Futures Thinking – Zukunft aktiv gestalten. Die Zukunft passiert nicht einfach. Sie wird gestaltet durch Entscheidungen, die wir im Hier und Jetzt treffen, gelenkt durch Wünsche, Hoffnungen, Visionen. Gerade in einer Zeit, in der sich viele ohnmächtig gegenüber der Naturgewalt eines Virus sehen, brauchen wir Zukunftsszenarien, die uns das Ganze anpacken und einfach loslaufen lassen.
“Wie kommen wir vom Machbaren zum Möglichen
und vor allem
zurück ans Steuerrad unserer Welt?”
Silke Kreiling von der Berliner Strategieagentur diffferent erläutert, warum man heute auf nichtlineares Futures Thinking setzen sollte, wie das funktioniert und welche Rolle Hoffnung dabei spielt.
Anhand konkreter Beispiele wird deutlich gemacht, wie Futures Thinking schon immer als Motor für Veränderung gedient hat. Es wird gezeigt, wie man es einsetzt, um Entscheidungen unter extremer Unsicherheit zu fällen. Vor allem aber wird ein Schlachtplan verraten, wie wir diesen verschütteten Instinkt wieder groß machen und unsere Zukunft aktiv machen.
Futures Thinking ist dabei als Ergänzung/Weiterentwicklung ‚klassischer‘ Design Thinking-Ansätze zu verstehen.
Corona, Krise und Komplexität: Wie man Nutzerbedürfnisse in komplexen Zeiten bedient
Corona hat gezeigt: das einzig Sichere ist die Unsicherheit. Und unsere komplexe Welt bringt für alle, die Zukunft aktiv gestalten wollen, nicht nur spannende Chancen, sondern auch außergewöhnliche Herausforderungen mit sich. Die Welt erscheint wie ein Labyrinth aus gesellschaftlicher, medialer und technologischer Interdependenz und wir stehen mitten drin. Die Frage ist: In welche Richtung sollen wir laufen? Wie schaffen wir es, Entscheidungen unter extremer Unsicherheit zu treffen?
Wege aus dem Bias des „Jetzt“
Nutzerzentrierte Designer verstehen meisterhaft, wie Menschen sich im Moment verhalten und welche Bedürfnisse es zu erfüllen gilt. Aber Bedürfnisse verändern sich kontextbezogen. Man denke nur an den Wandel unseres Konsumverhaltens während der Corona-Beschränkungen. Da wurden z.B. plötzlich mehr Jogginghosen als Jeans gekauft und das auch noch vermehrt über digitale Kanäle. Die akuten Gründe dafür sind klar: Home-Office und mangelnde analoge Einkaufsmöglichkeiten. Möchte man daraus jetzt aber langfristige Geschäftsentscheidungen ableiten, sieht die Sache schon anders aus. Corona hat uns nämlich noch etwas anderes gelehrt: In Kontexten, in denen das Tempo des Wandels zunimmt, müssen Service und Business Designer in längeren Zeiträumen denken, um sich vom Bias des „Jetzt“ zu befreien.
Futures Thinking ist die passende Methode für unsere Zeit. Sie befasst sich in erster Linie mit systemischen Faktoren statt unmittelbaren Problemen. Sie erkennt an, dass alles miteinander verbunden ist und dass man, um eine sinnvolle und dauerhafte Wirkung zu erzielen, das Gesamtsystem verstehen muss. Designer lernen konkret, die Gegenwart zu gestalten, in dem sie Mittel finden, Zukünfte zu kreieren.
Vom Machbaren zum Möglichen
Elon Musk sagte einmal: „I‘m not trying to be anyones saviour. I‘m just trying to think about the future and not be sad.“ Genau das ist es doch! Zukunft ist nichts, was uns passiert. Wir schaffen sie tagtäglich. Futures Thinking setzt bei Prognosen an. Unser Gehirn ist ein Szenarien-entwickelndes Organ. Permanent scannt es die Umwelt, verarbeitet wahrgenommene Reize. Es versucht, aus diesen Informationen Entwicklungen der Zukunft vorherzusehen und darauf zu reagieren. Im Anschluss geht unser Denkorgan sicher, dass tatsächlich die richtigen Schritte eingeleitet wurden, reflektiert diese und prüft alternative Handlungsmöglichkeiten. Futures Thinking macht nichts anderes. Aber nicht spontan, sondern gezielt. Nicht individuell, sondern kollektiv.
Futures Thinking versteht sich als kongeniale Ergänzung zu Design Thinking. Während Letzteres eine perfekte Methode ist, um die Welt zum Wohle des Nutzers zu gestalten, kommt man in Hinblick auf die fernere Zukunft damit nicht weiter. Futures Thinking wagt den Blick in die Ferne. Sowohl das Zeitfenster für die Vision als auch für die Investigation in der Vergangenheit werden größer. Es geht darum, mit Hilfe sehr schwacher Signale von zukünftigen Trends zu arbeiten, sie aufzugreifen und mutig zu verfolgen. Auch, wenn direkt vor der Haustür ein aktuelles Hype-Thema steht, das viel lauter nach Beachtung schreit. Futures Thinking setzt auf Intuition, fundierte Vermutungen und Fantasie. Es geht dabei um nicht weniger als die radikale Abkehr vom Machbaren hin zum Möglichen.
Futures Thinking: der Prozess
In einem Futures Thinking-Prozess ist der erste Schritt, eine klug kombinierte Gruppe von Experten mit heterogenen Blickwinkeln zusammenzubringen. Bevor man sich innerhalb eines Futures Thinking-Prozesses auf den Weg in die Zukunft macht, wird dem Team ein Setting aus schwachen und starken Trends, Entwicklungen, Gedanken und potenziellen Extremen präsentiert. Das Denken wird sozusagen geweitet.
Anschließend geht es in die Szenarien-Entwicklung. Wie in einer Science-Fiction-Story werden Möglichkeitsfelder gesucht. Dabei gilt es für die Teilnehmer, möglichst groß zu denken und sich von den eigenen bisherigen Zukunftsvisionen frei zu machen. Welche Visionen weiterverfolgt werden, entscheiden die Teilnehmer per Konsens.
Ausgehend von den kühnsten Visionen, wie das Zukünftige aussehen soll, muss man langsam den Weg zurück zur Erde planen. Nehmen wir das Beispiel Ikea: Der Möbelhersteller hat mit „Rumtid“ eine Kollektion entworfen, mit der man es sich einrichtungstechnisch auch auf dem Mars gemütlich machen könnte. In einem Futures Thinking-Projekt hieße die entsprechende Zukunftsvision: Lasst uns den Mars besiedeln. Da der Mars momentan noch zu weit weg ist, wäre die Frage, ob sich schon mal eine Abteilung bei Ikea damit beschäftigt hat, wie man Produkte materialunabhängig designen – und gewinnbringend produzieren kann.
Zurück im Heute prüft man schließlich die Möglichkeitsräume im Unternehmen. Alle Teilnehmer nehmen die Ergebnisse mit in ihre Abteilungen und operationalisieren sie für aktuelle Kundenbedürfnisse. Im Ikea-Beispiel entstand so eine Kollektion für urbanes Wohnen auf kleinem Raum.
Zukunftsspekulation ist keine Glaskugel
Futures Thinking ermöglicht es, durch einen gezielten Blick nach vorn die Basis für langfristige Richtungsentscheidungen zu treffen. So wie menschzentriertes und serviceorientiertes Design innerhalb unserer gegenwärtigen Arbeit zur Norm geworden sind, können die Prinzipien des Futures Thinking dazu beitragen, unsere Sichtweise auf die Welt zu verfeinern. Am Ende des Prozesses steht dabei keine gesicherte Wahrheit, kein Masterplan für die nächsten zehn Jahre. Aber: Futures Thinking schafft den Raum, das Thema Vision positiv anzugehen und macht Lust, selbst zu gestalten, Möglichkeitsräume zu erforschen und zu experimentieren. Ein gemeinsamer Traum von der Zukunft kann ein Leitstern sein, der kreative Kräfte kanalisiert und hebt.
Über Silke Kreiling
Silke Kreiling arbeitet als Executive Director bei der Strategieagentur diffferent und verfügt über langjährige Expertise in Innovations- und Purposefindung, Mindful Leadership und der Transformationsbegleitung international agierender Konzerne. Sie gibt Trainings, hält Konferenzvorträge und ist als Dozentin für agiles Projektmanagement und Selbstmanagement an der Design Akademie Berlin tätig.
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