Wie fängt man an etwas zu erzählen, das man eigentlich nicht in Worte fassen kann? Da ich es nicht weiß, lasst mich versuchen, Euch zuerst den Hintergrund meiner Geschichte zu erläutern.

Ich stand nach einem unterkühlten, stressigen und isolierten Praktikum im letzten Winter mit sehr vielen Ersparnissen da und wusste instinktiv, dass ich so viel Geld nicht in den Kneipen des Nachtlebens lassen will. So fing ich an – basierend auf einigen Städtetrips mit Freunden – zu überlegen, was mich so richtig aus dem Alltag katapultieren könnte. Ich wollte raus aus meinen Gewohnheiten des Studiums, raus aus dem grauen Krefeld, weg von Menschen, weg von dem Chaos der Gesellschaft! Mein Entschluss war genauso leichtsinnig wie radikal! Ich investierte ein Teil des Geldes in Trekking-Equipment und informierte mich über Sehenswürdgkeiten und Trails in Schweden! Die Wahl fiel leicht, da mich dieses Traumziel mit Bergen, Seen, Flora und Fauna schon immer fasziniert hat. Doch ich hatte kein klares Bild von dem nordischen Land und – ausgenommen vom Jedermannsrecht – keinen Schimmer von dessen Sitten. Doch dazu später!

Mit dem Ende des Wintersemesters begann eine Periode des Wartens und die Monate bis zum Sommer zogen sich wie Kaugummi. Die anfängliche Euphorie und der Fokus auf den Trip, verflogen im Winde des Alltags und bald interessierte mich nur noch die nächste Party oder ein guter Kinofilm. Um ehrlich zu sein, es wurde stinklangweilig! Bis ca. April oder Mai stand nicht eine Unterkunft oder Buchung fest, die mich meinem Ziel näher bringen würde! Was mich dann doch noch in Bewegung setzte, war das Schuldgefühl meines eingekauften Equipment gegenüber und die zu mir equivalente Lustlosigkeit meiner Freunde, irgendwelche konkreten Pläne für den Sommer festzumachen..
Ich sah mich schon wieder in der schwülen Stadt dahinsichen und rein gar nichts aus meiner Zeit zu machen. Also begann ich von neuem und plante den Start von Etwas, das im Endeffekt mehr als nur ein Urlaub werden sollte! Zur Seite stand mir mein Vater, dessen Abenteurerinstinkt ich wohl geerbt habe und hatte für den Start schon gute Ideen parat. So setzten wir in den frühen Morgenstunden des 16. Juli mit einer Fähre von Travemünde nach Malmö über und nächtigten in einer Kajüte.
Am folgenden Morgen verbrachten wir einen Tag zusammen in der Innenstadt und gegen Abend saß ich im Flixbus nach Göteborg – die einzige Buchung die ich vorgenommen hatte. Mein Abenteuer begann!

Von Irrwegen und Zweifeln

In Göteborg angekommen, fiel ich auf wie einer bunter Hund – und so fühlte ich mich auch! Mit 20 Kilo, Schlafsack, Isomatte und Zelt auf dem Buckel wirkte ich wohl sehr befremdlich. Zudem empfand ich die schwedische Stadt schlagartig als sehr elegant und betucht, liefen doch selbst Jugendliche in den schönsten Abendkleidern über die Straßen. Nach etwas fummeliger Fragerei nach dem Weg zum Hostel und der Kulanz des Busfahrers, mich ohne Ticket mitzunehmen, verbrachte ich die Nacht in einer Abstellkammer. Ohne Fenster. Zusammen mit 3 Mädels! Das Ausziehen meiner schweren Stiefel dürfte sie wohl wenig gefreut haben…

Nach zwei grauen, öden und ereignislosen Wandertagen durch Göteborgs Gewerbegebiete entschied ich mich, da erst einmal raus zu kommen und nahm den Zug nach Vänersborg. Natürlich denkst du jetzt: „Was ist das für ein Trekkingtrip wenn der nur Zug fährt?“
Doch ehrlich gesagt war Schweden ein riesiges Land und streckenweise echt langatmig zu durchlaufen. Immer wieder kam ich an Landstraßen und Vororten aus und musste mich dummen Blicken von Einheimischen ausliefern. Ich vermisste das Abenteuer, die richtige Wildnis! Ich hatte keine Ahnung was da auf mich zukam..

Ich lernte Fredrik Knutsson von Kajakguiderna im Touristenbüro von Vänersborg kennen. Seine erste Frage, nach einem festen Handschlag, lautete: „Hast du Erfahrung mit Kanus oder Kajaks?“ Ich hatte keine. Doch schon bevor ich den Trip begonnen hatte, war ich verrückt nach dem Gedanken, den Vänersee mit einem Kajak zu befahren. Das Gespräch erinnerte mich an eine Szene meines Lieblingsfilms „Into the Wild“. Ich sah das ganze Unterfangen bereits scheitern, war ich doch total verblendet durch Verbote und den Paragraphenmist in Deutschland. Doch da in Schweden kein offizielles Verbot existiert, das einem untersagt ohne Erlaubnis auf einem See zu paddeln, konnte das Thema angenehm übergangen werden und wir begannen eine Route auszuarbeiten. Fredrik war sehr umgänglich und beriet mich in jedem Detail, wie der Start und der Verlauf meiner Reise aussehen sollte. Wir vereinbarten ein Treffen am Hafen, sodass ich Zeit hatte genug Rationen einzukaufen, die später wirklich wichtig wurden! Beim Treffen demonstrierte er mir einige Basics mit dem Kajak, die man draufhaben sollte um Unfälle zu vermeiden – ein richtiger Crash-Kurs! Ich wurde leicht nervös, da ich mir solche Szenarien gar nicht ausgemalt hatte! Doch er beruhigte mich und versicherte mir, dass es einsteigerfreundlich sei und damit behielt er recht. Freundlich verabschiedeten wir uns voneinander. Er ließ mich am Dock zurück und ich begann das Gepäck zu verstauen. Mit dem Kajak bis zu den Oberschenkeln beladen, lief ich und brach in Euphorie aus – das Gefühl war berauschend! Ich war ein Kajak-Fan vom ersten Moment an und genoss diese unendliche Freiheit allein auf dem Wasser. Ich bin generell für wenig zu begeistern aber das hier war atemberaubend! Ich erinnerte mich an das Jedermannsrecht und machte die nächsten Tage öfter davon Gebrauch! Das Jedermannsrecht ist ein – in den nordischen Ländern allgemeingültiges Recht – in der Wildnis zu zelten und Feuer zu machen.

Das Abenteuer beginnt

Ich war mittendrin! Nach einer Nacht im Wald – mit wunderschönem Ausblick auf den See – hatte ich endlich das Gefühl unterwegs zu sein und etwas zu erleben. Ich war so im Geschehen gefangen, dass ich vergaß auf mich selbst acht zu geben. Die Sonne brannte extrem heiß vom Himmel und reflektierte zudem auf der Wasseroberfläche. Nach einem Nachmittag war ich komplett verbrannt! Fortlaufend hatte ich auf Fredriks Ratschläge gepfiffen – die unter anderem beinhalteten, dass ich die Buchten an der Uferseite passieren solle, was ich nicht tat – und durchquerte die Buchten über die Wasserseite. Ich kann nicht ausdrücklich genug betonen wie dumm und leichtsinnig das war. Neben lautem Fluchen allein auf dem offenen See, hatte ich am späten Abend einen Schwächeanfall. Da ich zu wenig getrunken und mich zu sehr verausgabt hatte, schlief ich im Schatten einiger Bäume ein.. ohne Zelt. Auf Felsen. Ich erwachte kurz vor Mitternacht und musste mich damit abfinden wieder ins nasse Kajak zu steigen. Die Insel die ich angelaufen hatte war ein karger Felsen und ich hätte meine Heringe für das Zelt nicht befestigen können. Was mir anfänglich etwas Angst machte, stellte sich als einer der schönsten Momente überhaupt heraus. Mit dem kühlen Sonnenuntergang vor mir und dem aufsteigenden Mond hinter mir, paddelte ich um Mitternacht auf dem Vänersee! Menschenleer und fast schwarz präsentierte er mir eine neue, melancholische Seite, die mich aufs Neue in ihren Bann zog.

Die fünf Tage auf dem See waren außergewöhnlich! Sowohl außergewöhnlich schön, als auch anstrengend! So war ich froh meine letzte Station Åmål zu erreichen, um endlich wieder an Land zu gehen und in einem Bett zu schlafen. Die Nächte auf den Schäreninseln waren wunderschön, aber mit Mücken, Ameisen und enormer Verausgabung mit dem Boot, auch sehr schlauchend. So gönnte ich mir eine Nacht im Hotel und schaute mir die Stadt und ihrer Umgebung an. Ich wanderte auf einigen kürzeren Trails und wollte mir alles reinziehen, was die Gegend so hergab. Auch hier startete genau an dem Wochenende, an dem ich ankam, ein Stadtfest! Doch fehlte mir deutlich das Gefühl, ein Backpacker zu sein.. generell waren keine unterwegs! Ich fühlte mich uninspiriert und allein. Ich beschloss einen Zug über die nahegelegene Grenze nach Norwegen zu nehmen, um dort ein Wochenende in Oslo zu verbringen, um im Anschluss wieder nach Hause zu fliegen. Irgendwie hatte ich mir das Ganze anders vorgestellt. Auch hier sollte ich später eines besseren belehrt werden…

Oslo war Backpack-City! Gleich am ersten Tag im Hostel angekommen, hatte ich 3-4 Leute kennen gelernt und diese wiederum kannten wieder andere. Wir bildeten eine große Gruppe und gingen aus. Dabei bemerkte man wirklich die Qualität der Gespräche, da bei einem Bierpreis von umgerechnet 8-10€ Flaute mit Picheln war! Mit der deutschen Lisa und dem Spanier Guillem verbrachte ich die meiste Zeit dort. Guillem kam aus Barcelona und war total aufgeweckt, was neue Bekanntschaften und seinen Interrail-Trip anging. Lisa toppte aber alles, als wir durch Zufall auf unsere Heimat zu sprechen kamen und herauskam, dass ich mit ihrem Cousin aufgewachsen war. Small World!

Die Tage vergingen und abermals fühlte ich mich durch diese neuen Umstände inspiriert.
Guillem erklärte mir, dass er nach Stockholm weiter will.. und kurzum schloss ich mich ihm an!
So ging es von Norwegen nach Schweden zurück! Das Abenteuer ging weiter…

Stockholm bot uns zwar das weniger attraktive Hostel, aber auch hier waren einige interessante Leute unterwegs! Zudem luden uns zwei Schweden zum Feiern ein, um uns das Nachtleben außerhalb der Touristen-Hot-Spots zu zeigen – inklusive Freibier! Guillem und ich waren überzeugt davon dass die Sache einen Haken hat. Heraus stellte sich aber dass die Schweden einfach nur unglaublich freundlich sind! Ich begann mich total in dieses Land zu verlieben!

Der krönende Abschluss

Mit fünf Tagen blieb ich in Stockholm die längste Zeit am Stück und Guillem und ich beschlossen, dass es weitergehen muss. Da er Richtung Estland weiter wollte und ich dort einige Jahre zuvor schon gewesen war, wollte ich nun wirklich die volle Packung! Ich teilte ihm mit dass ich nach Kiruna möchte – die nördlichste Stadt Schwedens.. nördlich des Polarkreises! Die Fahrt dahin war mit 17 Stunden purer Rock&Roll! Völlig verpennt und übernächtigt kam ich, um die Mittagszeit, an und wurde mit kühlem Wetter überrascht. Auch hier malte ich mir wieder die schlimmsten Szenarien aus und wurde, entgegen aller Erwartungen, auch mit einigen Tagen Sonne, einem Besuch auf einer Huskyfarm und neuen Bekanntschaften im Hostel belohnt. Ich verbrachte einige Nächte in Kirunas Wildnis und hörte immer wieder vom Abisko. Kurzum kaufte ich ein Zugticket und fuhr in den riesigen Nationalpark. Dort angekommen gab es schon wieder ein Fest – diesmal von der Marke Fjällräven gesponsert – die eine Art Rallye durch den Park veranstaltete und die Finalisten an der Touristenstation empfang. Da ich nicht in diesen Pulk an Menschen geraten wollte, ging ich geradewegs über den weltbekannten Kungsleden-Trail, in den Park hinein!

Die nächsten drei Tage verbrachte ich im vollen Einklang mit der Natur und genoss jede einzelne Sekunde! In mir erwachte das Kind und ich erklomm jeden Berg und war bis in die Abendstunden nicht zu bremsen! Das Highlight war eine einsame Nacht auf einem Berg-Plateau, auf dem ich kein Zeichen der Zivilisation mehr erkennen konnte.. dort war nur ich! Zu meinem ganz besonderen Glück fand ich auch endlich ein Rentiergeweih und mir wurde klar, dass dies der krönende Abschluss meiner Reise war.

In Begleitung eines Schweden und einem gemeinsamen Mittagessen am Fluss, verließ ich den Park wieder Richtung Touristenstation und wurde mit überschwänglichem Applaus in der Station empfangen. Alle Anwesenden dachten ich wäre Teil des Fjällräven-Events gewesen! Ich musste lachen und allen Anstrengungen zum Trotz, den Leuten zu erklären dass ich kein Teil davon gewesen bin, ließ ich mich ein klein wenig feiern! Ich hatte in diesen vier Wochen auf Wanderung alles gesehen und alles erlebt was ich mir vorgenommen hatte! Es war ein unschlagbares Gefühl von Selbstsicherheit und Lebenslust, das ich jedem wünsche! Am Abend versammelten sich alle Teilnehmer zu Bier und Rentierdöner im Festzelt und eine Band spielte Hits von David Bowie! Zu „Heroes“ ließ ich alles Revue passieren und fuhr am nächsten Tag zurück nach Kiruna. Ich „verschwendete“ meine letzten 50€ für einige Flaschen Stout und flog zurück nach Düsseldorf…

Ich denke im Endeffekt habe ich nicht zu erzählen was für ein Hammer-Typ ich bin oder wie toll es ist, so Etwas zu erleben. Ich denke für mich war es am wichtigsten dass es möglich ist! Daheim war ich so gefangen in Nichtigkeiten und der Ablehnung jeglicher neuer Erfahrungen, dass mir dieser Trip wieder die Augen geöffnet hat! Es ist wichtig raus zu kommen und mal was Neues zu sehen… das ist für mich die Definition von „seinen Horizont erweitern!“