Bentley Design-Chef Stefan Sielaff zählt zu den einflussreichsten Autodesignern der Branche. Unter seiner Ägide entstanden neben vielen anderen Modellen der Audi A1, der A7 und Bentleys Continental GT, GTC und zuletzt der Flying Spur. 2015 übernahm der geborene Münchner die Leitung von Bentley Design.
Im ramp-Interview sprich Sielaff über Luxus von morgen und darüber, dass ein Teil der Bentley Autos vielleicht sogar vegan werden:
Herr Sielaff, wofür steht die Marke Bentley? Stefan Sielaff:
Bentley steht für die letzten hundert Jahre – und für die nächsten hundert. Zudem für Tradition und natürlich für Luxus. Davon hat jeder eine klassische Vorstellung – aber es geht auch um einen neuen Luxus, den wir mit unserem Concept Car deutlich machen. Und wenn wir über Luxus von morgen sprechen, müssen wir uns fragen, wie unsere Kunden den Begriff in Zukunft definieren. Da geht es mehr um soziale Hygiene und um Nachhaltigkeit, weniger um Champagner und Kaviar.
Können Sie das genauer ausführen?
Das moderne Verständnis von Luxus hat viel mit Philanthropie zu tun, man möchte Gutes für die Welt und die Gesellschaft tun. Manche Kunden wollen kein Leder im Innenraum. Ein Teil unserer Autos wird vielleicht sogar vegan. Für die Interieurs werden wir dann eben nicht mehr 15 oder 20 Bullenhäute verarbeiten, sondern uns mit Alternativen beschäftigen. In jedem Fall wird es darum gehen, wie wir die CO2-Bilanz reduzieren, die bei einem Bullen ja recht hoch ist.
Machen Sie sich auch persönlich Gedanken, die in diese Richtung führen?
Man kann sich mit Themen wie diesen nur beschäftigen, wenn man authentisch bleibt. Es geht mir jetzt nicht unbedingt darum, gleich die Welt zu retten. Das werden wir mit Bentley alleine auch nicht schaffen. Aber wir müssen mit der Zeit gehen.
Aber selbst fahren wollen viele Bentley-Kunden schon noch, oder?
Nicht ausschließlich, aber es wird nach wie vor möglich sein. Wir reden vom „Besten aus beiden Welten“, weil wir Bentley immer noch als Fahrermarke definieren. Wenn man sich jetzt den neuen Flying Spur anschaut, ist der für mich neben dem Maserati Quattroporte die einzige Limousine auf der Welt, die ich sofort selber fahren will. Ich möchte mich reinsetzen und den Großglockner hochfahren. Bentley strahlt einen unheimlichen Spirit aus, und der lässt sich tatsächlich bis zu den Bentley Boys der 20er-Jahre und ihre Erfolge auf den Rennstrecken zurückführen. Rolls-Royce hat sich anders definiert, da geht es tatsächlich eher darum, chauffiert zu werden.
Wie viel trägt das Design für den Luxus beim Fahren bei?
Die Design-DNA wird immer dafür sorgen, dass man einen Bentley als solchen erkennt. Die Formensprache soll rüberbringen, dass die Leute sagen: „Der fährt ja schon im Stehen“. Im Innenraum wiederum kommt es auf eine hohe Flexibilität an. Man muss sich rundum wohlfühlen, unabhängig davon, ob man selbst fährt oder gefahren wird. Kurz gesagt, es geht um mehr Aktivität im Fahrzeug, wenn man am Steuer sitzt – und mehr Lounge-Feeling, wenn man chauffiert wird.
Bleibt die Tradition im Design erkennbar?
Mit Sicherheit. Auch ohne Leder im Auto muss die traditionelle Handwerkskunst erlebbar bleiben und deutlich werden, dass es sich um Einzelstücke handelt. Unsere Kunden wollen spüren, dass jemand mit Können und Liebe an ihrem Fahrzeug gearbeitet hat – und kein Roboter. Beim Interieur geht es auch weiterhin um den hohen Anteil an handwerklicher Kunst. Unsere Fabrik ist eigentlich eine Manufaktur: Da sitzen Hunderte von Menschen vor Nähmaschinen, arbeiten in der Holz- und natürlich auch noch in der Lederwerkstatt. Das Leder eines Lenkrads wird zum Beispiel an einem Tag von einer Person zusammengenäht. Wenn ich als Kunde sage, ich möchte keinen schwarzen, sondern einen gelben Faden, lässt sich das einfach umsetzen.
Also nicht mehr „Form Follows Function“, sondern Form follows … Ganz einfach: „Form Follows Luxury Demands“. Dabei geht es um das ganze Spektrum, über das wir sprachen. Das hat viel mit Herzblut zu tun. Aus Passion werden schöne Einzelstücke generiert.
Wie groß ist Ihr Design-Team?
Das umfasst knapp hundert Leute. Seit ich hier bin, durchleben wir eine starke Transformation ins Digitale. Wir arbeiten mittlerweile auch mit Virtual Reality. Die Zahl der Clay-Modelle sinkt, umgekehrt verhält es sich beim Thema Digital-Modell, also bei digitalen Präsentationsformen. Was wir auch noch haben, sind die klassischen Disziplinen wie Exterieur Design, Interieur Design und Colour & Trim. In der Gruppe der Hardcore-Designer, wie ich sie gern bezeichne, die sich um die reine Formgebung kümmert, arbeiten etwa 30 Leute.
Wie sehr sind Sie als Creative Director in den Design-Prozess involviert?
Ein Team von bis zu hundert Leuten ist überschaubar, und darum kann ich jeden Tag kreativ mitarbeiten. Ich liebe es auch, mal eine Skizze anzufertigen und sie mit dem Team zu diskutieren.
Wie gehen Sie vor, wenn Sie eine neue Modellgeneration vor sich haben?
Die Formsprache von Bentley muss sich enorm weiterentwickeln und auch in gewisser Weise modernisieren. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht als Marke für den älteren Herrn irgendwann zu Grabe getragen werden. Insgesamt gilt es also einerseits, die Erwartungen unserer traditionellen Kunden zu erfüllen. Aber andererseits geht es darum, dass wir die Formensprache neu erfinden und jüngere Kunden ansprechen. Man spürt die Richtung bereits beim Convertible des Continental GT und beim Flying Spur. Später werden auch größere Schritte folgen, trotzdem bleibt es ein evolutionärer Prozess. Was nicht sein darf: dass wir Kunden vor den Kopf stoßen. Niemand darf denken, dass der Wagen jetzt super modern aussieht, aber kein Bentley mehr ist. Mit Sicherheit kommt beim Continental GT und beim Flying Spur keinem der Gedanke, dass diese Fahrzeuge ein bisschen altbacken seien. Nun werden wir weiter zulegen, sodass alle sagen: „Wow, die geben aber Gas!“
Der Wow-Effekt wird von jedem Designer angestrebt … Unbedingt. Wichtig ist zudem, dass ein Design zeitlos sein muss. Was fast schon wieder ein Beitrag zur Nachhaltigkeit ist. 85 Prozent aller Bentleys existieren noch, viele bleiben als Erbstücke in den Familien. Das gelingt nur mit einem zeitlosen Design. Die Leute sollen nach 20 Jahren die Garagentür öffnen und sagen: „Wow, und fahren kann man mit dem Wagen auch noch!“
Quelle: ramp #47
Über ramp.space
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