Ein Interview mit Nico Wohlgemuth von DAYONE

VoiceLabs, eine Firma für Sprachanwendungen, sagt 33.000.000 Voice-First-Geräte bis Ende 2017 voraus. Die US-Consulting-Firma Gartner hat vorausgesagt, dass 30 Prozent der Browsing-Sessions bis 2020 ohne Bildschirm durchgeführt werden, sodass viele Kaufentscheidungen den Sprachassistenten überlassen werden, die Marken z.B. aus virtuellen Regalen auswählen. Diese sprachgesteuerten Voice Shelves, so sagt Joe Maceda, Leiter des Entwicklungsstudios bei Mindshare North America, „wird wahrscheinlich nur zwei oder drei Marken enthalten. Wenn Sie die dritte oder vierte Marke in einer Kategorie sind, besteht ein erhebliches Risiko.“ Nicht nur, aber auch deshalb suchen Marken und Agenturen nach Identitäten für den Fall, dass die Konsumenten ihre Produkte nicht sehen können und widmen sich der Entwicklung einer einzigartigen ‚Stimme‘ oder Audiosignatur, die ihre Marken sofort erkennbar, idealerweise sogar als intelligenter, mitfühlender Dialogpartner erlebbar macht. Denn wo früher ein Claim auf eine Zielgruppe adressierte, da regiert jetzt das individuell maßgeschneiderte Kundenerlebnis. Wie viel weiter der Gedanke des Unsichtbaren Branding inzwischen reicht, das erfuhren wir im Interview mit Nico Wohlgemuth, Managing Partner & Creative Strategist bei DAYONE, Berlin.

Nico Wohlgemuth von DAYONE

Nico Wohlgemuth von DAYONE

DESIGNBOTE Redakteur Wolfgang Linneweber sprach mit Nico Wohlgemuth.

Herr Wohlgemuth, die (u.a. angesichts der Datenschutzproblematik) zumindest für mich erstaunlich populären Sprachsteuerungstools wie Alexa & Co. stellen Unternehmen beim Branding vor vollkommen neue Herausforderungen. Sie finden den Erfolg von Echo und Co. wahrscheinlich völlig plausibel. (Falls ja, warum?)

Das ist ganz einfach zu beantworten: Mit einander zu sprechen ist für Menschen eine vollkommen natürliche Form der Interaktion. Dieses Verhalten wird von sprachgesteuerten Tools konkret bedient, zum Beispiel wenn es um Fragen und Belange aus dem täglichen Leben geht. So kann man sich während man vor dem Kleiderschrank steht über die Wetteraussichten informieren lassen oder die Ergebnisse vom vergangenen Fußballabend abfragen. Und das alles, ohne das Smartphone auch nur einmal in die Hand zu nehmen. Auf diese Weise integrieren sich diese Services nahtlos in das Leben des Nutzers und werden wie ein persönlicher Assistent wahrgenommen. Diese Natürlichkeit im Umgang mit Technologie werden sich in Zukunft mehr und mehr Angebote zunutze machen.

Einerseits müssen solche dienstbaren Produkte ihren Nutzer eindeutig über sein Sprachprofil identifizieren. Um seine Wünsche und Befehle perfekt deuten zu können, müssen auch feinste Nuancen der befehlsgebenden Stimme richtig interpretiert werden. Andererseits muss sich eine mit ihm kommunizierende Marke quasi ‚blind‘ eindeutig identifizieren lassen. Wenn ich ‚Invisible Branding‘ höre und dabei sofort an das typische ‚Cloink‘ eines Zippo-Feuerzeugs denke, liege ich dann total neben der Spur?

Das ist grundsätzlich kein so falscher Gedanke. Natürlich können charakteristische Töne und Geräusche zur Identität einer Marke gehören, allerdings werden sie sie nie grundlegend ausmachen. Auch in Bezug auf die Idee des „Invisible Branding“ sind sie nur ein Teilaspekt des großen Ganzen. Vielmehr steht dahinter eine neue Disziplin, die sich unter dem Namen Conversational Design damit beschäftigt, wie man für Marken im Kontext von Messenger- und Voice Interfaces eine virtuelle Identität mit hohem Wiedererkennungswert erschaffen kann. Bei einem solchen Ansatz wird deutlich, dass man Chatbots, Alexa & Co. nicht nur als einen weiteren Touchpoint betrachten darf, den es als Unternehmen zu bedienen gilt. Diese Tools eröffnen vielmehr die Möglichkeit, seinen Kunden ein Markenerlebnis zu bieten, das sich an ihrem natürlichen Verhalten orientiert.

Sie arbeiten schon seit längerem erfolgreich mit DAYONE u.a. für Kunden wie Volkswagen. Da dürften ja nicht nur satt ins Schloss ploppende Autotüren identitätsstiftend zum Verbraucher/ Nutzer sprechen. Welche auralen Quellen machen sich in dem Bereich sonst noch nützlich?

Bei allen Projekten, die im Rahmen unserer Arbeit für Volkswagen entstanden sind, geht es um die Entwicklung innovativer Formen für den digitalen Kundendialog. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der T-Roc Entdecker, eine digitale Entdeckungsreise durch das neue Crossover-Modell von Volkswagen. Dieser Conversational Feature Visualizer fungiert wie ein virtueller Berater: Er begleitet den Nutzer in dialogischen Schritten durch die einzelnen Highlights des Modells und lässt ihn diese auf spielerische Art und Weise erfahren. Die Nutzungszahlen zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde von hier aus in den Modell-Konfigurator wechselt, ist um 20% höher als bei alternativen Ansätzen. Der Unterschied liegt in der Experience. Sprich, im Erlebnis des Kunden. In einer volldigitalisierten Welt gilt es, die Konversation mit dem Kunden zu einem auf- und anregenden Erlebnis zu machen. Und das zum richtigen Zeitpunkt am jeweiligen Touchpoint, ganz unabhängig von der Technologie wie z.B. einer Voice-Schnittstelle. 

Können Sie uns erklären, was ein ‚Audio Logo‘ ist, wie es entsteht und wie es klingen könnte? Ich denke, Sie haben den guten alten Jingle schon längst im Rückspiegel …

Aus der Perspektive des Conversational Designs geht das Branding weit über einen Jingle hinaus. Es geschieht vielmehr in Form eines nahtlos gestalteten Dialogs, der den Kunden an jedem einzelnen Touchpoint eine konsistente Markenexperience bietet.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach nutzer-, ‚carrier‘- und anbieterseitig die größten Herausforderungen bei dem Thema, technisch und (ehem …) ästhetisch?

Werbung und Vertrieb wurde die längste Zeit in Botschaften gedacht: Es ging darum, mit einer ansprechenden Headline die gewünschte Zielgruppe zu erreichen. Mit der digitalen Transformation ändern sich aber nicht nur Produkte und Services, sondern insbesondere auch die Kundeninteraktion. Es geht nicht mehr nur um die Zielgruppe, es geht um den Zielkunden. Und diesen bedient man nicht mit Botschaften, sondern im persönlichen, kontextsensitiven Dialog. Dafür bedarf es an Wissen über den Kunden und die Fähigkeit, an den für den Kunden relevanten Touchpoints greifbar zu sein. Neben der Touchpoint- und Datenstrategie stellt sich beim Conversational Design für Marken und ihre Dienstleister die Frage, wie sich der (Messenger und/oder Voice-) Dialog für den Kunden anfühlt: ernst? Sachlich? Spaßig? Frech? Du oder Sie? Für den Kunden wiederum sehe ich in der Bedienung keine größeren Herausforderungen – sowohl Studien als auch von uns durchgeführte Projekte zeigen ganz eindeutig, dass die Adaption dialogbasierter Angebote hoch und vielversprechend ist. Nehmen wir als Beispiel das Messenger Interface: Es ist bereits heute das meist genutzte Interface weltweit – ob ich nun mit einem Freund oder einer Marke darüber interagiere, wird in Zukunft keine Rolle mehr spielen. Wechat in China macht es vor.

Blindes Vertrauen: Werden die neuen sprachgesteuerten Assistenten auf Dauer ohne visuelle Zusatzinformation auskommen können? Wäre eventuell doch ein Screen/ Display nützlich, um Dinge/ Waren/ Dienste visuell zu identifizieren und z.B. für einen Kaufakt auswählen zu können?

Das kommt mit Sicherheit auf den jeweiligen Einsatzzweck an. Davon abgesehen gibt es bereits Lösungen, bei denen Sprachsteuerung und Display in Kombination auftreten wie z.B. der Amazon Echo Show. Grundsätzlich lässt sich zu diesem Punkt abschließend sagen: Auch wenn in der Sprachsteuerung eine Menge Potenzial verborgen liegt, wird sie visuelle Interfaces nicht vollständig verdrängen. Die hier angezeigten Informationen werden jedoch zunehmend standardisiert sein und der kontextuellen Informationsvermittlung dienen.

 Herr Wohlgemuth, danke für Ihre Zeit!

http://www.dayone.de/de

Bildquelle: forvision