeden Tag in diesem Bereich arbeite. Am Ende habe ich eine scheinbar einfache, aber sehr wichtige Lektion gelernt: dass man als Designer seine beste Arbeit macht, wenn man von Menschen umgeben ist, die man respektiert und die einen respektieren; die ethisch, großzügig, vertrauenswürdig und klug sind – Menschen, von denen man jeden Tag lernen kann und die von einem lernen können. Das ist der Grund, warum ich zu argodesign gekommen bin – viele von meinen Kolleg:innen in Austin, New York, Amsterdam und jetzt München sind gute Freunde aus früheren Phasen meiner Karriere. Wir unterstützen uns gegenseitig und lernen jeden Tag voneinander.
Wie stark beeinflusst die Corona-Pandemie Deine kreative Arbeit?
Die Pandemie hat offensichtlich die Art und Weise beeinflusst, wie wir als Designer miteinander umgehen. Mittlerweile fühle ich mich bei der Arbeit mit kollaborativen Tools wie Figma und Miro viel wohler, aber jetzt suche ich nach Möglichkeiten, unsere Teams so oft wie möglich wieder persönlich zusammenzubringen. Unser Münchner Büro ist nicht nur dem Namen nach ein Studio – es ist ein Ort, an dem wir mit unseren Händen und unserem Verstand zusammenarbeiten, Seite an Seite. Ich habe gerade sechs Monate lang intensiv nach einem neuen Atelierraum in München gesucht und mich für einen wunderschönen, lichtdurchfluteten Raum am Isartor entschieden, nur wenige Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad von dem Ort entfernt, an dem die meisten unserer Designer wohnen. Wir haben uns entschieden viel in unsere Atelierräume zu investieren, um sicherzustellen, dass die persönliche Zusammenarbeit nach der Pandemie anregend und einfach ist und hoffentlich zur Gewohnheit wird.
Woran arbeitest Du derzeit?
Ich arbeite mit unseren Teams in München und Amsterdam mit einem Startup in London zusammen, das KI nutzt, um Apps für Kunden zu entwickeln. Es ist eine tolle Herausforderung mit einem unglaublich intelligenten Kunden, der die Expertise von argo bei der Entwicklung von benutzerfreundlichen und grafisch schönen Benutzeroberflächen für KI-gesteuerte Systeme nutzt.
Kreative Vorbilder – Hast Du eins?
Mein ehemaliger Chef bei BMW Group Design, Adrian van Hooydonk, beeindruckt mich zutiefst mit seiner Fähigkeit, die Designsprache von drei großen Marken – BMW, Rolls Royce und MINI – zu formen und gleichzeitig ein großes Team in einer hochkomplexen Organisation zu leiten, und das immer mit Anmut und Souveränität. Was historische Persönlichkeiten angeht, so bewundere ich William Blake am meisten, der visuelle Kunst und Sprache in einigen der höchsten Ausdrucksformen menschlicher Vorstellungskraft, die je geschaffen wurden, kombiniert hat. Er ist zweifellos der größte Künstler und einer der größten Schriftsteller Großbritanniens, und er hat sein ganzes Leben lang ohne wirkliche Anerkennung, im Wesentlichen für sich selbst, gearbeitet.
Inspiration – Wie kommst Du auf neue Gedanken?
Als Designer müssen wir einerseits unser inneres Kind ansprechen – urteilsfrei, spielerisch, offen – und gleichzeitig unsere Arbeit ständig harter Kritik und Beurteilung unterziehen. Ich stelle fest, dass ich nicht beides am selben Tag tun kann, also nehme ich mir vor allem zu Beginn eines Projekts Zeit für spielerisches, offenes Arbeiten und wende dann zu verschiedenen Zeitpunkten Kritik und Urteilsvermögen an. Wie viele Designer finde auch ich es wichtig, Zeit in der Natur zu verbringen. In der Mittagspause schnappe ich mir manchmal Sushi und fahre mit dem Fahrrad in den Nordteil des Englischen Gartens, um im Gras zu sitzen und zu essen, während ich über ein schwieriges Problem nachdenke. Ich finde, das hilft.
Welche Rolle soll aus Deiner Sicht Kommunikation und Design in der Gesellschaft einnehmen?
Unsere Welt ist voller Müll, sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Es ist von zentraler Bedeutung für unsere gesellschaftliche Rolle als Designer heute, dieses Durcheinander zu reduzieren, wiederum sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne. Es ist zwingend erforderlich, dass wir Systeme und Produkte so gestalten, dass möglichst wenig Abfall entsteht und Ressourcen geschont werden. Gleichzeitig ist es ebenso wichtig, dass wir Erlebnisse gestalten, die die visuelle Unübersichtlichkeit und die kognitive Belastung reduzieren. Gutes Design sollte nicht im Weg stehen und es dem Menschen helfen bzw. ermöglichen, ein Ziel zu erreichen, sei es das Zubereiten einer Tasse Kaffee oder das Erledigen einer komplexen Computeraufgabe, und das mit einem Minimum an Vermittlung und Aufwand.
Was ist aus Deiner Sicht besonders spannend an Deinem Beruf und welchen Rat gibst Du jungen Menschen mit auf den Weg?
Eine Sache, die ich spannend finde, ist, wie global unser Beruf geworden ist. Die Arbeit über Kulturen und Zeitzonen hinweg, in Nord- und Südamerika, China und Europa in meinem Fall, ist einer der aufregendsten Aspekte meiner Karriere gewesen. Ich ermutige alle jungen Designer, einschließlich meiner Nichte, zu reisen, zu studieren, zu arbeiten und Freunde in so vielen Kulturen wie möglich zu finden.
Auf was wird es künftig im Branding und Design ankommen?
Authentizität, Einfachheit, Direktheit und Unsichtbarkeit werden in Zukunft wichtig sein. In dem Maße, in dem Spatial Computing durch bessere Technologien (z. B. gute AR-Brillen) zur Norm wird, wird das Design immer mehr mit der realen Welt verschmelzen, und ich glaube, dass die Elemente, die wir entwerfen, subtil und unaufdringlich sein müssen, um die reale Welt zu bereichern, ohne sie zu erdrücken oder zu ersetzen.
Credits: argodesign
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